Zum „Tag der Ehre“ pilgern seit Jahren Dutzende deutsche Neonazis am zweiten Februarwochenende nach Budapest. Das Gedenken an den aussichtslosen Ausbruchsversuch deutscher und ungarischer Nazis aus dem von sowjetischen Truppen umzingelten Budapest im Februar 1945 stellt das jährlich größte Vernetzungstreffen europäischer Neonazis dar. Neben der Möglichkeit, ungestraft SS-Symbole tragen zu dürfen, sind Rechtsrockkonzerte und eine Wanderung auf den Spuren ihrer historischen Vorbilder ein Anziehungspunkt für die gesamte radikale Rechte. Auch aus Ostthüringen fahren seit Jahren Neonazigruppen nach Budapest. Darunter sind militante Kampfsportler, Aktivisten des verbotenen „Blood&Honour“-Netzwerks, bekannte Shoa-Leugner, Neonazi-Burschenschafter mit Vergangenheit im „Thüringer Heimatschutz“, Rechtsrock-Musiker – und Björn Höckes heutiger Fotograf. Unter Mitwirkung eines Apoldaer Rechtsrockers wurde außerdem zu diesem Jahr ein ganzes Themenalbum zum „Ausbruch“ 1945 produziert. Kürzlich begann in Budapest der Prozess gegen Antifaschist*innen, denen Angriffe auf Neonazis beim Gedenken 2023 vorgeworfen werden. Der Darstellung ungarischer Offizieller zufolge handelt es sich beim „Ausbruch“ um ein touristisches Event historisch interessierter SportlerInnen. Dementsprechend sind auch Rechte aus dem Fidesz-Umfeld in die Organisation eingebunden und die Neonazi-Veranstaltung erhält staatliche Förderung. Dieser Verharmlosung und Geschichtsverdrehung wollen wir mit einem Überblick zur Beteiligung militanter Ostthüringer Nazis deutlich widersprechen. Weiterlesen
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Katja Bütow (Kahla): Wochentags im Dienste der Kirche, feiertags Naziversammlung im Kleingarten
Als der damalige Pfarrer Matthias Schubert für eine SPIEGEL-Reportage 2018 auf den Nazi-Aktivismus seiner Diakonie-Mitarbeiterin Katja Bütow angesprochen wurde, wiegelte er ab: „Sie hat sich distanziert von der rechten Szene, sie ist nicht mehr aktiv, das war ihr alles sehr unangenehm.“ Die Distanzierung von der rechten Szene war schon damals eine Lüge. Fünf Jahre später lässt sich resümieren: Katja Bütow, die ein Hakenkreuz auf die Schulter tätowiert trägt, kann auf mindestens 15 Jahre Aktivismus in militanten rechten Strukturen zurückblicken. Sie engagierte sich für die NPD und später für den III. Weg. Außerdem betrieb sie Spendensammlungen für den NSU-Helfer Ralf Wohlleben. Was bisher nirgends Erwähnung fand: Ihr Kleingarten an der Saale dient für völkische Fackelrituale und Liederabende mit dem Blood&Honour-Musiker Tobias Winter. Im Herbst 2022 beteiligte sie sich mit ihrem jugendlichen Sohn an einem AfD-Aufmarsch in Erfurt und im Februar 2023 marschierte sie an der Seite ihres Mannes Marcel Bütow mit schwarzer Flagge im bundesweiten Großaufmarsch der Naziszene durch Dresden. Zeit für einen erneuten Blick nach Kahla.
Vor „Invictus Fight Night“: Hammerskin-Musiker trainiert bei John Kallenbachs Kampfsportschule (Saalfeld)
Am heutigen Samstag (1.7.2023) findet im Schützenhaus Pößneck die „Invictus Fight Night“ statt, die von der gleichnamigen Kampfsportschule von John Kallenbach aus Saalfeld veranstaltet wird. Kallenbachs Schule stand bereits in der Vergangenheit wegen Verstrickungen in rechte Netzwerke in der Kritik. Hier wurde ein Kämpfer des Neonazi-Events „Kampf der Nibelungen“ zum Kickboxer ausgebildet. Und Cheftrainer John Kallenbach ließ sich von der Cottbusser Neonazimarke „Label 23“ sponsern. Nachdem Kallenbach mehr schlecht als recht auf die öffentliche Kritik reagierte, ziert nun ein altbekanntes Gesicht der militanten rechten Szene das Titelfoto auf der Homepage von „Invictus“: Mirko Fritze (geb. Szydlowski), der zum Jenaer Umfeld des NSU zählt und seit 25 Jahren ein international bekannter Musiker der Rechtsrockszene ist. Weiterlesen
„Freie Initiative Schleusingen“: Wenn das rechte Bürgertum rebelliert und der mitmischende Kader vom III. Weg keinen Unterschied macht
Die südthüringische Kleinstadt Schleusingen im Landkreis Hildburghausen hat in den vergangenen Wochen Schlagzeilen mit rassistischem Protest gegen Geflüchtete gemacht. Hintergrund sind die Pläne des Landratsamtes, 80 bis 100 Geflüchtete in einem ehemaligen Krankenhaus unterzubringen. Die erste Demo dagegen fand am 12.4.2023 statt – organisiert vom Neonazi-Funktionär Tommy Frenck aus Kloster Veßra zusammen mit dem Neonazi-Liedermacher Axel Schlimper. Infolge von Presseberichten, die ihre Kritik vor allem auf die Person Tommy Frencks beschränkten, gründete sich die „Freie Initiative Schleusingen“. Diese wollte den Beweis erbringen, dass es vermeintlich nicht-rechte Schleusinger Bürger*innen wären, die ihren „Sorgen“ Ausdruck verleihen wollten. Beim zweiten Aufmarsch am 26.4. zeigte sich eine dreiköpfige Organisationsgruppe. Zu dieser zählte auch Marcel Funke, der Antifaschist*innen seit Langem als führender Neonazi im Raum Saalfeld bekannt ist. Seit spätestens 2015 ist Funke Kader der NS-Splitterpartei „Der Dritte Weg“ (III. Weg). In Schleusingen gab Funke den einfachen Bürger und ließ seine Parteiuniform zuhause. Inhaltlich machte seine Einbindung ohnehin keinen Unterschied: Die Proteste wären ohne Funke ebenso völkisch, rassistisch und strukturell antisemitisch. Am morgigen Mittwoch, 10.5., wird zum nächsten Aufmarsch mobilisiert. Weiterlesen
Im rechten Trott – Die Montagsdemos von Jena bis Saalfeld
Vor knapp drei Jahren brach die Corona-Pandemie in Deutschland aus. Seit Mai 2020 verging kaum eine Woche, in der nicht rechte Verschwörungsideolog*innen, AnhängerInnen von AfD und anderen rechten Strukturen montags auf die Straße gingen. Vor einem Jahr überfiel Russland die Ukraine und führt dort seitdem einen grausamen Krieg. Die Montagsdemos griffen auch dieses Thema in zuverlässig autoritärer Manier auf und tragen seither allerorts Russlandfahnen mit. In unserer Region sind es vor allem Jena und Hermsdorf, wo beständig demonstriert wird. Hermsdorf ist dabei weitaus konstanter, was Beteiligung und Infrastruktur angeht. Die dahinterstehenden rechten Netzwerke sind teilweise jedoch die gleichen. In Kahla waren die Montagsdemos unbeständiger, aber wenig überraschend von einer höheren Anzahl bekannter Nazikader geprägt. Saalfeld vereint all diese Elemente bei einer relativ hohen und konstanten Teilnehmer*innenzahl. Nachdem wir gemeinsam mit der Recherche Ostthüringen vor einem Jahr bereits in einer Übersicht für Ostthüringen die Region zwischen Jena und Saalfeld beleuchteten, ist es Zeit für einen neuen Überblick. Weiterlesen
(6) Gera und der NSU: von den Baseballschlägerjahren über Blood & Honour zur AfD
Wie in allen ostdeutschen Städten bildete sich auch in Gera nach der Wende eine größere Szene von Neonazi-Skinheads heraus. Sie dominierten öffentliche Plätze, begingen rassistische Übergriffe und verbreiteten ein Klima der Angst. Durch die Gründung von Rechtsrockbands, Kameradschaft und Parteiverbänden festigten sich ihre Strukturen. Die Kameradschaft Gera war eine tragende Säule des Thüringer Heimatschutzes und hatte somit auch gute Beziehungen zum späteren NSU-Kerntrio, seinen Jenaer UnterstützerInnen und zum NSU-Terrornetzwerk. Auch in Gera wurden nach dem Untertauchen des Trios 1998 Spendengelder gesammelt. Die Baseballschlägerjahre der frühen Neunziger gipfelten 2004 in der Ermordung von Oleg Valger durch vier teils noch jugendliche Geraer Neonazis. In der Rückschau hebt sich Gera jedoch von anderen Städten in der Region, die eine ähnlich bittere Entwicklung seit der Wende durchliefen, durch mehrere Faktoren ab: Überdurchschnittlich viele Neonazis, die teils als Jugendliche nach der Wende die Szene aufbauten, sind bis heute in der Stadt aktiv. Es gab zudem eine hohe Dichte an Rechtsrockbands, die teilweise bis heute Bestand haben. Und in Gera saß die Führung der Thüringer Sektion von Blood & Honour, die den bewaffneten Kampf über Rechtsrockkonzerte propagierte und finanzierte. Zwanzig Jahre später veranstalten dieselben Personen noch Großkonzerte. Der NSU-Helfer André Eminger ist über die Rockergruppe Stahlpakt und über die Gefangenenhilfe eng mit Geraer Neonazis verbunden und taucht dort selber immer wieder auf. Mit der Gründung der AfD traten mehrere Akteure aus den Neunzigern der AfD bei, darunter ein noch heute aktiver Rechtsrocker. Und auch die Proteste der Pandemieleugner*innen werden in Gera von Neonazis aus dem früheren Umfeld von Blood & Honour Hand in Hand mit der AfD organisiert. Weiterlesen
(5) Davongekommen und dabeigeblieben: Die unbekannteren Drahtzieher des Thüringer Heimatschutzes aus Saalfeld
Saalfeld spielte eine zentrale Rolle bei der Entstehung des „Thüringer Heimatschutz“ und des NSU-Terrors. Während einige Neonazis schon seit zwei Jahrzehnten nicht mehr aktiv sind, gibt es mit Christian Dietzel und Christoph Nicolaus zwei Saalfelder, die von der Gründung der „Anti- Antifa Ostthüringen“ 1992 über den „Thüringer Heimatschutz“ bis zur Wohlleben- Solidaritätskampagne 2012 und darüber hinaus dabeigeblieben sind.
Dieser Text ist zuerst im Antifa Infoblatt 132 (3/2021) erschienen. Weiterlesen
(4) Michael Hubeny: Früherer Kader von Thüringer Heimatschutz und NPD wird von Polizei- und Militärschützen an automatischen Waffen trainiert
Michael Hubeny war seit der Wende militanter Neonazi in Saalfeld-Rudolstadt und später im Thüringer Heimatschutz aktiv. Nach einem Gefängnisaufenthalt trat er in die NPD ein, wurde 2006 Landesvorsitzender deren Jugendorganisation JN und Anführer der Kameradschaft Blankenhain. Nachdem er bis 2010 im Umfeld der Bandidos aktiv war, kam er erneut in Haft. Mit der Selbstenttarnung des NSU sah Hubeny eine Chance auf Haftverkürzung und machte mehrere belastende Aussagen gegen frühere Heimatschutz-Kameraden. Er berichtete über Waffen, die er um 2000 bei Sven Rosemann in Rudolstadt gesehen hätte und verriet die Beteiligten am Überfall auf einen Geldtransporter in Pößneck 1999, die mit Rosemann und den Eberlein-Brüdern aus Saalfeld aus dem Kern des Thüringer Heimatschutzes stammten. Aufgrund dieser Aussagen wurde Hubeny als Zeuge in den NSU-Untersuchungsausschuss Baden-Württemberg geladen. Heute ist Hubeny aktiver Sportschütze, auch an vollautomatischen Schnellfeuerwaffen, und wurde beim Bund der Militär- und Polizeischützen in Kahnberg bei Gotha trainiert. Weiterlesen
Jenaer Kontinuitäten und fehlende Konsequenzen aus dem NSU-Komplex (2): Durch ein halbes Dutzend Jenaer Hände – Wie organisierte Kriminelle und Neonaziszene die NSU-Mordwaffe beschafften
Der NSU beschaffte sich im Laufe seines Bestehens eine Vielzahl an Waffen. Beim Großteil der Waffen wurde die Herkunft bis heute nicht aufgeklärt. Eine Waffe hatte jedoch eine besondere Bedeutung im NSU-Komplex, da mit ihr alle bekannten rassistischen Morde des NSU begangen wurden: Die Česká 83. Bei der Analyse des Beschaffungswegs dieser Waffe zeigt sich die enge Verflechtung von Neonazi-Szene und organisierter Kriminalität in Jena gegen Ende der 1990er Jahre.
„Volk ans Gewehr!“ – Neonazi übernimmt Führung im Jenaer Gartenverein Am Birnstiel
Im Kleingartenverein Am Birnstiel in Jena-Süd gibt es Streit: Den Betreiber*innen des örtlichen Gartenlokals droht die Kündigung, der Vereinsvorstand tritt vorzeitig zurück und es steht eine polarisierte Neuwahl bevor. Soweit nichts Ungewöhnliches für deutsche Vereinskultur, möchte man meinen. Der genauere Blick auf einen aussichtsreichen Kandidaten für den Vorstandsposten lässt jedoch Ungutes erahnen: Steven Schmied, der bereits kommissarischer Vorstand ist, ist ein Neonazi mit lange zurückreichenden Kontakten in die Jenaer Naziszene um NSU-Helfer Ralf Wohlleben. Schmied verbreitet im Netz NS-Ideologie, rassistische und antisemitische Hetze und ruft mit SA-Parolen zum bewaffneten Sturz der Regierung auf. Er beteiligte sich zudem an Kundgebungen der AfD in Jena. Sollte Schmied sich als Vorstand durchsetzen, strebt er auch eine Übernahme des Gartenlokals an. Weiterlesen