Personenübersicht Jena

Als sich am 4. November 2011 zwei Neonazis nach einem Banküberfall in einem Wohnwagen bei Eisenach erschießen, woraufhin durch eine Kameradin ein zynisches BekennerInnenvideo verschickt wird, das auf die rassistisch motivierten Mord- und Bombenanschläge des sogenannten NSU verweist, wird der ganzen Republik die Existenz eines militanten rechten Netzwerks bekannt. Für die Hinterbliebenenfamilien und Überlebenden der Taten endet damit die Zeit der öffentlichen Stigmatisierung und der schikanösen Polizeiermittlungen und sie erlangten endlich Gewissheit über die Tatmotivation. Dennoch konnten bis heute ihre Fragen zu Umständen, Unterstützungsleistungen- und personen, die zu den Tatbegehungen beitrugen, nicht restlos aufgeklärt werden. Gamze Kubaşık, Tochter des ermordeten Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık, richtet sich hierzu erneut mit der Forderung nach restloser Aufklärungen des NSU-Komplexes an die Öffentlichkeit. Denn bisher steht fest, dass der Staat hier erneut versagt, denn er untergräbt und verhindert die Aufklärungsbemühungen im Interesse derjenigen, die er zuvor nicht vor rechtem Terror schützen konnte.

Der NSU bezeichnete sich selbst als ein “Netzwerk von Kameraden”. Diese Selbstbeschreibung ist ernstzunehmen und deckt sich auch mit den zahlreichen Recherchen zum NSU-Komplex. Daraus wird deutlich, dass eine Vielzahl von Personen durch kleine, aber auch größere Unterstützungsleistungen zur Enstehung und Umsetzung des rechten Terrors beigetragen hat. Es handelte sich mitnichten um ein autark handelndes Trio.

Wenn sich in diesem Jahr das breite öffentliche Bekanntwerden des NSU zum 10. Mal jährt, werden wir die Enttarnung des NSU weiter vorantreiben. Wir werden eben jene lokalen „Kameraden“ aus Jena und Ostthüringen schrittweise öffentlich machen, auf welche die Selbstbeschreibung verwies, die aber dennoch im Verborgenen hätten bleiben sollen. Sie alle waren Teil der lokalen Nazi-Szene, sie prägten durch ihr Handeln die „Baseballschlägerjahre“ ab Beginn der 1990er Jahre, deren Auswirkungen für manche Betroffene bis heute unvergesslich sind. Durch Straßengewalt, Propagandataten, Aufbau von Strukturen, konkrete Unterstützungshandlungen für die NSU-Kernmitglieder, Solidaritätsaktionen und vielem mehr trugen sie zur Umsetzung der rechten Gewalt und des rassistischen Terrors bei.

Ihre Biographien mögen seitdem ganz unterschiedlich verlaufen sein, doch sie alle eint, dass fast niemand von ihnen öffentlich Reue gezeigt oder weiterführend zur Aufklärung des NSU-Komplexes beigetragen hat (Zur Behauptung vieler, „ausgestiegen“ zu sein findet sich hier eine längere Auseinandersetzung). Manche der „Kameraden“ sind sogar bis heute in der Szene aktiv.

Inhaltsverzeichnis

Stefan Apel

Stefan Apel im OLG München beim NSU-Prozess. (Foto: Getty Images)

Stefan Apel kommt aus Jena-Nord und war seit der Wendezeit Teil der Jenaer Naziszene. Er ist der Cousin von Beate Zschäpe, mit der zusammen er seit Mitte der Neunziger zu den Führungspersonen der Kameradschaft Jena gehörte. Zusammen mit André Kapke, Holger Gerlach, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe fuhr er Mitte der 1990er zu einem Kameradschaftsabend nach Nürnberg. Mit demselben Personenkreis, der später den Kern des NSU formierte, nahm Apel auch an der Kreuzverbrennung oberhalb von Jena-Winzerla teil. Apel war auch über Jena hinaus gut vernetzt. In Chemnitz hatte Apel FreundInnen in der Neonaziszene, die er auch privat besuchte. In Chemnitz besuchte Apel wiederholt Konzerte, die von Blood&Honour organisiert wurden. Auch mit Thomas Starke und Hendrik Lasch von Blood&Honour Sachsen, den wichtigsten Unterstützern des Kerntrios nach deren Abtauchen, war Stefan Apel Mitte der 90er bekannt. Mit dem Betreiber des Jenaer Szeneladens Madley, Frank Liebau, fuhr Stefan Apel 1996 zu einem Konzert nach Naumburg. Nach eigener Darstellung entwickelte sich die Jenaer Szene in zwei Richtungen: die politischen „Scheitelträger“, in Kameradschaft und der NPD organisierten waren und die Skinheads, die eher Rechtsrockkonzerte besuchten und sich betranken. Apel will trotz seiner führenden Rolle in den Anfangsjahren der Kameradschaft letztlich zu den Skinheads gezählt haben.

In den späteren 2000er Jahren wandte sich Stefan Apel mehr der Jenaer Hooliganszene zu. In seinen Vernehmungen zum NSU-Komplex stellte er dies als eine Abkehr von der Naziszene dar. Da er Anschluss an die Jenaer Neonazi-Hooligangruppe „Kameradschaft Jena-Gladbach“ fand, die überwiegend auch beim SV Zwätzen in Apels Stadtteil in Jena-Nord als Fangruppe „Falken Zwätzen“ auftritt, kann von Abkehr allerdings keine Rede sein.

Stefan Apel (1.v.r.) mit den Althooligans der „Kameradschaft Jena-Gladbach“ bzw. „Falken Zwätzen“ 2017 in der Vereinskneipe des SV Zwätzen.

Um 2010 verbrachte Apel mehrere Jahre auf Mallorca, wo er sich als Fliesenleger und Trockenbauer selbständig machte. Als er vorm OLG München im NSU-Prozess aussagen musste, erschien Apel in einer Jacke der Neonazimarke Thor Steinar, zu der er anmerkte, dass er sie wahrscheinlich im Madley gekauft habe. Nach wenigen Jahren kehrte er zurück nach Jena und hatte verschiedene Jobs, bis er seine heutige Anstellung beim Jenaer Gebäudeservice Blencke fand. Auf seinem Dienstauto hat Apel einen Heckscheibenaufkleber der “Falken Zwätzen” angebracht.

Stefan Apel (3.v.r.) mit Thomas Krause (2.v.r.), Steffen Sieber (4.v.r.), Tilo Webersinke (6.v.r.) und Jens Tetzlaff (3.v.l.) 2016.

Ronny Artmann (V-Mann, Mitwisser über UnterstützerInnen)

Ronny Artmann (mittig in weiß) als Ordner auf einem Aufmarsch vom Thüringer Heimatschutz, NPD und Blood & Honour in Gera am 04.09.1999; ganz rechts in schwarz: Tino Brandt.(Foto: Antifa Recherche Gera)

Der 1983 geborene Artmann politisierte sich bereits im Jugendalter und nahm an überregionalen Naziaufmärschen teil. Mit bereits 18 Jahren wurde er Leiter des Jenaer Ablegers der NPD-Jugendorganisation Junge Nationalisten (JN) und wurde in den NPD-Landesvorstand gewählt. In Winzerla war Artmann eine Zeit lang Nachbar von Ralf Wohlleben und unterstützte dessen Kandidatur zum Ortsteilrat. Auch Carsten Schultze wohnte im Nachbareingang. Mit Schultze entwickelte Artmann während der gemeinsamen Zeit in der JN eine Freundschaft, die über Schultzes Szeneausstieg hinweg hielt. Nach dem Untertauchen des NSU-Kerntrios besuchte Artmann auch einen rechten Liederabend in Leutra, bei dem Gelder für die Untergetauchten gesammelt wurden. Von Schultze erfuhr Artmann außerdem in der Zeit nach dem Untertauchen, dass der als Telefonkontakt des Trios über deren Verbleib und Wohlergehen informiert war.

Tino Brandt (2.v.l.), Rick Wedow (3.v.l.), Ralph Oertel (5.v.l.), Carsten Schultze (2.v.r.) und Ronny Artmann (1.v.r.) 1999 in der Jenaer Ringwiese am Rande einer PDS-Veranstaltung. (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Am 20.05.2000 protestierte Artmann zusammen mit Ralf Wohlleben, Pierre Jüstel und weiteren THS-Mitgliedern gegen den Besuch von Gerhard Schröder (SPD) in Jena mit einem Transparent. Auch einen NPD-Aufmarsch am 03.02.2001 in Jena meldete Artmann auf seinen Namen an. Er bewegte sich gleichzeitig in den Kreisen des Thüringer Heimatschutzes (THS) und der Anfang 2000 neu gegründeten Jenaer Neonazi-Burschenschaft Normannia. Mit Tino Brandt betrieb Artmann zeitweise den szeneinternen Handel von CDs und Büchern, wobei das Geld immer an Brandt zurückging.

Ronny Artmann (r.) auf einer NPD-Kundgebung in Jena. (Foto: Infoladen Jena)

m Jahr 2001 war Artmann zusammen mit Rudolstädter THS-Mitgliedern in den Schmuggel von geklauten Autos nach Litauen und Lettland und von Sexarbeiterinnen aus dem Baltikum nach Rudolstadt beteiligt. Hier betrieben seine Szenekontakte das Bordell „Blue Velvet“.

Artmann hatte bis mindestens 2002 Kontakte zu Neonazis, entfernte sich jedoch langsam von deren Aktivitäten und Strukturen. Er meldete sich zudem beim Aussteiger*innenprogramm des Bundesamts für Verfassungsschutz, um finanzielle Unterstützung zu bekommen. Nach einem ersten Treffen, bei dem ihm wahrscheinlich eine niedrige dreistellige Summe vorausgezahlt wurde, wurde er zu einem zweiten Treffen zum Bundesamt nach Köln berufen. Danach gab es mehrere weitere Treffen mit V-Mann-Führern des Verfassungsschutzes.

Nach eigenen Angaben hielt Artmann den Kontakt zu Carsten Schultze nach dessen Coming-Out und Umzug nach Nordrhein-Westfalen bis heute. Juliane Walther, die er damals als Freundin von Ralf Wohlleben kennengelernt hatte, hat er später beim SV Lobeda 77 wiedergetroffen und sich mit ihr angefreundet.

Ronny Artmann und Juliane Walther.

Artmann war zum Zeitpunkt der NSU-Selbstenttarnung Vorstandsvorsitzender des Vereins, während Walther sich freiwillig in die Vereinsarbeit einbrachte. Artmanns Ausstieg aus der Naziszene hat seinen Aussagen nach keine Bedrohungen nach sich gezogen. Über andere Konsequenzen aus seiner Rolle im NSU-Komplex sagte er vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss: „Wenn man heute die Konsequenzen kennt, betrachtet man das mit Schrecken. Für mich persönlich ist das kein Riesenthema, außer wenn der Arbeitgeber im Internet von meinen früheren Szeneaktivitäten liest und mich dann entlässt.“ (Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss 30.11.2017)

Matthias Bratge (Mitwisser über UnterstützerInnen)

Matthias Bratge und Christian Bärthel (r.) beim Aufmarsch von THS und NPD am 04.09.1999. in Gera (Foto: Antifa Recherche Gera)

Matthias Bratge aus Großlöbichau (östl. von Jena) stieß um 1997 zur Jenaer Naziszene hinzu. Er bewegte sich schnell im Kreise der Kameradschaft Jena. Im November 1997 war er mit der Kameradschaft an einer Störaktion beteiligt. Anwesend waren u.a. auch André Kapke, Ralf Wohlleben und Carsten Schultze. Im Juni 1998 war er erneut an einer Störaktion beteiligt, als der THS eine PDS-Veranstaltung ins Visier genommen hatte. Und im Oktober desselben Jahres zählte Bratge zu einer THS-Gruppe aus u.a. Tino Brandt, den Kapke-Brüdern, Carsten Schultze, Maximilian Lemke, Ralph Oertel und weiteren, die beim Versuch, die JG Stadtmitte zu stürmen, von der Polizei gestellt wurde. Als von Jürgen Helbig, Carsten Schultze, André Kapke oder Ralf Wohlleben nach dem Untertauchen des späteren NSU-Kerntrios deren Pogromly-Spiele innerhalb der Szene verkauft wurden, bekam auch Bratge eins von Jürgen Helbig angeboten. Mithin konnte Bratge wissen, dass Helbig und dessen enger Vertrauter Ralf Wohlleben im Kontakt mit den Untergetauchten oder deren Helfern standen.

Nachdem Bratge im Mai 1999 bereits mit dem THS an einer ungemeldeten Demo in Gera teilgenommen hatte, marschierte er auch am 04.09.1999 mit, als THS und NPD erneut nach Gera mobilisierten. Umgeben von Daniel Klinkhart (THS Saalfeld), Ricky Nixdorf (THS und Blood&Honour Sonneberg) und Rick Wedow (THS und NPD Jena) zeigte sich erneut die enge Vernetzung des THS und Einbindung des jungen Matthias Bratge.

Daniel Klinkhart (Tattoo), Matthias Bratge, Ricky Nixdorf (oben l.) und Rick Wedow (Bildmitte) beim Aufmarsch von THS und NPD am 04.09.1999 in Gera. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Bratge blieb auch in den 2000er Jahren aktiv, als der THS von der NPD und anderen Organisationsversuchen abgelöst wurde. Zu einem Aufmarsch des “Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Westthüringen” (NSAW), das von zahlreichen THS-Kadern wie Patrick Wieschke oder Ralf Wohlleben getragen wurde, lief Bratge am Hitlergeburtstag, dem 20.04.2002, direkt hinter Ralf Wohlleben mit.

Ralf Wohlleben und Matthias Bratge (mittig im Hintergrund) bei einem Aufmarsch des NSAW in Weimar am 20.04.2002. (Bild: Zusammenschnitt der JG-Videogruppe)

Mitte der 2000er zählte Bratge zu den regelmäßigen BesucherInnen des Braunen Hauses in Jena. Zusammen mit dem ehemaligen THS-Mitglied und zu jener Zeit maßgeblich Aktivisten der Neonazi-Burschenschaft Normannia, Ralph Oertel, bildete Bratge einen Freundeskreis von jungen Neonazis, die sich “Full Time Alkis” nannten. Hierzu zählten überwiegend BesuchInnen des Braunen Hauses, darunter u.a. Stefan Kiel aus Winzerla.

Stefan Kiel (l.) und Matthias Bratge beim Ostseeurlaub mit ihrer Neonazi-Clique.

Von einer Beteiligung Bratges an Neonazi-Aktivitäten ist über die 2000er Jahre hinaus nichts bekannt. Genausowenig gibt es Informationen über einen Bruch mit der Naziszene oder weitere Schritte hin zu einem nachvollziehbaren Ausstieg. Bratge ist nach Leipzig verzogen und wohnt heute unweit des S-Bahnhofs Leipzig-Lindenau.

Sebastian Bratge

Sebastian Bratge als Teil einer Clique junger Neonazis Ender der 1990er. (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Sebastian Bratge stammt aus Großlöbichau und zählte zusammen mit seinem Bruder Matthias in den späteren 1990er Jahren zum jüngeren Teil der Jenaer Naziszene. Wie sein Bruder bewegte sich auch Sebastian Bratge vor allem im Umfeld der Kameradschaft Jena und die jener Zeit entstehende JN. Am 10.10.1998 marschierten 44 Neonazis aus Jena und Saalfeld-Rudolstadt in der Johannisstraße vor der JG Stadtmitte auf und wurden in der Folge festgenommen. Unter den beteiligten befanden sich auch Sebastian Bratge und sein Bruder. Am 01.05.1999 nahm er an einem nicht genehmigten Spontanaufmarsch in Gera teil. Er beteiligte sich mit der Kameradschaft am 4.9.1999 an einem Aufmarsch des Thüringer Heimatschutzes (THS) und NPD in Gera. Hier tat er sich durch provozierende Gesten in Richtung Gegendemonstrierende hervor, während Christian Kapke später versuchte, Nazigegner*innen mit der Kamera zu fotografieren.

Sebastian Bratge (mittig) und Christian Kapke (l.) beim Aufmarsch von THS und NPD in Gera am 4.9.1999. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Über weitere Nazi-Aktivitäten Sebastian Bratges ist nichts bekannt. Er ist jedoch auch nicht als Austeiger bekannt, der Aufklärungs- und Aufarbeitungsprozesse unterstützt hätte. Eine alte Seilschaft könnte Bratge, der heute freiberuflicher Fotograf ist und immer noch in Großlöbichau bei Jena wohnt, zu einem dauerhaften Auftraggeber verholfen haben: Thomas Wienroth, der Anfang der 2000er der JN beitrat und mehrere Jahre einer ihrer bundesweit führenden Aktivisten war, führt Sebastian Bratge heute als seinen Hausfotografen auf der Homepage seiner Jenaer Immobilienfirma auf.

Sebastian Bratge als Hausfotograf von Wienroth Immobilien. (Bild: Homepage)

Sebastian Bratge ist neben Wienroth außerdem ständiger Fotograf der Stadt Jena, der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des DRK Jena-Eisenberg.

Conny Coriand (Fluchthelfer und Mitwisser über UnterstützerInnen und Fluchtort)

Conny Coriand beim Umzug der Jenaer Trießnitzschule. (OTZ v. 19.03.2020)

Conny Coriand gehörte in den Neunziger Jahren zur Jenaer Naziszene, ohne dass er äußerlich als Skinhead auftrat oder sich organisatorisch in die Kameradschaft Jena einbrachte. Laut Zeugenaussagen im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss soll er sich mindestens an einer Nazi-Kundgebung beteiligt haben. Erinnerungen früherer Kameradschafter nach hing Coriand mit der einschlägigen Naziclique um Ralf Wohlleben rum, mit dem ihn eine Freundschaft verband. In Erinnerung von Carsten Schultze bildete Coriand mit Wohlleben und Jürgen Helbig ein Dreiergespann, das regelmäßig gemeinsam unterwegs war. Helbig arbeitete zu dem Zeitpunkt schon bei der Spedition Coriand, die Conny Coriand später von seinem Vater übernahm. Coriand ist für die Naziszene häufig dann ins Spiel gekommen, wenn es Fahrten zu erledigen gegeben hat.

Als Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe im Januar 1998 am Tag der Garagendurchsuchung untertauchten, flohen sie mit Ralf Wohllebens Auto. Weil der mit einem technischen Defekt bei Zwickau liegengeblieben war und Wohlleben davon ausging, observiert zu werden, bat er Coriand um die Rückholung des Autos. Dieser machte sich dann mit Saalfelder THS-Aktivisten Andreas Rachhausen auf den Weg Richtung Zwickau und holte Wohllebens Peugeot zurück. Rachhausen war zu dem Zeitpunkt bereits Spitzel der Sicherheitsbehörden. Coriand soll im Nachgang der Flucht wiederholt bei Wohlleben nach dem Verbleib der drei Untergetauchten gefragt haben. Ihm war daher klar, wem er mit der Rückholung des Autos geholfen hatte und wohin die drei wegen Bombenbaus Gesuchten geflohen waren. Auch das Pogromly-Spiel, das kurz nach der Flucht zur Unterstützung des Trios innerhalb der Szene verkauft wurde, bekam Coriand von seinem Freund und Kollegen Jürgen Helbig gezeigt. Silvester 1998 feierte Coriand Angaben von Szeneangehörigen zufolge u.a. mit den zentralen NSU-Helfern André Kapke und Carsten Schultze in Kapkes Wohnung.

Conny Coriand ist inzwischen mit seinem Unternehmen zum regionalen Marktführer in Sachen Umzüge und Speditionsarbeiten aufgestiegen. Coriand übernahm 2013 den Posten des Geschäftsführers von seinem Vater. Sämtliche öffentlichen Institutionen beauftragen ihn mit ihren Umzügen, darunter die Stadt Jena, die Uni Jena, das Optische Museum oder die Dornburger Schlösser. Auch der FC Carl Zeiss Jena hat eine Geschäftspartnerschaft mit Coriand. Und seine Kartons kamen selbst bei den Hausdurchsuchungen des Thüringer Landeskriminalamts bei der Europäischen Aktion im südthüringischen Haselbach zum Einsatz, wie Pressefotos zeigten. Erst im vergangenen Jahr hatte Coriand wieder positive Presse, als sein Unternehmen zu Beginn der Coronakrise den Umzug der Trießnitzschule in Winzerla vollzog (OTZ v. 19.3.2020).

In Jena-Nord gehört Coriand seit Jahren zu den Werbepartnern des SV Zwätzen. Hier traf er auch zu Zeiten des NSU-Prozesses mal wieder auf seine alte Bekannte Juliane Walther, die ebenfalls NSU-Fluchthelferin war. Seinen alten Kameraden Jürgen Helbig beschäftigte Coriand bis mindestens ins Jahr 2017 – die zwei NSU-Helfer hielten sich somit gegenseitig die Treue.

Coriand wohnt nördlich von Jena in Porstendorf und hat seinen Firmensitz am Saalbahnhof in Jena.

Conny Coriand mit einer 25-Jahre-Urkunde der Thüringer IHK 2017.

Björn Demmig

Björn Demmig (mittig, Polohemd) mit Beate Zschäpe, Holger Gerlach (vorne rechts m. Fahne), Ralf Wohlleben (rechts in schwarz), Uwe Mundlos (mittig hinten in weiß) und André Kapke (hinter Mundlos) beim Hess-Marsch am 17.8.196 in Worms. (Foto: Apabiz)

Björn Demmig (geb. 1979) aus Frauenprießnitz gehörte ab Mitte der 1990er Jahre zu den MitgründerInnen der Kameradschaft Jena und der Sektion Jena des THS. Er fuhr 1996 mit Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Ralf Wohlleben, André Kapke, Tino Brandt und Maximilian Lemke zum Gedenkmarsch für Rudolf Hess nach Worms. Beim Hess-Gedenkaufmarsch 1997 in Niedersachsen wurde er zusammen mit weiteren Thüringer Neonazis, u.a. dem späteren NSU Kerntrio, festgenommen. Zusammen mit Christian Kapke verteilte er im Mai 1996 geschichtsrevisionistische Flyer in Lobeda West. Er beteiligte sich außerdem am 10.10.1998 an einem Angriffsversuch von 44 Neonazis aus Jena und Saalfeld-Rudolstadt auf die JG Stadtmitte, bei dem er auch festgenommen wurde.

Zu einem Großaufmarsch von THS und NPD am 12.02.2000 fuhr Demmig wiederum mit der Kameradschaft Jena um Carsten Schultze, der zu dem Zeitpunkt bereits tief in die Unterstützung des NSU-Kerntrios involviert war.

Björn Demmig (1.v.l.) und Carsten Schultze (mittig) am 12.2.2000 in Gera. (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

2001 war Demmig Mitglied des NPD Kreisverbands Jena und wurde am 03.02.2001 als Ordner für einen JN-Aufmarsch in Jena vorgesehen, was von den Behörden aufgrund laufender Verfahren gegen ihn jedoch nicht akzeptiert.
Seitdem sind von ihm weder ein Ausstieg noch weitere Aktivitäten in der Szene bekannt.

Nico Ebbinghaus

Der 1977 in Jena geborene Nico “Ebbse” Ebbinghaus war in den 1990er Jahren Teil der rechten Szene Jenas und gehörte zum Umfeld der Kameradschaft Jena. Für die Kameradschaft mietete er 1995 ein Postfach auf seinen Namen an, das als Adresse auf neonazistischen Flyern verwendet wurde. 1997 leitete die Staatsanwaltschaft Gera ein Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Kameradschaft Jena und deren Umfeld ein, da um Silvester 1996/97 Briefbombenattrapen mit Drohbriefen an die TLZ geschickt wurden. Auch Ebbinghaus wurde in diesem Verfahren angeklagt. In einer Beschuldigtenvernehmung gab er 1997 an, bereits vor einem Jahr aus der rechten Szene “ausgestiegen” zu sein und sich seiner Karriere als Zeitsoldat bei der Bundeswehr in Kassel zugewandt zu haben, bei der er es sich nicht mehr leisten könne, Straftaten zu begehen. Während seiner Armeezeit lebte Ebbinghaus an den Wochenenden bei Ralf Wohlleben in Göschwitz. Diesem stellte er auch sein Handy zur Verfügung, damit dieser seine Kommunikation insbesondere zur Unterstützung des Untergetauchten NSU-Kerntrios verschleiern konnte. Während seiner Armeezeit wurde Ebbinghaus zweimal vom militärischen Geheimdienst MAD vernommen, wobei er auch Angaben zum Aufenthalt des NSU-Kerntrios in Chemnitz gemacht haben soll. Er selbst gab an von dem Gespräch im Nachgang direkt Ralf Wohlleben berichtet zu haben.

In den 2000er Jahren zog Ebbinghaus nach Bürgel und später in die Rudolf-Elle-Str. 4 nach Eisenberg. Seine neonazistischen Aktivitäten stellte er bis heute nicht ein. Als er 2012 von der Polizei zum NSU vernommen wurde, hielt er weiter zu seinen KameradInnen und verweigerte die Aussage. Im Folgejahr beteiligte er sich neben dem Geraer Neonazi Markus Dettler am Rechtsrockfestival „Rock für Deutschland“.

Nico Ebbinghaus und Markus Dettler beim Rock für Deustchland in Gera am 7.7.2012. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Als Thügida und deren lokale Ableger 2015/16 mit zahlreichen Aufmärschen in ganz Thüringen ihren Höhepunkt hatte, beteiligte sich auch Ebbinghaus an mehreren dieser Aufmärsche, u.a. am 12. Dezember 2015 in Eisenberg.

Nico Ebbinghaus (3.v.l.) beim Thügida-Aufmarsch am 12.12.2015 in Eisenberg.

Als Thügida im Jahr darauf zum Todestag von Rudolf Hess am 17.8.2016 durch Jena marschierte, war Ebbinghaus ebenso dabei.

Enrico Biczysko (mittig) und Nico Ebbinghaus (1.v.r.) beim Thügida-Aufmarsch in Jena zum Heß-Todestag am 17.08.2016.

Laut Eigenangabe auf Facebook arbeitete Ebbinghaus zumindest vor mehreren Jahren noch als Koch im Restaurant der Kristalltherme in Bad Klosterlausnitz.

Roy Eddel

Roy Eddel als Gitarrist auf dem Demotape von Vergeltung 1995.

Roy Eddel (Jahrgang 1974) kommt aus der rechten Skinhead-Szene Jenas und zählte in den frühen Neunzigern zum Freundeskreis von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Stefan Apel und Beate Zschäpe. Mit Apel besuchte Eddel in dieser Zeit auch den bekannten Neonazi Torsten Schau, der zuvor bereits im Briefkontakt mit Uwe Mundlos stand. Roy Eddel übernahm in der 1995 gegründeten Jenaer Rechtsrockband “Vergeltung” die Gitarre. Die Band war trotz ihrer nur wenige Jahre und von Fluktuation geprägten Existenz gut in der überregionalen Naziszene vernetzt. So richtete die Geraer Blood & Honour-Band Legion Ost im Booklet zu ihrem Album „Ohne Worte“ Grüße an Roy Eddel und Ronny „Tuffy“ Weigmann aus. Nach weiteren Grüßen an die Kahlaer Hatebrothers 88 wird auch das bewaffnete Terrornetzwerk von Blood & Honour, Combat 18, gegrüßt.

Legion Ost grüßen Roy Eddel und Ronny “Tuffy” Weigmann auf ihrem Album “ohne Worte”.

Im Jahr 2007 besuchte Eddel das vom NSU-Helfer Ralf Wohlleben organisierte Neonazifestival „Fest der Völker“. Über seine darauffolgenden Aktivitäten ist genausowenig bekannt, wie ein deutlicher Bruch mit der Naziszene zu erkennen ist. Seinem Facebook-Account nach zu urteilen, zählt Eddel bis heute u.a. André Kapke zu seinen Kontakten.

Mirko Fritze (geb. Szydlowski)

Mirko Fritze am 05.10.2018 beim “Rock gegen Überfremdung”-Festival der Turonen in Apolda.

Mirko Fritze (geb. Szydlowski, 1982) stammt aus Jena und wurde Mitte der 1990er Jahre zusammen mit Sven Klette Teil der rechten Szene. Im Viertel Winzerla lernte Fritze dabei auch Ralf Wohlleben und Carsten Schultze kennen. Gemeinsam mit Klette und Sebastian Färber begann er seine Karriere in der neonazistischen Musikszene mit der Band „Division Wiking“, die sich später in „Blutstahl“ umbenannte. Als Proberaum konnte die Band Räumlichkeiten des städtischen Jugendclubs „Winzerclub“ nutzen. Über die Hatebrothers hatte die Band Kontakte ins internationale „Blood & Honour“-Netzwerk, die ihr zu Konzerten in Ungarn und Tschechien verhalfen. Nach dem Verbot von “Blood & Honour” wurde der B&H-Sampler „Trotz Verbot nicht tot“ veröffentlicht, auf dem „Blutstahl“ gleich mit zwei Titeln vertreten war.

Cover des „Trotz Verbot nicht tot“ Blood & Honour Samplers.

Mirko Fritze als „Blutstahl“-Gitarrist bei einem Auftritt am 23.07.2003 in Geinberg. (Österreich)

Von 2005 bis 2007 lebte Fritze in Schweden, wo er bis heute anhaltende Kontakte zu schwedischen Neonazis knüpfte. Dies zeigt sich u.a. an seiner Mitgliedschaft in der schwedischen Band Enhärjana.

In den 2000er Jahren begann Fritze neben seinen Aktivitäten in verschiedenen Bands auch eine Karriere als Liedermacher unter dem Namen „Barny“. Als Liedermacher erlangte Fritze große Bedeutung innerhalb der Szene und tritt europaweit u.a. bei „Blood & Honour“ Konzerten auf.

Mirko Fritze beim Blood & Honour-Festival “ISD Memorial” in England 2007.

Neben seinen intensiven Kontakten ins „Blood & Honour“ Netzwerk ist Fritze gleichzeitig Mitglied in der Supporterorganisation „Crew 38“ des zweiten großen internationalen Neonazinetzwerks den „Hammerskins“. Die Hammerskins verfolgen einen militanten Kampf für ihre rassistischen und neonazistischen Ziele. In vielen Ländern wurden bereits Waffenlager bei Hammerskins ausgehoben. Der US-amerikanische Hammerskin Michael Wade Page beging 2012 gar ein rassistisch motiviertes Massaker in einem Sikh-Tempel.

Mirko Fritze im Shirt der Schweizer Hammerskin-Supporter Crew 38 im Oktober 2016 in Apolda. (Foto: Soziale Medien)

Doch auch lokal blieb Fritze weiterhin gut vernetzt und pflegte guten Kontakt u.a. zu Ralf Wohlleben. Diesem hielt er auch nach dessen Verhaftung nach der Selbstenttarnung des NSU die Treue. So spielte er nur wenige Tage nach der Selbstenttarnung des NSU bei einem von Wohlleben organisierten „Deutsch-Schwedischen Musikabend“ in Unterwellenborn. Als Wohlleben in Untersuchungshaft kam, sollte Fritze bei einem Solikonzert im Rahmen der „Freiheit für Wolle“-Kampagne, das von Steffen Richter und Christian Dietzel organisiert wurde, spielen, das jedoch von der Polizei aufgelöst wurde. Zu Wohllebens 40. Geburtstag 2015 besuchte Fritze zusammen mit weiteren Neonazis die Gerichtsverhandlung in München, um seine Solidarität zu Wohlleben auszudrücken.
Auch auf der Straße zeigte sich Fritze in den jüngeren Jahren wieder aktiv, als er mit seiner Frau Theresa an den Neonazi-Krawallen in Chemnitz am 27.8.2018 teilnahm.

Mirko (1.v.r.) und Theresa Fritze (3.v.r.) beim Neonazi-Krawall in Chemnitz am 27.8.2018. (Foto: Moritz Siman)

Die beiden leben heute in Neidenberga am Hohenwarte-Stausee im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Fritze spielte als Liedermacher Barny im Februar 2019 zu Ralf Wohllebens ersten Geburtstagfeier im Kameradenkreis nach dessen Haftentlassung.

Holger Gerlach (NSU-Helfer)

Holger Gerlach (links d. Fahne), Maximilian Lemke, Ralf Wohlleben und Uwe Mundlos beim Rudolf-Hess-Marsch in Worms am 17.08.1996.

Holger Gerlach (geboren am 14.05.1974 ) ist in Jena aufgewachsen. Wie das spätere NSU-Kerntrio gehört er in den 1990er Jahren zur Kameradschaft Jena und zum Teil der Sektion Jena des Thüringer Heimatschutzes (THS). Zusammen mit u.a. Maximilian Lemke, Ralf Wohlleben, Uwe Mundlos und Beate Zschäbe nahm er am Rudolf-Hess-Marsch in Worms am 17.8.1996 teil. Als er 1997 nach Hannover-Bothfeld zog, half Uwe Mundlos ihm beim Umzug.

Nachdem das NSU-Kerntrio 1998 untertauchte, traf sich Gerlach immer wieder mit dem Kerntrio und unterstütze es u.a. mit Ausweisen, Führerscheinen und dem Transport mind. einer Waffe. Für einige dieser Unterstütztungshandlungen wurde er von 2013 bis 2018 im NSU-Prozess in München angeklagt und schuldig gesprochen.

Über die Hildesheimer Blood&Honour-Gruppe beteiligte sich Gerlach an der Organisation eines Liederabends 1999 mit dem Jenaer LiedermacherInnenduo „Eichenlaub“ von Christian Kapke und Claudia Walter, die kurz vorher ein Lied veröffentlicht hatten, in dem sie ihre Unterstützung des NSU-Kerntrios bekräftigten.

Blood&Honour-Konzert mit Eichenlaub: (v.l.n.r.) Holger Gerlach, Claudia Walter und Ralph Oertel beim Singen des Rudolf-Hess-Liedes. (Bild: Jenaer Antifaschist*innen)

Kontakt pflegte Gerlach auch zum Neonazi und NPDler Thorsten Heise. Bei dessen Hochzeit sollen die beiden über die Möglichkeiten einer Flucht des NSU-Kerntrios nach Südafrika gersprochen haben.

Allerdings wurde er zwischen 2004 und 2011 auf Neonazi-Veranstaltungen und -demonstrationen gesehen z.B. im Jahr 2005 bei einem „Trauermarsch“ in Magdeburg, einer Demonstration der JN in Berlin sowie bei einer Neonazi-Demonstration in Braunschweig. Gerlach behauptete ab 2004, aus der rechten Szene ausgestiegen zu sein. Später gab er an, erst 2011 wieder Kontakte in die hannoversche rechte Szene gesucht zu haben.

Im Jahr 2009 ist er ist er mit seiner Freundin in die Nähe Hannovers nach Lauenau im Landkreis Schaumburg gezogen.

Holger Gerlach im Jahr 2007. (Foto: Antifa Infamous Hannover)

Marcel „Borstel“ Gierschke

Marcel „Borstel“ Gierschke

Marcel Gierschke, genannt „Borstel“, war Schlagzeuger der Band „Vergeltung“, die sich Mitte der Neunziger im Umfeld der Kameradschaft Jena gründete. Sänger war Tom Turner, der in den Anfangsjahren eines der führenden Mitglieder der Kameradschaft war. Die Band probte im städtischen Jugendzentrum Winzerclub. Ihre Proben wurden auch zu beliebten Treffpunkten der örtlichen Naziszene. Gierschke war jedoch offensichtlich auch über die Bandproben hinaus in die Szene involiert. So reiste er am 25.03.1995 gemeinsam mit Uwe Mundlos und weiteren Jenaer Nazis zu einem Konzert der Band „Triebtäter“ nach Triptis. Wie Uwe Mundlos später in einem Brief an den NSU-Helfer Thomas Starke berichtete, beendete die Polizei den Trip schon am Autobahnkreuz Hermsdorf und nahm die Neonazis in Gewahrsam. Gierschke war danach noch an einem Übergriff auf ein alternatives Konzert am 15.09.1995 im Jenaer Planetarium beteiligt, an dem sich unter Führung von Tino Brandt und André Kapke rund 40 Nazis aus ganz Thüringen beteiligten.

Auf Initiative des Jenaer Neonazis Mario Voigt, der mit dem Vergeltung-Mitglied Ronny „Tuffy“ Weigmann den Szeneladen Dog House in Lobeda-Ost betrieb, spielte Vergeltung im Mai 1999 auf einem Neonazi-Konzert in Triptis. Andere Bands waren an dem Abend u.a. die Blood & Honour zugehörigen „Oigenik“ aus Gera und „Volksverhetzer“ aus Sonneberg. Vergeltung löste sich kurze Zeit später auf und auch Gierschke spielte keine wahrnehmbare Rolle mehr in der Jenaer Szene. Gierschke hat heute einen Kleingarten in einer Gartenanlage oberhalb des Jenaer Südviertels.

Christina Hamberg (geb. Schramm) (Mitwisserin über UnterstützerInnen)

Christina Hamberg in Jena-Lobeda.

Die 1984 geborene Christina Hamberg zählte seit ihrer frühen Jugend zu einer Clique rechter Skinheads. Zunächst waren das die Kreise um Stefan Apel in Jena-Nord. Später fand sie Anschluss an die Winzerlaer Kameradschafter. Sie war mit Carsten Schultze gut befreundet und verbrachte viel Zeit mit der Kameradschafts- und später JN-Gruppe um André Kapke, Ralf Wohlleben, Ralph Oertel oder Ronny Artmann. Seit Gründung der JN beteiligte sie sich an den regelmäßigen Sonntagsaktivitäten, die aus Schulungen, Planungen von Aufmarsch-Fahrten oder Zelten und Wehrsport auf dem von Tino Brandt gepachteten Gelände unterhalb der Kahlaer Leuchtenburg.

Nach dem Untertauchen von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt bekam Hamberg mit, dass André Kapke Kontakt zu ihnen hielt und sich für ihre Unterstützung engagierte. Im Februar 2000 marschierte sie mit der Jenaer JN um Carsten Schultze und Nicole Schneiders in Gera mit, als der THS und die NPD gemeinsam mit Blood&Honour demonstrierten. In den Folgejahren will sie sich nach eigenen Angaben parallel zu Carsten Schultze und Ronny Artmann aus der Szene zurückgezogen haben.

Carsten Schultze (in schwarz, Rückenaufnahme), Christina Schramm (mittig, blond), Nicole Schneiders (hinter Schramm, schwarze Haare) beim Aufmarsch von THS und NPD in Gera am 12.02.2000. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Sie heiratete später mit Horst Hamberg jemanden, der bereits um die Wendezeit als Neonazi bekannt war. Auch er will ausgestiegen sein. Christina Hamberg arbeitete zum Zeitpunkt ihrer Aussage im NSU-Prozess (Februar 2015) als Erzieherin in Leipzig.

Jürgen Helbig (Unterstützer der Untergetauchten, Spendensammler, Mitwisser über Fluchtort und UnterstützerInnen)

Jürgen Helbig im Februar 2012 beim Umzug der Jenaer Rautalschule im Dienst für Conny Coriand. (Foto: OTZ)

Jürgen Helbig ist in Winzerla aufgewachsen und lernte dort den NSU-Helfer Ralf Wohlleben kennen. Uwe Böhnhardt lernte er durch die gemeinsame Naziclique kennen, genau wie die beiden späteren NSU-Helfer Carsten Schultze und Holger Gerlach. Mit Uwe Böhnhardt klaute Helbig unter anderem Autos.

Er war Mitglied der Kameradschaft Jena und hatte den Spitznamen „Rabe“. Er fuhr auch mit der Kameradschaft zu Naziaufmärschen nach Dresden und nach Neuhaus am Rennweg, wo der Thüringer Heimatschutz demonstrierte. Nach dem Untertauchen des NSU-Kerntrios betätigte sich Helbig als Helfer: Er bekam Aufträge von Ralf Wohlleben oder von Böhnhardt und Mundlos per Anruf in Telefonzellen und lieferte daraufhin persönliche und andere Gegenstände sowie Geldspenden von Jenaer Nazis nach Zwickau. Nach eigener Aussage schätzte er bereits damals vor allem Uwe Böhnhardt so ein, dass er ihm rassistischen Terror und den bewaffneten Kampf ernsthaft zutraute.

In diesem Wissen hielt Helbig seinen KameradInnen die Treue: Mit Wohlleben traf sich Helbig in jener Zeit so gut wie wöchentlich. Helbig bekam Pogromly-Spiele von Wohlleben, die von Böhnhardt und Mundlos produziert wurden und zu deren Unterstützung in der rechten Szene verkauft wurden.

Jürgen Helbig wurde zweimal vom Verfassungsschutz kontaktiert und einmal vom Militärischen Abschirmdienst während seines Wehrdienstes 1999. Dort wurde ihm anhand von Fotos offengelegt, dass seine Kurierfahrten observiert wurden. Er lehnte nach eigener Aussage alle Angebote auf Zusammenarbeit ab und erklärte, den drei Untergetauchten jederzeit wieder helfen zu wollen. Er bekannte sich in dem Gespräch auch zur NPD, in der er sich nach Ende seines Wehrdienstes stärker engagieren wollte. Dort war er bis zur Auflösung des Jenaer Kreisverbandes 2011 Mitglied.

Jürgen Helbig (l.) und Conny Coriand (r.) im Dezember 2016.

Helbig arbeitete seit 1999 bei der Spedition Coriand, dem Familienunternehmen von Wohllebens Freund Conny Coriand, der sich in den Neunzigern auch in der Naziszene bewegte. Coriand holte nach der Flucht von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in Ralf Wohllebens Auto den aufgrund einer Panne zurückgelassenen Fluchtwagen zurück. Jürgen Helbig bot Conny Coriand außerdem auch ein Pogromly-Spiel zum Kauf an, von denen er Dutzende bei sich zuhause zwischenlagerte, um sie zur Unterstützung des Trios in Jena zu verkaufen. Jürgen Helbig arbeitete bis mindestens Ende 2017 noch in Coriands Spedition.

Robert Henck

Kameradschaft Jena 1996 beim Prozess gegen Manfred in Roeder in Erfurt; dabei auch Volker und Robert Henck.

Der 1979 geborene Robert Henck zählt zu den frühen Mitgliedern der Kameradschaft Jena. Er begleitete im November 1996 Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach Buchenwald, wo die beiden in SA-ähnlichen Uniformen aufmarschierten. Im Dezember fuhr er zusammen mit seinem Bruder Volker, André Kapke und Ralf Wohlleben zu einem bundesweiten Neonazi-Treffen zu Michael See (V-Mann Tarif) nach Nordthüringen. Als 1997 eine Gerichtsverhandlung gegen Manfred Reoder wegen dessen Beschädigung der Wehrmachtausstellung in Erfurt stattfand, erschien die Kameradschaft mit einem Transparent „Unsere Großväter waren keine Verbrecher“, das von Uwe Mundlos und Robert Henck gehalten wurde. Anfang 1997 fuhr Henck mit Andŕe Kapke, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zur Jenaer Polizeidirektion, um Zivilfahrzeuge auszuspähen. In Hencks Auto lagen eine Schreckschusspistole und ein Paintball-Gewehr. Auch zu einem Konzert von Frank Rennicke, das Tino Brandt im Raum Coburg organisiert hat, fuhr Henck zusammen mit André Kapke.

Ende 1998 kam Robert Henck in Haft. In den 2000er Jahren half er bei Reparaturarbeiten im Braunen Haus in Jena mit und gehörte dort auch bei Veranstaltungen zu den regelmäßigen Gästen. Nach einem Job als Hausmeister bei der Uni Jena machte er sich selbständig. Auch nach der Selbstenttarnung des NSU und der Verhaftung von Carsten Schultze stand Robert Henck 2011 im Kontakt mit André Kapke.

Volker Henck (Fluchthelfer, Mitwisser über UnterstützerInnen)

Kameradschaft Jena 1996 beim Prozess gegen Manfred in Roeder in Erfurt; dabei auch Volker und Robert Henck.

Volker Henck (Jahrgang 1978) zählt zur Gründergeneration der Kameradschaft Jena. Er war mit Beate Zschäpes Cousin, Stefan Apel, zusammen in einer Ausbildungsmaßnahme bei der Jenaer ÜAG. Zusammen mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe, André Kapke und Ralf Wohlleben fuhr er zu Aufmärschen, bereitete Transparente vor oder besuchte Rechtsrockkonzerte und Liederabende. Zum Prozess gegen den Shoa-Leugner Manfred Roeder, der die Wehrmachtsausstellung beschädigt hatte, fuhr Henck 1996 im Auto mit Uwe Böhnhardt. Mit dabei waren außerdem sein Bruder Robert, André Kapke, Ralf Wohlleben und Uwe Mundlos. Auch zu einem bundesweiten Neonazi-Treffen bei Michael See (V-Mann Tarif) in Nordthüringen fuhr Volker Henck mit der Jenaer Kameradschaft. Henck beteiligte sich an den Stammtischen des Thüringer Heimatschutzes in Saalfeld und war außerdem Teil der Wehrsportübungen auf einem Gartengelände unterhalb der Kahlaer Leuchtenburg.

Am Tag des Untertauchens von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe wurde Volker Henck von Uwe Böhnhardt angerufen. Gemeinsam holten die beiden Juliane Walther von der Berufsschule aus Weimar ab. Mit Walther fuhr Volker Henck zur Wohnung von Beate Zschäpe, um dort zwei Müllsäcke voller Kleidung herauszuholen. Danach fuhr Henck Walther zu ihrem damaligen Freund Ralf Wohlleben.

In den 2000er Jahren zählte Henck weiterhin zur Jenaer Naziszene und zu den Nutzern des 2002 eröffneten Braunen Hauses. Henck wohnt auch heute noch in Jena und arbeitet als Handwerker. Über seine Firma DAU UG mit Sitz an seiner Wohnanschrift in Lobeda-Ost bietet er allerlei Handwerks- und Hausmeistertätigkeiten an.

Mark Rüdiger Henze

Mark Rüdiger Henze mit Pistole in den 1990er Jahren.

Mark Rüdiger Henze vernetzte sich bereits in den frühen 1990er Jahren sowohl in der Jenaer als auch Saalfeld-Rudolstädter Neonaziszene. Er spielte eine wichtige Rolle für die spätere enge Zusammenarbeit der Szenen der beiden Städte. Im Zeitraum zwischen 1992 bis 1994 lebte Henze in Bad Blankenburg. In dieser Zeit wurde er wegen zahlreichen Landfriedensbrüchen im Raum Saalfeld-Rudolstadt angeklagt. Mitte der 90er Jahre kam er nach Jena zurück und stieg dort schnell zu einer Führungsfigur der Szene auf. Am 13.08.1994 meldete er gemeinsam mit Tino Brandt einen Aufmarsch in Jena an. 1995 fuhr er mit weiteren Thüringer Neonazis wie z.B. Christian Dietzel nach Vilshofen im Landkreis Passau (Bayern), um dort den Ordnungsdienst für eine Veranstaltung des damaligen Vorsitzenden der FAP Friedhelm Busse und der Gruppierung „Deutsche Freiheitsbewegung“ zu stellen. Hier zeigt sich die schon frühe bundesweite Vernetzung der Thüringer Szene. In Jena wurde er von den Sicherheitsbehörden neben André Kapke als Führungsperson innerhalb der Szene und aktives Mitglied der Kameradschaft Jena angesehen. In den 2000er Jahren zog er wieder in den Raum Saalfeld-Rudolstadt und hatte weiterhin Kontakt zur lokalen Szene. So machten 2005 Steffen Richter und Andreas Rachhausen Falschaussagen bei der Polizei, um Henze in einem Verfahren wegen Trunkenheit am Steuer zu decken.

André Kapke (NSU-Helfer)

André Kapke und Tino Brandt beim NPD-Infostand 1999 in Jena. (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

André Kapke, geboren am 24.08.1975 in Jena, zählt als einer der engsten Vertrauten von Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und Ralf Wohlleben. Mit ihnen gründete er die Kameradschaft Jena, die sich als Teil des Thüringer Heimatschutzes bzw. der Anti-Antifa Ostthüringen ab etwa 1994 unter dem Einfluss von Tino Brandt organisierte. Kapke fungierte gemeinsam mit Wohlleben als „Kameradschaftsführer“, wobei Kapke die zentrale Rolle zufiel. Er beteiligte sich bereits 1995 an Vernetzungstreffen in Saalfeld und Rudolstadt. Als die dortigen Neonazis in Milbitz, oberhalb von Rudolstadt, im Sommer 1995 Wehrsport- und Schießübungen abhielten, nahm auch André Kapke teil. Kaum eine rechte Aktion in Jena oder Ostthüringen fand ohne seine organisatorische Mithilfe statt. Kapke verfolgte in Jena zusammen mit Mundlos und Böhnhardt einen militanten Kurs, in dessen Rahmen die Bombenatrappen im Jenaer Stadion und auf dem Theaterplatz genauso als Teil einer strategischen Drohkulisse legitim waren wie namentliche Drohungen gegen den Thüringer Innenminister.

André Kapke beim Aufmarsch von NPD und THS am 12.2.2000 in Gera. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Kapke organisierte ab dem 26.1.1998 zusammen mit Ralf Wohlleben die Erstunterstützung für die Udrei ntergetauchten. So versuchte er bspw. in Berlin und bei einem Besuch im Sommer 1998 bei Claus Nordbruch in Südafrika, mögliche Fluchtorte für die Untergetauchten auszuloten. Kapke war damit betraut Pässe und finanzielle Unterstützung für das Trio zu organisieren. Zudem war er in den Verkauf des Pogromly-Spiels eingebunden. Dieses Spiel war eine neonazistische Abwandlung des Monopoly-Brettspiels, das Uwe Mundlos reihenweise per Hand anfertigte. Kapke organisierte den Verkauf innerhalb der Jenaer und Ostthüringer Naziszene und ließ die Gelder zurück an das Trio fließen. Zumindest in den ersten Monaten war Kapke einer der Hauptunterstützer des flüchtigen Trios. Später fiel André Kapke beim Trio und den Jenaer KameradInnen in Ungnade, weil ihm Unterschlagung von Unterstützungsgeldern vorgeworfen wurde: Der Geraer Leiter der Blood&Honour-Sektion Thüringen, Marcel Degner, hatte Kapke Einnahmen aus einem Rechtsrockkonzert für die Untergetauchten übergeben. Kapke sollte damit falsche Pässe besorgen. Als laut Kapkes Darstellung die besorgten Pässe aus seinem Auto geklaut wurden, unterstellte ihm die restliche Szene, das Geld schlicht unterschlagen zu haben. Gegenüber Tino Brandt soll Uwe Mundlos Kapke am Telefon ein „Kameradenschwein“ genannt haben.

Im Sommer 1998 flog Kapke zusammen mit dem aus Rudolstadt stammenden THS-Kader Mario Brehme nach Südafrika, um dort den Aufbau eines Tagungszentrums für Neonazis zu unterstützen und paramilitärische Übungen zu absolvieren. Die Vermutung der Behörden war zudem, dass die beiden beim dort ansässigen Rechtsaußen-Publizisten und -Aktivisten Claus Nordbruch nach Unterschlupfmöglichkeiten für das untergetauchte Trio fragen würden.

Als Kapke 1999 Informationen über politische Gegener*innen in Jena suchte, lockte sein Bruder Christian zwei junge Frauen in einen Hinterhalt. Unter einer Brücke in Jena-Burgau warteten André Kapke, Ralf Wohlleben und weitere Neonazis, griffen die Frauen an und versuchten unter Todesdrohungen Informationen über Mitglieder der linken Szene zu erpressen. Wohlleben und Kapke wurden für ihre Beteiligung verurteilt.

2002 kaufte Kapke zusammen mit Wohlleben und dem Liedermacher Maximilian Lemke die ehemalige Gaststätte „Zum Löwen“ in Alt-Lobeda. Die Immobilie entwickelte sich in den folgenden Jahren unter dem Namen „Braunes Haus“ zu einem wichtigen Treffpunkt der Naziszene und wurde für Konzerte, Schulungen und andere Veranstaltungen genutzt. Mit Wohlleben und Thomas Gerlach organisierte er das von 2006 bis 2010 stattfindende europaweite Neonazitreffen „Fest der Völker“, an dem nahezu ausschließlich Blood&Honour-Bands teilnahmen.

Vordergrund: André Kapke und Malte Redeker; 1.v.l. Gordon Richter, 2.v.l. Martin Rühlemann, mittig verdeckt Frank Schwerdt beim RfD Gera am 19.7.2008.(Foto: Antifa Recherche Gera)

Am Tag der Selbstenttarnung des NSU, dem 4. November 2011, war Kapkes Handy in einer Funkzelle in Eisenach eingeloggt. Laut Kapkes Aussage ging das auf eine Autobahnfahrt zurück, die ihn an Eisenach vorbei führte. Kapke selber bekam in den Wochen nach dem 4.11. so eine Angst, selber als Beschuldigter in Haft genommen zu werden, dass er sich freiwillig bei der Polizei meldete, um eine Aussage zum NSU-Komplex zu machen. Trotz aller seiner bekannten Hilfsleistungen für die RechtsterroristInnen kam es jedoch nie zu einer Anklage. Am 21.11.2013 wurde Kapke als Zeuge im NSU-Prozess vernommen, begleitet vom Szeneanwalt Dirk Waldschmidt. Im bislang nie offiziell eingestellten Folgeverfahren gegen weitere NSU-UnterstützerInnen war Kapke formell Beschuldigter. Die Generalbundesanwaltschaft scheint dieses Verfahren jedoch bloß zur Beruhigung der Öffentlichkeit nie eingestellt zu haben. Ermittlungen dürften schon lange nicht mehr geführt worden sein.

André Kapke beim NPD-Wahlkampf in Stadtroda am 28.8.2014 mit Patrick Wieschke (mittig im Anzug, Eisenach), Hannjo Wegmann (2.v.r., Erfurt) und Karsten Höhne (1.v.r., Eisenach).

Nachdem André Kapke bis ca. 2014 noch den NPD-Wahlkampf in Thüringen unterstützte, hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend aus der aktiven Szene zurückgezogen, ist ideologisch jedoch weiterhin gefestigter Neonazi. So verbreitet er rassistische und menschenverachtende Inhalte in sozialen Netzwerken, in den letzten Jahren vermehrt unter Bezug auf die Identitäre Bewegung. Im Januar 2016 tauchte er bei einer AfD-Kundgebung mit Alexander Gauland auf dem Jenaer Marktplatz auf.

André Kapke bei der AfD am 20.1.2016 in Jena. (Bild: Youtube)

Kapke bewegt sich zudem nach wie vor im Umfeld der Burschenschaft Normannia, die sich Ende 1999 aus der Kameradschaft Jena heraus gegründet hat. Mit dem Normannia-Gründungsmitglied Ralph Oertel besuchte Kapke auch Ende 2017 den NSU-Prozess in München, um Wohlleben die Treue zu demonstrieren und die Mittagspause mit dessen Verteidigerin Nicole Schneiders zu verbringen. In den letzten Jahren war Kapke mehrfach bei von der Normannia organisierten Zeitzeugenvorträgen in der Burg 19 in Kahla anwesend.

André Kapkes Instagram-Post von einer Normannia-Lesung in Kahla am 10.5.2019. (Bild: Instagram

André Kapke lebt mit seiner Familie zwischen Jena und Saalfeld in Oberkrossen (bei Uhlstädt) und betreibt ein Bausanierungs-Unternehmen mit Sitz in Uhlstädt-Kirchhasel.

André Kapke im November 2015. (Foto: Instagram)

Sven “Torte” Klette (Unterstützer der Untergetauchten)

Sven „Torte“ Klette

Sven Klette (Spitzname “Torte”) stammt aus Jena-Winzerla und gehörte seit Mitte der Neunziger fest zur Jenaer Naziszene. Klette kannte Carsten Schultze schon seit der Jugendzeit und wohnte im selben Aufgang wie Ralf Wohlleben in der Boegeholdstraße. Im nahegelegen Winzerclub verbrachte Klette viel Zeit mit der restlichen Kameradschaft Jena. An der Endhaltestelle der Straßenbahn neben dem Winzerclub soll Klette zusammen mit Carsten Schultze und Ralf Wohlleben jemanden zusammengeschlagen haben, der zuvor deren Kameraden Frank „Schmaler“ Wunderlich in den Rücken gesprungen sein soll. Zusammen mit Mirko Fritze (geb. Szydlowski), der als rechter Liedermacher „Barny“ bekannt ist, und Sebastian Färber spielte Klette in der Rechtsrockband „Blutstahl“. Nach dem Untertauchen des Kerntrios 1998 wurde Klette im August dabei observiert, wie er mit André Kapke zum Verlag Nation Europa nach Coburg fuhr, um sich dort mit dem Verleger und Arbeitgeber von Tino Brandt, Peter Dehoust, zu treffen. Informationen des Verfassungsschutzes zufolge soll dieses Treffen der Übergabe von 1800 DM von Dehoust an Kapke gedient haben, womit Kapke den Untergetauchten gefälschte Pässe organisieren wollte. Als sich Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre verstärkt Mitglieder des THS und der Jenaer Sektion aus Angst um ein Verbot des THS, in der NPD zu organisieren begangen, ging auch Klette diesen Weg mit und war im Jahr 2000 Mitglied im Kreisverband Jena der NPD.

Im NSU-Prozess in München gab Klette an, sich um die Jahre 2001/2002 aus der Naziszene zurückgezogen zu haben. Diese Aussage passt nicht zur Tatsache, dass Klette noch im März 2004 an einem Rechtsrockkonzert in Porstendorf teilnahm. Das Konzert wurde vom Jenaer NPD-Nachwuchskader André Gruschwitz organisiert und es sollte auch die Band „Blutstahl“ auftreten, für die Klette am Schlagzeug saß. Gemeinsam mit dem Sänger Sebastian Färber reiste Klette mit einem Mietwagen zu dem Konzert an. Dies legt nahe, dass Klette deutlich länger in der Naziszene aktiv war und möglicherweise auch 2004 noch für Blutstahl am Schlagzeug saß. Nach eigener Aussage will Klette 2003/2004 bereits für eine andere Band bei einem Konzert gegen Rechts gespielt haben und dafür im Vorbeigehen einen abfälligen Spruch von Ralf Wohlleben bekommen haben. Dies passt jedoch keineswegs mit dem Fakt zusammen, dass Klette im selben Jahr noch für Blutstahl spielte.

Sven Klette wirkte im Oktober 2021 bei einem Theaterprojekt mit, dessen Hauptförderer JenaKultur war.

Von weiteren Schritten im Sinne eines Ausstiegs ist nichts bekannt. In der Naziszene ist Klette seit 2004 auch nicht mehr aufgefallen. Sein Wissen über diejenigen, die das untergetauchte NSU-Kerntrio weiter unterstützten, behielt er all die Jahre für sich und deckte somit deren Leben im Untergrund. Bis heute lebt Sven Klette in Jena, ist gut in der Jenaer Kultur- und Musikszene vernetzt und arbeitet in Studios und am Schlagzeug in verschiedenen Bandprojekten mit. Erst im Oktober 2021 wirkte er an einer Theaterinszenierung des Theater Zink als Komponist mit. Hauptförderer der Inszenierung war JenaKultur.

Jürgen Länger (Beschaffer der Mordwaffe Ceska 83)

Jürgen Länger

Jürgen Länger kommt aus Jena und gehörte seit der Wende zur Naziszene. Zusammen mit anderen Nazis, aber auch mit Leuten aus dem kriminellen Milieu war er in eine Vielzahl von Diebstählen, Körperverletzungen und andere Straftaten verwickelt, die ihm Haftzeiten in der JVA Hohenleuben einbrachten. Länger beteiligte sich wiederholt an Naziaufmärschen und war mit den NSU-Helfern Ralf Wohlleben und André Kapke persönlich bekannt. Auch mit militanten Mitgliedern des Thüringer Heimatschutzes aus Rudolstadt pflegte Länger regen Kontakt. Auf einem Naziaufmarsch in Berlin teilte er zusammen mit Kapke Suppe an TeilnehmerInnen aus. Als Ralf Wohlleben im Szeneladen “Madley” nach einer Waffe fragte, wendete sich Mitbetreiber Andreas Schultz an Jürgen Länger. Länger beschaffte daraufhin eine Waffe mit Schalldämpfer und 50 Schuss, die Ceska 83, die er Schultz im Park neben der katholischen Kirche nahe des „Madley“ gegen 2000 DM verkaufte und mit der das NSU-Kerntrio später neun rassistische Morde verübte.

Im Laufe der 2000er Jahre nahmen Längers Kontakte in die rechte Szene ab. Gleichwohl fanden Ermittler auf 2012 beschlagnahmten Datenträgern Rechtsrock, antisemitische Chats und Bombenbauanleitungen. Auf Ansprache eines Nebenklagevertreters hin machte Länger nach 2012 Anspielungen aus dem Repertoire von Reichsbürgern. Länger selber bestritt vehement, die Waffe beschafft zu haben, leugnete alle möglichen Belege zu seinen kriminellen Machenschaften innerhalb der Szene und erklärte, nie in irgendeiner Richtung politisch gewesen zu sein (siehe NSU-Prozess). Länger ist regelmäßig als Taucher im Ausland unterwegs.

Länger hat in Altlobeda gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder eine Wohnung in der Straße Am Küchenhof 3. Er hat noch heute seine Garage im Garagenkomplex in Jena-Burgau, wo auch die NSU-Bombenwerkstatt war, und hält sich dort häufig auf.

Dirk Metzig

Dirk Metzig mit der Vertriebenen-Zeitschrift Der Schlesische Gebirgsbote.

Dirk Metzig studierte seit Mitte der Neunziger Jahre in Jena Theologie und war Mitglied und Pressesprecher der Burschenschaft Jenensia, die rechtskonservative CDU-Politiker und neofaschistische Burschenschafter miteinander vereinte. Ab spätestens 1997 wurde Metzig zum Neonazi-Aktivisten. Er war gut im Thüringer Heimatschutz vernetzt, beteiligte sich in Thüringen und in Magdeburg an Aufmärschen der NPD und nahm an Veranstaltungen des THS teil. Am 10.10.1998 beteiligte sich Metzig gemeinsam mit u.a. Tino Brandt, Carsten Schultze, André und Christian Kapke und Ralph Oertel an einer Störaktion gegen die JG Stadtmitte versuchte er gemeinsam mit Brandt und weiteren rund 40 Nazis, die JG Stadtmitte anzugreifen, was von der Polizei unterbunden wurde.

Brandt, Schultze und André Kapke waren zu dem Zeitpunkt schon seit einem halben Jahr mit der Hilfe des untergetauchten NSU-Kerntrios befasst. Als die Burschenschaft Jenensia 1999 den Arbeitgeber von Tino Brandt, Verleger Peter Dehoust, zu einem Vortrag nach Jena einlud, kam es zur Spaltung der Burschenschaft. Zum Schutz des Vortrags vor antifaschistischen Protesten organisierten Metzig, Ralph Oertel und Michael Stingl, also der THS-Flügel innerhalb der Jenensia, einen Auflauf ihrer militanten THS-Kameraden wie André Kapke und Carsten Schultze. Metzig und Kameraden wurden von den alten Herren ausgeschlossen und gründeten daraufhin die Burschenschaft Normannia. Am 12.02.2000 wurde die Burschenschaft unter Leitung von Dirk Metzig offiziell gegründet. Weitere Gründungsmitglieder waren Ralph Oertel (Thüringer Heimatschutz), Christian Kapke (Thüringer Heimatschutz und Blood&Honour-Liedermacher ‚Erlwig‘ von Eichenlaub) und Rick Wedow (NPD Jena). Im Herbst 2000 beteiligte sich Dirk Metzig erneut neben den NSU-Helfern Carsten Schultze und André Kapke an einer Veranstaltung des THS, als der neofaschistische Autor Claus Nordbruch zu einer Lesung nach Jena kam.

Während weiterer Stationen in Frankfurt und Hamburg engagierte sich Metzig, wie schon während seiner Studienzeit in Jena, in revisionistischen Vertriebenenverbänden. Er baute nicht nur den Thüringer Landesverband der Schlesischen Jugend auf, sondern fungierte parallel zu seinem Neonazi-Aktivismus auch als Vorstandsmitglied des Landesverbandes des Bundes der Vertriebenen (BdV) in Thüringen. Metzig ist bis in der Leitung des Arbeitskreis Landeshut innerhalb des BdV aktiv und ist Chefredakteur von deren Zeitschrift „Der Schlesische Gebirgsbote“. Er ist außerdem Mitglied in der revisionistischen Landsmannschaft Schlesien.

Dirk Metzig 2008 nach einem ökumenischen Gottesdienst.

Dirk Metzig ließ sich zum Pfarrer ausbilden, nicht jedoch, ohne auch dort Verbände am rechten Rand der Kirchen zu suchen. So war er Vikar der „Selbständigen Evangelischen Landeskirche“, bevor er zum Pfarrer wurde. Seit Ende 2018 ist Metzig Gefängnisseelsorger in der JVA Leipzig und damit im staatlich-kirchlichen Auftrag Vertrauensperson für die dortigen Gefangenen. Metzig hat keineswegs eine Abkehr von seiner rechten Ideologie vollzogen. So erklärt er zu seiner Motivation für die Mitgliedschaft in der Landsmannschaft Schlesien: „Sie wüßte sich einem gemeinsamen Morgen verpflichtet, in dem die christlichen Völker Europas ihre Lebensart bewahren und gemeinsam verteidigen.“ Die mörderische Blut-und-Boden-Ideologie des Thüringer Heimatschutzes vertritt er damit auch heute noch.

Dirk Metzig in der Gefängsniskapelle beim Tag der offenen Tür in der JVA Leipzig am 22.9.2019. (Foto: LVZ)

Ralph Oertel (erweitertes Jenaer NSU-Umfeld)

(v.l.n.r.) Tino Brandt, Rick Wedow, unbekannt und Ralph Oertel JN-Veranstaltung 1999 Ringwiese Jena. (Foto: Infoladen Jena)

Ralph Oertel gehört seit spätestens 1998 zur Jenaer Naziszene. Damals bewegte er sich im Umfeld der Jenaer NPD neben Rick Wedow, Ralf Wohlleben, André Kapke, Christian Kapke und Carsten Schultze. Oertel beteiligte sich an Infoständen und Aufmärschen und war an einem Übergriff auf die Junge Gemeinde Stadtmitte beteiligt. Seit der Gründung der Burschenschaft Normannia Ende 1999 wurde diese zu Oertels politischer Heimat. Anfang der 2000er war er jedoch auch zeitweilig Mitglied des Jenaer NPD-Kreisverbandes. Oertel studierte Geschichte und bewegte sich zunächst in den Räumlichkeiten der Normannia in der Schleidenstraße und danach im Braunen Haus in Alt-Lobeda. In Couleur (d.h. mit Band und Mütze der Normannia) schloss er sich 2004 der Fahrt zum Neonazi-Großaufmarsch nach Halbe an, zusammen mit dem Nationalen Widerstand Jena. Auf dem Rechtsrockfestival „Rock für Deutschland“ 2010 in Gera betrieb Oertel zusammen mit Mitgliedern der Kameradschaft Freies Netz Kahla einen Stand mit NS-Literatur.

Ralph Oertel (1.v.l.) und David Buresch (2.v.r.) am Bücherstand beim Rock für Deutschland am 10.7.2010 in Gera. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Nachdem der offizielle Sitz der Normannia mit der Schließung des Braunen Hauses wegfiel, verlagerten sich auch Oertels Aktivitäten zunehmend nach Kahla, wo er in die Renovierung des neuen rechten Hausprojekts in der Burg 19 involviert war.

Als Ralf Wohllebens Verteidigung im NSU-Prozess dessen vermeintliche Gewaltlosigkeit beweisen wollten, wurde beantragt, Ralph Oertel dazu als Zeugen zu hören. Oertel würde Wohlleben noch aus Zeiten vor dem Untertauchen des NSU-Kerntrios kennen und hätte seitdem lange mit ihm politisch zusammenarbeitet und wäre sein Freund, so die Argumentation der Verteidigung (siehe NSU-Watch). Zur Ladung kam es nicht. Oertel besuchte jedoch zusammen mit André Kapke Ende 2017 den NSU-Prozess.

Zur Zeit der aufkommenden Pegida-Bewegung orientierte sich auch die Burschenschaft Normannia weg von der in Jena ohnehin absenten NPD und hin zu den neueren neofaschistischen Organisationsangeboten. So arbeitete Oertel, inzwischen führender Kader der Normannia, auf verschiedenen Ebenen mit der Identitären Bewegung aus Halle zusammen und lud den österreichischen Identitären-Sprecher Martin Sellner zum Jahresfest der Normannia ein. Auch als Grafiker und Referent knüpfte Oertel neue Kontakte in der rechten Szene zwischen Identitären, FPÖ und Rechtsaußen-Burschenschaften. Er illustrierte u.a. Bücher für den Jungeuropa- oder den Antaios-Verlag. Seine alten Netzwerke in militanten Nazi-Kreisen pflegt Oertel gleichwohl weiter.

Ralph Oertel beim Rechtsrockfestival in Themar 15.7.2017.(Foto: Recherche Nord)

Nachdem in den Jahren 2019/2020 mehrere antifaschistische Recherchen zu Ralph Oertel und der Normannia erschienen und u.a. Neumitglieder aus den Reihen von AfD und EinProzent enttarnten, verlagerte Oertel die vormals im Namen der Normannia veranstalteten Lesungen und Hetzbeiträge zur Lokalpolitik in die neu gegründete Neonazigruppe „Aufbruch und Erneuerung“. Diese verfolgt nach außen eine Querfront-Strategie. Oertel wohnt in Jena in der Stauffenbergstr. 21 und ist regelmäßig in Kahla anzutreffen.

Ralph Oertel empfängt auswärtige Neonazi-Burschen bei einer Mensur am 22.8.2020 im Restaurant “Goldenes Schiff” in Maua. (Foto: Recherche Jena-SHK)

Christian Müller (geb. Kapke) (Mitwisser über HelferInnen und Fluchtort, ideologischer Unterstützer)

v.l.n.r.: Tino Brandt, Uwe Böhnhardt, André Kapke, Christian Kapke (im Vordergrund mit Fahne), Beate Zschäpe, Holger Gerlach, Jörg Krautheim (halb verdeckt) bei THS-Aufmarsch 1997 in Neuhaus am Rennweg (Bild: ZDF)

Christian Kapke (heute Müller) war Ende der 90er bis zum Beginn der 2000er Jahre Teil der Jenaer Naziszene. Er ist der Bruder des führenden THS-Aktivisten und NSU-Vertrauten André Kapke. Christian Kapke zählte Ende der 1990er Jahre zur jüngeren Generation der Jenaer Neonaziszene und war unter anderem mit Carsten Schultze aktiv. Überregional organisierte Kapke sich in völkischen Strukturen wie der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) und der Wanderjugend Gibor. Bis 2000 war er Vorsitzender des Thüringer Landesverbands der JLO. In Jena war Kapke Mitglied der Burschenschaft Jenensia und zählte nach deren Spaltung zu den Gründungsmitgliedern der neonazistischen Burschenschaft Normannia.

Christian Kapke (l.) und Sebastian Bratge am 04.09.1999 bei einem Aufmarsch von THS und NPD in Gera (Foto: Antifa Recherche Gera)

Zusammen mit der aus Nordhausen stammenden Claudia Walter (heute Schaar) gründete Kapke 1999 das LiedermacherInnenduo „Eichenlaub“. Walter war die Sängerin des Duos, während Kapke die Texte schrieb, Gitarre spielte und auch in einigen Liedern sang. Inhaltlich orientierten sich die Texte stark an Kapkes sonstigem neonazistischen Engagement. So werden in den Texten in geschichtsrevisionistischer Weise vor allem deutsche Soldaten als Helden gefeiert und der Verlust Ostpreußens und weiterer ehemals deutscher Gebiete beklagt. Aus den wenigen veröffentlichten Liedern sticht der Titel „5. Februar“ heraus. Dieses ist Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gewidmet, nachdem diese Jena verlassen hatten.

Cover und Backcover vom Eichenlaub-Album „Jötünheim“ (1999) mit dem Titel „5. Februar“ fürs NSU-Kerntrio

In einem Interview mit dem Magazin der „Blood & Honour Division Deutschland“ gibt Kapke an, dass er den Text nach dem Untertauchen geschrieben hat. Weiter drücken Walter und Kapke ihr Verständnis für das Handeln des Trios aus und geben an, dass sie sie mit am Besten kannten:

„Trotzdem stehen wir zu dem, was unsere 3 Kameraden da getan haben. Wir, die sie wohl mit am Besten kannten, können uns mittlerweile ganz gut vorstellen, warum sie diesen sehr zweifelhaften Weg gegangen sind. Aber wir verurteilen sie deshalb nicht, eben weil wir es auch irgendwo verstehen können. Aber allen, die nicht die genauen Hintergründe kennen, die dazu geführt haben, daß sie diesen Weg eingeschlagen haben, sollten es auf jeden Fall unterlassen über die 3 zu urteilen.“

Am Ende des Interviews grüßte Kapke u.a. einen Großteil der damaligen Jenaer Neonaziszene, was nochmal seine starke Einbindung in die Szene belegt. Darunter waren u.a. Dirk Metzig, Ralf Oertel, Matthias Bratge, Ralf Wohlleben, Jörg Krautheim, Tino Brandt, Maximilian Lemke. Außerdem grüßte er noch „Kameraden“ aus Mannheim, Hannover und Landshut. Kapke und Walter grüßten gemeinsam die „Wanderjugend Gibor“ und die beiden Burschenschaften Jenensia und Normannia.

Neben der Widmung eines Lieds an das NSU-Kerntrio leistete „Eichenlaub“ auch aktive Unterstützung für den NSU, indem sie auf ihren Konzerten Spenden für diese sammelten.

Auf Einladung des NSU-Unterstützers Holger Gerlach trat „Eichenlaub“ im Winter 1999 bei einem „Blood & Honour“ Liederabend gemeinsam mit „Stigger“ auf. Die Veranstaltung wurde durch den Führungskader Dieter Riefling eröffnet und begann mit einem Auftritt des früheren Gitarristen der Kultband „Screwdriver“, der nun unter dem Namen „Stigger“ auftrat. Der Sänger von „Screwdriver“ Ian Stuart gründete „Blood & Honour“ und wird bis heute international von Neonazis verehrt. Nach einigen Liedern von „Stigger“ betraten Christian Kapke und Claudia Walter als Eichenlaub die Bühne. Nach einigen Balladen coverte Kapke das Lied „Weißer Arischer Widerstand“ von der gleichnamigen Band und änderte in der letzten Strophe den Refrain in „Weißer Thüringer Heimatschutz“ ab, was zu großer Begeisterung bei den mitangereisten Jenaer Neonazis führte, zu denen u.a. Ralph Oertel zählte. Während des Lieds wurden im Publikum auch mehrfach Arme zum Hitlergruß hochgerissen.

In seinen späteren Aussagen im Münchner NSU-Prozess und vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss behauptet Kapke schon im folgenden Jahr aus der Neonaziszene ausgestiegen zu sein und nur noch in Burschenschaftskreisen aktiv gewesen zu sein. Bei diesen Burschenschaftskreisen handelte es sich jedoch um die Burschenschaft Normannia zu Jena, die bis heute eindeutig neonazistisch ist und zu dieser Zeit große personelle Überschneidungen zum Thüringer Heimatschutz aufwies. Für die Burschenschaft Normannia zahlte Kapke nach Eigenangaben noch bis 2004 Mitgliedsbeiträge. Nach dem Ende seiner Normannia-Mitgliedschaft habe er sich nach seiner Überzeugung aber komplett von der rechten Szene gelöst. Dem widerspricht, dass er noch bis Ende der 2000er Jahre gemeinsam mit dem Hallenser Neonazi Uwe Nolte Neofolk-Konzerte u.a. in Jena veranstaltete und für die Neofolk-Szene das Online-Portal „NonPop.de“ betrieb (in dessen Impressum er bis heute als Betreiber aufgeführt wird).

Wäre es Kapke mit seinem Ausstieg 2000 ernst gewesen hätte er möglicherweise die Morde und Sprengstoffanschläge des NSU verhindern können, indem er sein damaliges Wissen geteilt hätte. Erst in seiner Zeugenvernehmung im NSU-Prozess gab Kapke zu, dass ihm bereits 2000 von der NPD-Aktivistin Edda Schmidt bei einer Veranstaltung mitgeteilt wurde, dass sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Chemnitz aufhalten. Statt sich aktiv an der Aufklärung des Jenaer NSU-UnterstützerInnennetzwerks durch das Teilen seines gesamten Wissens über die damaligen Strukturen zu beteiligen, inszenierte sich Kapke nach der Selbstenttarnung des NSU selbst als Opfer indem er Journalist*innen, die seinen Namen im Zusammenhang mit dem NSU verwendeten, verklagte. Indem er dieses Wissen nicht teilte, hielt er das Versprechen, das er 1999 im Lied „5. Februar“ formulierte, ein: „Die Kameradschaft bleibt besteh‘n, sollten wir uns auch nicht mehr wiederseh‘n. Der Kampf geht weiter nur voran, für unser deutsches Vaterland.“

Neuer Nachname, das Bild bleibt dasselbe: Christian Müller / Kapke Webdesign

Mittlerweile hat Kapke seinen Namen in Christian Müller geändert. Der „Aussteiger“ lebt weiterhin im Jenaer Westviertel und führt ein bürgerliches Leben. Er ist Gründer und Inhaber der Beratungsfirma Proagile GmbH, die ihren Sitz in der Moritz-Rohr-Straße 1a am Jenaer Beutenberg hat. Kapke berät mit seiner Firma u. a. öffentliche Auftraggeber, Sparkassen und globale Konzerne. Neben seinem Unternehmertum ist er als Gastdozent für die Digital Business School tätig.

Christian Müller (ehem. Kapke) als Konferenzredner zu New Economy und New Work

Claudia Schaar (geb. Walter) (ideologische Unterstützerin der Untergetauchten)

Claudia Walter mit Eichenlaub bei Blood & Honour Liederabend 1999 in Hildesheim.

Claudia Walter gehörte in den 1990er Jahren zur Jenaer Naziszene und zum Umfeld der Kameradschaft Jena. Gemeinsam mit Christian Kapke bildete sie 1999 das Liedermacherduo „Eichenlaub“, bei dem sie unter dem Pseudonym „Jecha“ auftrat. Im selben Jahr veröffentlichen sie ihr Debütalbum „Jötunheim“, benannt nach germanischen Mythen rund um Odin. Auf diesem Album widmeten sie das Lied „5. Februar“, mit dem sie auf den Tag der Durchsuchungen bei Uwe Böhnhardt und der Bombenwerkstatt in einer Burgauer Garage Bezug nehmen, den Untergetauchten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. De facto war die Durchsuchung am 28.01.1998. In „5. Februar“ singen Kapke und Walter: „Die Kameradschaft bleibt bestehen, sollten wir uns auch nicht wiedersehen. Der Kampf geht weiter nur voran.“ In der Folgezeit konnte Eichenlaub ihr Netzwerk schnell ausbauen, sodass sie im selben Jahr noch bei Blood & Honour Niedersachsen in Hildesheim auf der Bühne standen und im Jahr 2000 in einer Zeitschrift des Blood & Honour-Netzwerks ein Interview gaben. Darin bekräftigen Kapke und Walter ihre Unterstützung für das NSU-Kerntrio, das wegen antisemitischer Hetze, Bombenatrappen und der Herstellung scharfer Bomben gesucht wurde:

„Trotzdem stehen wir zu dem was unsere drei Kameraden da getan haben. Wir, die sie wohl am besten kannten, können uns mittlerweile ganz gut vorstellen, warum sie diesen zweifelhaften Weg gegangen sind. Aber wir verurteilen sie deswegen nicht, eben weil wir sie auch irgendwie verstehen können. Aber allen, die nicht die genauen Hintergründe kennen, die dazu geführt haben, daß sie diesen Weg eingeschlagen haben, sollte es auf jedenfall unterlassen über die drei zu urteilen.“ (Fehler im Original)

Claudia Schaar und Christian Kapke als “Eichenlaub”.

Über Christian Kapkes Mitgliedschaft in der Jenaer Burschenschaft Normannia und seiner gleichzeitigen Aktivität für die Junge Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) lernte Claudia Walter den Heidelberger Burschenschafter und JLO-Aktivisten Christian Schaar kennen. Seit deren Hochzeit heißt sie Claudia Schaar. Das Paar wohnt bei Birkenau im südwestlichen Hessen, wo Christian Schaar ein Planungsbüro für ökologisches Bauen „im nordischen Stil“ betreibt (siehe Autonome Antifa Nordbaden). Ein solches Haus wird von Claudia Schaar seit 2018 auch als Feriendomizil angeboten. Christian Schaar ist alter Herr der Burschenschaft Normannia zu Heidelberg, die schon häufiger mit Hitlergrüßen und Kontakten in Neonazi-Netzwerke auffiel (siehe Linksunten). Zuletzt schaffte sie es 2020 in die Schlagzeilen, als ein jüdischer Gast auf einer ihrer Feiern antisemitisch beleidigt, mit Geldmünzen beworfen und mit einem Gürtel geschlagen wurde.

Schaar betreibt laut Impressum seit 2018 das Ferienhaus „Landhaus Birka“ auf der Insel Usedom. Im Impressum gibt sie als Adresse Am Heiligenberg 2, 69488 Birkenau an.

Nicole Schneiders

Nicole Schneiders (mittig, graue Jacke) und Carsten Schultze (mittig, schwarzer Mantel) beim Aufmarsch von THS und NPD am 12.2.2000 in Gera. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Die 1979 geborene Nicole Schäfer gehörte schon als Jugendliche zur organisierten Naziszene in der Region Heilbronn. Sie war Teil der Kameradschaftstreffen des „Geheimbundes“ von Michael Dangel und beteiligte sich an Treffen der später verbotenen FAP in Stuttgart. Zusammen mit ihrem Heilbronner Kameraden Michael Stingl ging sie zum Studium nach Jena. Während Stingl, mit dem Schäfer während ihrer Jenaer Zeit zusammen war, Medizin studierte, begann Schäfer ein Jurastudium. In Jena fand sie Anschluss an die Aktivisten vom Thüringer Heimatschutz, insbesondere an Ralf Wohlleben, Carsten Schultze, Rick Wedow und Ronny Artmann, die Ende der Neunziger Jahre in Jena die NPD aufbauten. Im Jahr 2000 trat auch Schäfer der NPD bei und blieb bis mindestens 2002 Mitglied. In ihrem Beitrittsjahr marschierte Schäfer auch zusammen mit Carsten Schultze, der zu jener Zeit bereits tief in die Unterstützung des untergetauchten NSU-Kerntrios involviert war und in Wohllebens Auftrag die Mordwaffe Ceska 83 besorgte, in einem Aufmarsch von THS und NPD in Gera mit.

Nachdem der THS infolge der Enttarnung von Tino Brandt als V-Mann 2001, interner Streitigkeiten und dem Aufbau der NPD an Relevanz verlor, engagierte sich Schäfer zusammen mit Wohlleben für die NPD und nahm u.a. an Schulungsveranstaltungen teil.

Nicole Schneiders (in blau) und Ralf Wohlleben (1.v.r.) bei einer JN-Schulung 2002. (Bild: ZDF)

Nach ihrer Rückkehr nach Mannheim 2003 lernte Schäfer den baden-württembergischen Neonazi Dominik Schneiders kennen, den sie 2005 heiratete und dessen Nachnamen sie annahm. Beide waren in der Kameradschaft Karlsruhe aktiv und organisierten u.a. Aufmärsche zusammen. Ihr Studium beendete sie dann an der Universität Mannheim. Nicole Schneiders war regional im Rhein-Neckar-Forum mit miltanten Neonazis vernetzt. In den späten 2000er Jahren war Schneiders auch Mitglied der Hilfsorganisation für Nationale Gefangene (HNG). Bis mindestens 2011 war sie im Netzwerk der Karlsruher Kameradschaft aktiv, wo sie u.a. Rechtsschulungen organisierte.

Nach Ralf Wohllebens Verhaftung 2011 übernahm Nicole Schneiders das Mandat für seine Verteidigung im NSU-Prozess. Nach mehreren Kanzleiwechseln gründete sie zusammen mit dem Neonazi Steffen Hammer, ehemals Sänger der Blood&Honour-Band Noie Werte, und dem früheren Sänger und Bassisten der Rechtsrockband Ultima Ratio, Alexander Heinig, in Reutlingen eine gemeinsame Kanzlei.

Nicole Schneiders und Ralf Wohlleben im NSU-Prozess. (Foto: Tagesspiegel)

Nicole Schneiders versuchte nach 2011 zunächst noch Berichte über ihre NPD-Mitgliedschaft zu dementieren, bis Antifaschist*innen auf Linksunten Indymedia Kontoauszüge veröffentlichten, die ihre Beitragszahlungen an Ralf Wohlleben belegten. Journalist*innen drohte sie mit Klagen, wenn sie Schneiders als Nazi-Anwältin bezeichnen würden. Schneiders will bis heute nicht als politische Aktivistin gesehen werden. Ungeachtet dessen beteiligte sie sich am 1. Mai 2021 an einem bundesweiten Aufmarsch der NPD in Essen.

Nicole Schneiders beim NPD-Aufmarsch in Essen am 01.05.2021. (Foto: Pixelarchiv)

Carsten Schultze (NSU-Helfer, Beschaffer der Česká 83)

Carsten Schultze bei einem Aufmarsch von NPD und Thüringer Heimatschutz in Gera am 12.02.2000 (Foto: Antifa Recherche Gera)

Carsten Schultze stieß Mitte der 1990er zur Jenaer Naziszene und zählte bald zum Kern der Kameradschaft Jena. Schon als Schüler lernte er den jugendlichen Neonazi Christian Kapke bei der Nachhilfe kennen. Christian und sein älterer Bruder André Kapke pflegten damals enge Kontakte nach Saalfeld-Rudolstadt, wo sie zusammen mit Mario Brehme, Tino Brandt und anderen Neonazis den Thüringer Heimatschutz aufbauten. Bei einer Busfahrt zu einem Aufmarsch in München 1997 lernte Carsten Schultze dann neben Ralf Wohlleben auch Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt kennen. Schultze wohnte zu jener Zeit in Jena-Winzerla in der Boegeholdstraße direkt neben Ralf Wohlleben. Im selben Aufgang wie Wohlleben wohnte auch Sven Klette, dessen Rechtsrockband „Vergeltung“ im von Neonazis dominierten Jugendzentrum „Winzerclub“ probte, das fünf Minuten Gehweg entfernt lag. Carsten Schultze war in der Zeit u.a. an einem Angriff auf die JG Stadtmitte beteiligt, schlug an einem Dönerstand in Burgau die Scheiben ein oder lief mit dem späteren Mitgründer der Burschenschaft Normannia, Ralph Oertel, durch den Kaufland in Lobeda-West, während Oertel einen Unbekannten antisemitisch beleidigte.

Carsten Schultze (l.) und Ronny Artmann 1999 bei der Störung einer PDS-Veranstaltung in der Jenaer Ringwiese (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Nach der Flucht von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zählte Schultze neben André Kapke, Holger Gerlach, Ralf Wohlleben und Jürgen Helbig zu deren wichtigsten Unterstützern. Kapke und Wohlleben wähnten sich starken Überwachungsmaßnahmen ausgesetzt, weswegen sie Schultze und Jürgen Helbig vorschickten, um Anrufe des Kerntrios oder von deren Chemnitzer UnterstützerInnen anzunehmen. Auch verschiedene Kurierfahrten wurden vornehmlich von Schultze und Helbig gemacht. Als die Untergetauchten nach einer Waffe fragten, wurde Schultze von Wohlleben in den rechten Szeneladen „Madley“ in die Wagnergasse geschickt. Über den Co-Betreiber Andreas Schultz kaufte Schultze mit Geld, das ihm Ralf Wohlleben gab, bei Andreas Schultz die spätere Mordwaffe Česká 83. Diese brachte er auch persönlich zum späteren NSU-Kerntrio nach Chemnitz. Einige Monate nach dem Abtauchen brach Schultze außerdem in Beate Zschäpes ehemalige Wohnung in Winzerla ein, um zurückgelassene Dokumente beiseite zu schaffen.

In den beiden Folgejahren wurde Schultze NPD-Mitglied und engagierte sich im Kreisverband Jena. Nach Gründung des Thüringer JN-Landesverbandes 1999 durch Schultze und Sandro Tauber aus Rudolstadt wurde Schultze zum stellvertretenden JN-Landesvorsitzenden gewählt. Einer seiner engen Begleiter war dabei Ronny Artmann, demgegenüber Schultze auch zum Ärger von Wohlleben und Kapke äußerte, dass er über den sicheren Verbleib der Kerntrios in Kenntnis wäre. Artmann gegenüber vertraute sich Schultze auch später an, als er sich innerlich von der Naziszene distanzierte und einen Wegzug aus Jena in Erwägung zog. 2001 verließ Schultze dann die Szene und die Stadt Jena in Richtung Nordrhein-Westfalen.

Als Carsten Schultze im Rahmen der Ermittlungen nach der NSU-Selbstenttarnung polizeilich verhört wurde, machte er umfassende Aussagen, in denen er sich selber und u.a. Ralf Wohlleben schwer belastete. Schultze zeigte Reue und sagte deutlich mehr aus, als die Ermittler*innen hätten wissen können. Er wurde aufgrund seines Alters zum Zeitpunkt der Waffenbeschaffung nach Jugendstrafrecht zu drei Jahren verurteilt. Wenngleich Schultze durch seine Aussagen zur Aufklärung des NSU-Komplexes und Verurteilung anderer NSU-Helfer beitrug, hat er über den gesamten Verlauf der Mordserie hinweg keinen Ton gesagt – auch dann nicht, als er sich nach eigenen Aussagen persönlich und räumlich von der Naziszene distanziert hatte. Vor dem Hintergrund, dass die Untergetauchten ihm als fanatische Neonazis bekannt waren, die bereits erste Erfahrungen in Schießübungen hatten und Rohrbomben gebaut hatten, muss sein jahrelanges Schweigen über die Übergabe einer Schusswaffe als seine Mitverantwortung für das Gelingen der Mordserie festgehalten werden.

Michael Stingl

Michael Stingl (r.) im Dezember 1999 bei der Lesung von Peter Dehoust in Jena. (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Michael Stingl stammt aus Heilbronn und war dort schon in den frühen Neunzigen als Neonazi aktiv. Der örtliche Führungskader Michael Dangel organisierte Kameradschaftstreffen unter dem Namen Geheimbund, an dem neben Stingl auch Nicole Schneiders teilnahm. Michael Dangel stand zu jener Zeit bereits im Austausch mit Thomas Starke und Hendrik Lasch, die später Blood&Honour Sachsen gründeten und zu den wichtigsten Helfern des untergetauchten NSU-Kerntrios wurden.

Michael Stingl ging dann 1996 Jena, um dort Medizin zu studieren. Zeitgleich begann Nicole Schneiders in Jena ihr Jurastudium. Stingl und Schneiders waren zur Jenaer Zeit ein Paar. Michael Stingl trat der Burschenschaft Jenensia bei, wo er andere Neonazis wie Dirk Metzig kennenlernte. Als die Jenensia 1999 den neofaschistischen Verleger und Arbeitgeber von Tino Brandt, Peter Dehoust aus Coburg, zu einer Lesung einlud, kam es zur Spaltung der Jenensia. Die alten Herren fürchteten um eine Rufschädigung, da die Jenensia zum Schutz der Lesung den Thüringer Heimatschutz um André Kapke, Tino Brandt und Carsten Schultze mitbrachte. Infolgedessen wurden die Neonazi-Burschen von den rechtskonservativen alten Herren rausgeworfen und gründeten unter Leitung von Dirk Metzig im Februar 2000 die Burschenschaft Normannia. Neben Metzig und Michael Stingl waren dabei Christian Kapke (Thüringer Heimatschutz, Blood&Honour-Liedermacher), Rick Wedow (NPD) und Ralph Oertel (Thüringer Heimatschutz) federführend. Stingl war in diesen Jahren auch mit den NSU-Helfern André Kapke und Ralf Wohlleben sehr vertraut.

Michael Stingl 2008. (Foto: Soziale Medien)

Nachdem Stingl 2003-2005 seine Praxiszeit am Uniklinikum Jena absolvierte, ging er 2006 zurück in den Landkreis Heilbronn, um in der Chriurgie des Krankenhauses in Möckmühl zu arbeiten. Nach einer Zeit als Assistenzarzt in Heilbronn arbeitete Stingl weiter in Möckmühl und begann parallel im Jahr 2018 eine Stelle als Chirurg am Zentrum Medicross in Neckarsulm.

Michael Stingl als Chirurg bei MediCross in Neckarsulm. (Foto: Soziale Medien)

Enrico Theile (Beschaffer der Mordwaffe Ceska 83)

Enrico Theile

Enrico Theile ist in den 1990er Jahren in Jena-Göschwitz aufgewachsen. Schon in seiner Jugend organisierte er sich mit anderen Jugendlichen v.a. aus Lobeda, um gemeinsam Autos zu klauen. Dies führte 1993 zu einem Haftaufenthalt in der JVA Hohenleuben. Sein damaliger Zellengenosse Jürgen Länger, der ebenfalls aus Jena stammt, wurde für ihn in den nächsten Jahrzehnten ein wichtiger Kontakt mit dem er zusammen Überfälle begann und eine gemeinsame neonazistische Ideologie teilte. Ebenfalls zur gleichen Zeit saßen in der JVA Hohenleuben Uwe Böhnhardt und Sven Rosemann. Theile baute vor allem zu Böhnhardt Kontakt auf und war bis Mitte der 1990er Jahre gemeinsam mit Böhnhardt Teil einer kriminellen Bande in Lobeda, die auch Zugang zu scharfen Waffen hatte. Dieser Kontakt blieb auch bis zum Wegzug des NSU-Kerntrios nach Chemnitz bestehen: Theile hatte eine Garage im gleichen Garagenkomplex, in dem der NSU seine Bombenwerkstatt hatte und schraubte dort gemeinsam mit Böhnhardt an Autos.

Gemeinsam mit seinem engen Freund Jürgen Länger schloss sich Theile Mitte der 1990er Jahre der Ehrhardt Bande um Ron und Gil Ehrhardt an. Länger wurde schon zu dieser Zeit vom Anführer der Bande, Ron Ehrhardt, in einer polizeilichen Vernehmung als rechter Skinhead bezeichnet. Der Bezug zur rechten Szene verdichtet sich durch seine Teilnahme an einem Rudolf-Hess-Marsch im Jahr 1994, bei dem er außerdem eine Schusswaffe mitgeführt haben soll.

Schon zu Beginn der 1990er Jahre baute Enrico Theile Kontakt zu dem damals in Apolda lebenden Hans-Ulrich Müller auf. Dieser betrieb dort einen Autoteilehandel, der die von Theile und seinem Umfeld gestohlenen Autos abnahm. Müller zog später in die Schweiz, wo er sich dem Waffenhandel widmete. Für die Ehrhardt-Bande wurde er ein wichtiger Bezugspunkt, um über die Schweiz an Waffen zu kommen.

Als Carsten Schultze nach Untertauchen des NSU-Kerntrios von Ralf Wohlleben den Auftrag erhielt eine scharfe Waffe für Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zu besorgen, wendete sich dieser an den Mitbetreiber des Szeneladens „Madley“, Andreas Schultz. Schultz trug den Auftrag an Jürgen Länger weiter und erhielt von diesem eine Ceska Handfeuerwaffe inklusive Schalldämpfer, die Carsten Schultze an das NSU Kerntrio übergab und von diesem für mindestens neun rassistische Morde zwischen 2000 und 2006 verwendet wurde. Die Waffe wurde von Hans-Ulrich Müller nach Jena geschmuggelt. Enrico Theile gab bei einer polizeilichen Vernehmung nach der Selbstenttarnung des NSU an, dass er das Bindeglied zwischen Länger und Müller sei, womit auch bei diesem Handel mit der späteren Mordwaffe davon ausgegangen werden muss, dass Theile an diesem beteiligt war.

Ein weiteres Indiz für Theiles Mitwisserschaft an der Besorgung der Mordwaffe ist sein Verhalten Ende 2011, nachdem sich der NSU selbst enttarnt hatte: Als die Hausdurchsuchungen bei mutmaßlichen UnterstützerInnen des NSU begannen, bekam auch Theile Panik und hob eine große Bargeldsumme von seinem Konto ab, die er für einen möglichen Haftaufenthalt zur Verfügung haben wollte. In einer polizeilichen Vernehmung gab er an, dass er so gehandelt hatte, weil er damit rechnete verhaftet zu werden „als die Nazisache hochgekommen ist“. Dies hatte er auch mit Jürgen Länger abgesprochen, zu dem er zu dieser Zeit weiterhin Kontakt hatte und der ebenfalls große Geldmengen in direktem zeitlichen Zusammenhang mit der Selbstenttarnung von seinem Konto abhob. Als die Polizei 2012 Hausdurchsuchungen bei Theile und Länger durchführte, stand auch Längers Auto auf dem Grundstück von Theile, der zu diesem Zeitpunkt in Limburg a. d. Lahn lebte.

Theile übernahm im NSU-Prozess in München keinerlei Verantwortung für die Mithilfe, die er bei der Beschaffung der Waffe geleistet hat, die der NSU für mindestens 9 rassistisch motivierte Morde einsetzte. Stattdessen antwortete er auf nahezu jede Frage, die zu einer weiteren Aufklärung hätte beitragen können, dass er sich daran nicht erinnern könne. Eine Stelle in seiner Zeugenvernehmung ist jedoch bemerkenswert: Als ein Nebenklagevertreter Theile befragt, ob dieser Informant oder V-Mann (gewesen) sei, gibt dieser nach einer langen Bedenkpause an, dass er sich daran nicht erinnern könne.

Tom Turner

Vergeltung-Demotape 1995

Tom Turner (Jahrgang 1977) war Mitgründer der Kameradschaft Jena und seit Anfang der Neunziger mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe befreundet. Weitere Personen aus dem NSU UnterstützerInnenumfeld wie Ralf Wohlleben, Holger Gerlach und André Kapke lernte Turner über den städtischen „Winzerclub“ kennen. Aus diesem Umfeld gründete sich 1995 die „Kameradschaft Jena“, für die Turner für das Sammeln des Mitgliedsbeitrags von 20 DM monatlich verantwortlich war und Buch führte. Turner war dann auch an den ersten Stammtischen mit der Kameradschaft Saalfeld beteiligt und fuhr mit dem „Thüringer Heimatschutz“ (THS) bundesweit zu Neonazi-Aufmärschen. Zur selben Zeit gründete er als Sänger mit u.a. Ronny Weigmann zusammen die Rechtsrockband „Vergeltung“. Am 15. September 1995 überfiel eine Gruppe von ca. 40 Neonazis ein alternatives Konzert im Jenaer Planetarium. Ein Eindringen der Nazis in den Konzertsaal konnte nur durch das schnelle Verriegeln der Türen durch die Ordner*innen verhindert werden. Unter den im Anschluss festgenommenen Neonazis befanden sich neben späteren führenden THS-Kadern wie dem V-Mann Tino Brandt oder Christoph Nicolaus auch die Mitglieder von „Vergeltung“ Roy Eddel, Marcel Gierschke und Tom Turner und der spätere NSU-Waffenlieferant Andreas Schultz. Im gleichen Jahr war Turner auch an einer Kreuzverbrennung im Stile des Ku-Klux-Klans in der Nähe von Jena beteiligt und wurde damals auf einem Foto identifiziert, auf dem er den Hitlergruß zeigte. Zusammen mit Zschäpe und Mundlos pflegte Turner auch Kontakte in die Rostocker Naziszene, wo der NSU 2004 Mehmet Turgut ermordete.

Da ihm die Regeln innerhalb der Kameradschaft nach eigener Aussage schnell zu streng wurden, wandte er sich von dieser ab und stärker „Blood & Honour“ und der eng damit verbundenen Gruppe „Hatebrothers 88 Kahla“ aus dem Saale-Holzland-Kreis zu. Seine Verbundenheit zu „Blood & Honour“ drückte Turner auch durch ein Tattoo am Kopf mit dem Schriftzug „BLOOD & HONOUR“ und einer Triskele in der Mitte aus. In dieser Szene bewegten sich auch die Betreiber des Szeneladens „Madley“, Frank Liebau und Andreas Schultz, mit denen Turner eng befreundet war und auch zu internationalen Rechtsrockkonzerten nach Schweden, Polen und Tschechien fuhr. Im Raum Kahla/Stadtroda fielen die Hatebrothers regelmäßig durch Übergriffe, Rechtsrockpartys oder Neonazi-Parolen in der Öffentlichkeit auf. Vor allem mit dem Stadtrodaer Maik Bügel und den Kahlaern André Merker und Jörg Brehski war Turner in jener Zeit unterwegs. Über Liebau kannte Turner auch den späteren NSU-Waffenbeschaffer Jürgen Länger. Auch beim Verkäufer der NSU-Tatwaffe, Andreas Schultz vom Madley-Szeneladen, trafen sich die Hatebrothers in Trockenborn-Wolfersdorf in den späten Neunzigern und frühen 2000ern. Turner wohnte auch eine Zeit lang bei Schultz.

In den 2000er Jahren zog Turner zunächst zurück nach Jena, wo er in der Otto-Schott-Str. im Südviertel wohnte. Nachdem er 2009 aus Jena wegzog, lebte er für einige Zeit in Gräfenried in der Schweiz. Danach zog er 2013 zurück nach Deutschland, nach Marl in NRW.

Rick Wedow

Rick Wedow 1999 im Pulk der Kameradschaft Jena am Rande einer PDS-Veranstaltung.

Rick Wedow gehörte schon seit Anfang der 1990er Jahre zur Naziszene in Jena. Er ging mit Uwe Böhnhardt gemeinsam zur Schule und lernte Mitte der Neunziger Ralf Wohlleben kennen. Zusammen mit diesem gründete er später den Jenaer NPD-Kreisverband. Im neu gegründeten Stadtverband wurde Wedow zum Beisitzer gewählt. Nur wenig später zählte Wedow zu den Gründungsmitgliedern der aus dem Heimatschutz heraus gegründeten Neonazi-Burschenschaft Normannia zu Jena.

Rick Wedow (l.) und Ralph Oertel bei einem NPD-Infostand 1999 am Jenaer Eichplatz. (Foto: Infoladen Jena)

Ab 2001 war Wedow Mitglied im Vorstand der Jenaer NPD. Wedow blieb über die 2000er Jahre hinweg in der Szene aktiv und sowohl Mitglied in der NPD als auch der Normannia. Nach Ralf Wohllebens Rücktritt als Jenaer NPD-Kreisvorsitzender Ende 2010 trat Wedow seine Nachfolge an (siehe Infoladen Jena).

Nach Wohllebens Verhaftung infolge der NSU-Selbstenttarnung war Rick Wedow als Helfer von Jacqueline Wohlleben zur Stelle. Wohllebens Verteidigerin im NSU-Prozess Nicole Schneiders, selber ehemalige NPD-Aktivistin aus Jena, beantragte Rick Wedows Ladung als Zeuge im Prozess. Wedow sollte Wohlleben bescheinigen, ein friedfertiger und der Völkerverständigung verpflichteter Neonazi zu sein (siehe NSU-Watch). Der Antrag wurde abgelehnt.

André Kapke und Rick Wedow 4.9.1999 auf einem Aufmarsch von NPD, Thüringer Heimatschutz und Blood & Honour in Gera. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Als das Jenaer Braune Haus, das bis ca. 2010 als Stützpunkt für Kameradschaft, NPD und Burschenschaft Normannia diente, schließen musste, kaufte Rick Wedow zusammen mit dem Baden-Württemberger Neonazi Martin Schild ein Ersatzobjekt in Kahla. In der dortigen Burg 19 richteten sich die Burschenschaft Normannia und Kahlaer NPD-Aktivisten ein. Wedow ist selber auch weiterhin Mitglied der Normannia und nimmt an ihren Treffen teil.

Als sich im Jahr 2020 im Raum Kahla eine neue Neonazigruppe unter dem Namen „Aufbruch und Erneuerung“ hervortat, kristallisierte sich schnell heraus, dass sie eine Neuorganisierung von Ralph Oertel, Rick Wedow und weiteren Normannia-Mitgliedern unter neuem Namen war.

Heute wohnt Rick Wedow in Jena an der Schnellstraße B88 nahe Wöllnitz in der Unterdorfstr. 10a. Unter dieser Adresse hat er auch die Wedow Immobilien KG registriert.

Rick Wedow am 22.8.2020 bei einem Mensurtag rechtsradikaler Burschenschaften in Jena-Maua. (Foto: Rechercheportal Jena-SHK)

Juliane Walther (V-Frau, Fluchthelferin und Mitwisserin über UnterstützerInnen)

Juliane Walther ca. 2013.

Juliane Walther lernte Ralf Wohlleben schon in ihrer Jugend in den Neunziger Jahren in Jena kennen und kam mit ihm zusammen. Später bezogen sie eine gemeinsame Wohnung in Winzerla. Um die Jahre 1996/1997 lernte sie weitere Mitglieder der Kameradschaft Jena kennen, darunter auch Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Mit den dreien und Ralf Wohlleben zusammen spielte Walther auch mal dass Shoa-verherrlichende Spiel „Pogromly“, von dem Walther und Wohlleben nach dem Untertauchen des Trio im Keller mehrere Exemplare zum Verkauf lagerten. Auch Tino Brandt war bei Wohlleben und Walther in Jena häufiger zu Gast. Walther verklebte in der Zeit auch rechte Sticker, beteiligte sich an Aufmärschen und fuhr mit zu einer Sonnenwendfeier in Saalfeld, zusammen mit Wohlleben, André und Christian Kapke und Volker Henck.

Am Tag der Durchsuchungen haben Uwe Böhnhardt und Volker Henck sie morgens bei ihrer Ausbildungsstelle an der Überbetrieblichen Ausbildungsgesellschaft (ÜAG) abgeholt und gemeint, dass sie schnell mitkommen müsse, weil es möglich sei, dass Wohlleben in Haft kommen könnte. Darauf ist sie mit Henck in Mundlos‘ Auto nach Erfurt zu Ralf Wohllebens Berufsschule gefahren. Nachdem sie in separaten Autos mit Wohlleben und Henck zurück nach Jena gefahren waren, sollte Walther anstelle der anderen in Mundlos‘ Wohnung gehen, um Sachen für ihn abzuholen. Dort traf sie auf die Polizei, der sie erzählte, dass sie zum Fernsehschauen vorbeigekommen wäre. Beamte hielten dazu fest, dass es in der Wohnung gar keinen Fernseher gegeben hätte. Zwei Tage später erschien Walther in Begleitung von André Kapke mit einer handschriftlichen Vollmacht von Zschäpe bei der Polizei und verlangte Zschäpes Schlüssel. Anfang März 1998 erschien Walther am Arbeitsplatz von Uwe Mundlos‘ Mutter und forderte diese auf, für ihren Sohn ein Konto mit Kreditkarte zu eröffnen, die dann Walther an Uwe Mundlos weitergeben würde.

Im Spätsommer 1998 wurde Walther nach eigener Aussage zweimal vom Verfassungsschutz auf und nach der Arbeit aufgesucht. Sie hätte beide Male auf die Frage nach Verbleib der drei Untergetauchten keine Antwort gewusst, aber trotzdem jeweils 100 DM in bar bekommen. Damit sei auch der Auftrag verbunden gewesen, sich bei Wohlleben nach den drei zu erkundigen, was Walther jedoch unterlassen haben will. Der Verfassungschutz selber spricht von fünf bis sechs Treffen und einer höheren Summe Geld, die gezahlt worden sei.

In derselben Zeit haben Ralf Wohlleben und Juliane Walther auch mal den nach Hannover gezogenen ehemaligen Jenaer Holger Gerlach besucht. Gerlach wurde später zu einem der wichtigsten Helfer des NSU.

Nach der Selbstenttarnung des NSU wurde Walthers Rolle in einer kritischen Öffentlichkeit beleuchtet und auch bei politischen Aktionen ihr Gesicht gezeigt. Dagegen habe sie Anzeige erstattet, das Verfahren sei aber eingestellt worden. Über den Thüringer Heimatschutz sagte sie im Münchner Prozess, dass die Mitglieder „rechts angehaucht“ gewesen wären (NSU-Watch 98. Verhandlungstag 26.3.2014). Sie selber will bei allem nur Mitläuferin gewesen sein, erst später verstanden haben, dass es beim Thüringer Heimatschutz nicht um Naturschutz ginge und gibt vor, mit Wohlleben vor allem über Kochen und Arbeit gesprochen zu haben. Ihren Stiefvater, der nicht weiß ist, hätte sie aber trotzdem niemals ihren Neonazi-FreundInnen vorgestellt – „aus Angst, dass ihm was passiert“ (NSU-Untersuchungsausschuss Thüringen 30.11.2017).

Im Jahr 2007 traf Walther über den Fußballverein SV Lobeda 77 Ronny Artmann wieder, der zeitgleich mit ihr in der Jenaer Naziszene aktiv gewesen war und ebenfalls Kontakt zum Verfassungsschutz hatte. Die beiden verbindet seitdem eine Freundschaft und eine Verbundenheit darin, sich vermeintlich ungerechtfertigterweise öffentlicher Kritik ausgesetzt zu sehen. Juliane Walther arbeitete bis mindestens 2017 als Medizinproduktberaterin im Sanitätsfachhandel. Sie ist heute im Elternbeirat der Jenaer KiTa Anne Frank in Jena-Lobeda.

Ronny Artmann (ex-THS und JN) und Juliane Walther.

Ronny „Tuffy“ Weigmann

Ronny „Tuffi“ Weigmann

Der 1975 geborene Ronny Weigmann (Spitzname „Tuffy“) war in den 1990er Jahren aktiver Teil der Naziszene in Jena. Bereits in seiner Jugend war er mit Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe befreundet. An der Kreuzverbrennung oberhalb von Winzerla, von der es Fotos mit dem späteren NSU-Kenrtrio gibt, war auch Ronny Weigmann beteiligt. In der Rechtsrockband „Vergeltung“, die im Winzerclub probte, spielte Weigmann ab 1995 Bass. Die Proben waren teilweise auch Treffpunkt der örtlichen Naziszene u.a. von den NSU-UnterstützerInnen Ralf Wohlleben, Juliane Walther und Carsten Schultze. 1998 war Weigmann an der Eröffnung des Szeneladens “Dog House” in der Erlanger Allee in Lobeda-Ost beteiligt. Mitbetreiber Mario Voigt organisierte im Folgejahr ein Konzert mit Vergeltung, Division Wiking (Jena), Oigenik (Gera) und Volksverhetzer (Sonneberg) in Triptis.

Cover des Vergeltung-Demotapes 1995.

In dern 2000er Jahren lebte Weigmann in Troisdorf bei Bonn. Inzwischen wohnt er jedoch im südthüringischen Brotterode. Zur Naziszene zählt Weigmann auch heute noch. Zum Rechtsrockfestival „Rock für Deutschland“ reiste Weigmann am 06.08.2011 nach Gera.

Ronny Weigmann (4.v.l.; m. Brille und Brötchen) beim „Rock für Deutschland“ in Gera am 06.08.2011 (Foto: Antifa Recherche Gera)

Kurz nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 schrieb er sich mit Ralf Wohlleben auf Facebook Nachrichten. Auch war seine Nummer in Wohllebens Handy gespeichert. Nachdem Wohlleben in Untersuchungshaft kam, postete Weigmann wiederholt „Freiheit für Wolle“-Bilder auf Facebook.

“Freiheit für Wolle”-Posts von Ronny Weigmann. (Bild: Facebook)

Weigmann trägt auf dem linken Schulterblatt das „V“ von Vergeltung und in den Nacken „Skinhead 88“ tätowiert.

Ralf Wohlleben (NSU-Helfer, Beschaffer der Mordwaffe Ceska 83)

Ralf Wohlleben und Tino Brandt 1999 bei einem NPD-Infostand in Jena. (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Ralf Wohlleben (Spitzname „Wolle“, geb. 1975) war seit den 1990er Jahren Führungskader der Jenaer Naziszene. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Kameradschaft Jena, die mit der Gründung des Thüringer Heimatschutz in der Sektion Jena des THS aufging. Zusammen mit André Kapke galt er ab Ende der 1990er Jahre als Kameradschaftsführer in Jena. Als sich gegen Ende der 90er Jahre die NPD in Kameradschaften organisierten Nazis öffnete und der THS sich dieser verstärkt zuwandte, da er ein Verbot befürchtete, gründete Wohlleben einen Kreisverband der NPD in Jena, dessen Vorsitzender er bis 2010 war. 2000 stellte sich Wohlleben als Kandidat für den Ortsteilrat Winzerla auf und erhielt ein Mandat. Im Ortsteilrat war er für das Thema Jugend verantwortlich.

Ralf Wohlleben (mittig m. Sonnenbrille) bei einem Aufmarsch von NPD und THS am 04.09.1999 in Gera. (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Nach dem Untertauchen des NSU Kerntrios nach Chemnitz übernahm Wohlleben gemeinsam mit Kapke die Koordination der Unterstützung aus Jena und Thüringen. Am Tag der Flucht stellte er sein Auto als Fluchtwagen zur Verfügung, er hielt den Kontakt zu den Untergetauchten und sammelte Spenden. Als sich Wohlleben und Kapke zu sehr im Fokus der Behörden fühlten, gaben sie die Aufgabe des Kontakthaltens an Carsten Schultze ab. Dieser erhielt vom Kerntrio den Auftrag eine Schusswaffe zu besorgen und wandte sich damit an Wohlleben, der ihn an den Madley-Betreiber Andreas Schultz weitervermittelte. Bei der besorgten Waffe handelte es sich um die Česká 83, die für die rassistische Mordserie des NSU genutzt wurde.

Anfang der 2000er Jahre erwarb Wohlleben gemeinsam mit Maximilian Lemke und André Kapke eine Immobilie in Altlobeda, die als „Braunes Haus“ bekannt wurde. Die Immobilie wurde zum wichtigen Treffpunkt der Neonaziszene und wurde für Konzerte, Schulungen und andere Veranstaltungen genutzt. In den 2000er Jahren war Wohlleben gemeinsam mit Thomas Gerlach Hauptorganisator der Neonazi-Festivals „Fest der Völker“ bei denen Bands und RednerInnen aus dem internationalen Blood & Honour Netzwerk auftraten.

Nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 kam Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord in Untersuchungshaft und wurde 2018 zu 10 Jahren Haft verurteilt. Während seiner Untersuchungshaft wurde eine große Solidaritätskampagne unter dem Motto „Freiheit für Wolle“ für Wohlleben initiert. Während des Prozesses wurden Wohlleben und seine Familie unter anderem vom Leiter der völkischen „Artgemeinschaft“, Jens Bauer, unterstützt.

Jens Bauer und Ralf Wohlleben bei einem NPD-Aufmarsch am 01.05.2007 in Erfurt; 1.v.l. Daniel Steinmüller (Combat 18). (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Bei Bauer fand Wohlleben, nachdem er kurz nach der Urteilsverkündung aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, zunächst in Bornitz bei Zeitz Unterschlupf. Mittlerweile lebt Wohlleben im OT Wildschütz bei Teuchern im südlichen Sachsen-Anhalt auf einem ehemaligen LPG-Gelände. Bis heute musste er seine restliche Haftstrafe nicht antreten.

Wohllebens Kontakte zu terroristischen, neonazistischen Strukturen brachen auch nach Prozessende nicht ab. So pflegte er bereits während seiner Haft Kontakt zur bayerischen III. Weg-Aktivistin Susanne Gemeinhardt-Seitz. Diese unterstützte sowohl Wohlleben als auch den weiteren NSU-Helfer André Eminger während deren Haft. An Wohlleben schickte Gemeinhardt-Seitz unter anderem ausgewählte Zeitungsartikel über die Zustimmung protestantischer Geistlicher zur Einrichtung muslimischer Feiertage. Nachdem sie aus der Haft entlassen wurden, pflegten sie diesen Kontakt weiter. Gemeinhardt-Seitz wurde im Sommer 2021 selber zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil sie Drohbriefe mit scharfen Patronen an fränkische Moscheen, Kommunalpolitiker und Vereine zur Geflüchtetenhilfe verschickt hatte. Kurz vor ihrer Festnahme hatte sich sich außerdem mit selbstgebauten Sprengsätzen ausgerüstet und war untergetaucht.

Ralf Wohlleben als Redner beim “Thüringentag der nationalen Jugend” in Arnstadt am 13.06.2009. (Foto: Patrick Limbach)

Ralf Wohlleben scheint seit seiner Haftentlassung eher zurückgezogen im Burgenlandkreis zu leben. Bis Frühjahr 2021 erhielt er über einen Schein-Minijob Drogengelder der Neonazi-Mafia Turonen / Garde 20 aus Gotha monatlich 450€ überwiesen. Deren Führungskader Steffen Richter gehörte schon kurz nach Wohllebens Verhaftung 2011 zu seinen engsten Unterstützern. Gelegentlich wird er mit verschiedenen Autos in Jena gesichtet. Im Rahmen von Razzien gegen Mitglieder der Turonen wurde auch Wohllebens Wohnung im Frühjahr 2021 durchsucht.