„Volk ans Gewehr!“ – Neonazi übernimmt Führung im Jenaer Gartenverein Am Birnstiel

Profilbild von Steven Schmied auf Stayfriends

Steven Schmied (Foto: Stayfriends)

Im Kleingartenverein Am Birnstiel in Jena-Süd gibt es Streit: Den Betreiber*innen des örtlichen Gartenlokals droht die Kündigung, der Vereinsvorstand tritt vorzeitig zurück und es steht eine polarisierte Neuwahl bevor. Soweit nichts Ungewöhnliches für deutsche Vereinskultur, möchte man meinen. Der genauere Blick auf einen aussichtsreichen Kandidaten für den Vorstandsposten lässt jedoch Ungutes erahnen: Steven Schmied, der bereits kommissarischer Vorstand ist, ist ein Neonazi mit lange zurückreichenden Kontakten in die Jenaer Naziszene um NSU-Helfer Ralf Wohlleben. Schmied verbreitet im Netz NS-Ideologie, rassistische und antisemitische Hetze und ruft mit SA-Parolen zum bewaffneten Sturz der Regierung auf. Er beteiligte sich zudem an Kundgebungen der AfD in Jena. Sollte Schmied sich als Vorstand durchsetzen, strebt er auch eine Übernahme des Gartenlokals an.

Steven Schmied im Online-Krieg für ein weißes Europa

In der OTZ war vor zwei Wochen von einem „existenzbedrohenden Streit“ im Kleingartenverein Am Birnstiel zu lesen. Als einen Gegner der jetzigen Lokalbetreiber*innen zitiert die Zeitung länger aus einem Facebook-Kommentar von Steven Schmied. Schmieds Facebook-Profil strotzt nur so vor rechter Propaganda und auch im Gartenverein macht er aus seiner Gesinnung kein Geheimnis. Dass die Zeitung zu diesem politischen Aspekt kein Wort verliert, ist nicht überraschend, unterschlägt aber dennoch einen Teil der Zustände im Kleingartenverein. Der kommissarische Vorstand Schmied hat bereits im Titel seines Profils den Spruch „Die Halben hol der Teufel!“ stehen. Im Roman „Die Abenteuer des Werner Holt“ treibt ein fanatischer Faschist und Flakhelfer mit diesem Spruch seine Mitkämpfer zum unerbitterlichen Kampf an. In Gänze würde es lauten: „Die Halben hol’ der Teufel. Wir stehen zum Führer!“. Dass hier kein Missverständnis vorliegt, belegt Schmied auf seinem Profil vielfältig. So trägt er auf seinem Titelfoto ein Shirt der populären Neonazi-Marke Thor Steinar.

(links) Steven Schmied im Shirt von Thor Steinar (Foto: Facebook); (rechts) verschiedene Logos der Marke, darunter oben links das von Schmieds Shirt und oben rechts das abgewandelte SS-Symbol (Fotos: Das Versteckspiel)

(links) Steven Schmied im Shirt von Thor Steinar (Foto: Facebook); (rechts) verschiedene Logos der Marke, darunter oben links das von Schmieds Shirt und oben rechts das abgewandelte SS-Symbol. (Fotos: Das Versteckspiel)

Thor Steinar ist mit seinen verschiedenen symbolischen Bezügen zum Nationalsozialismus zur beliebtesten Modemarke unter Neonazis aufgestiegen. So verwendet die Firma die Wolfsangel als Firmensymbol, die bereits von der SS als Wappen verwendet wurde. Die Firmengründer sind außerdem selber als Teile der rechten Szene aufgefallen und haben mit Benefiz-Aktionen ihrer Nebenmarke Erik and Sons bereits die neonazistische Hilfsgemeinschaft für Nationale Gefangene (HNG) unterstützt. In Jena lässt sich die Marke seit der 2009 erfolgten Schließung des Madley in der Wagnergasse nicht mehr im Laden erwerben. Die meisten TrägerInnen beziehen sie daher aus dem Online-Versand, in den man noch weniger hineinstolpert als in einen Naziladen.

Steven Schmied mit der SA-Parole "Volk ans Gewehr" (Bild: Facebook)

Steven Schmied mit der SA-Parole „Volk ans Gewehr“ (Bild: Facebook)

Steven Schmied lässt es auch an weiteren Bekenntnissen zum Nationalsozialismus nicht mangeln. In einem Kommentar zur Reform des BKA-Gesetzes ruft er mit einer Parole der SA zum bewaffneten Widerstand gegen die Regierung auf, wenn er mit VOLK ANS GEWEHR!“ schließt. Diese Parole entstammt dem 1931 Joseph Goebbels gewidmeten Lied „Siehst du im Osten das Morgenrot“, das zu einem Marschlied der SA wurde.

In einem Video unbekannter Urheber*innen, das Schmied im März 2018 teilte, wird anhand von zusammengeschnittenen Spielfilmszenen ein Untergangsszenario Europas gezeichnet. Das Video basiert auf der rechten Verschwörungserzählung, dass Migrant*innen das vermeintlich weiße Europa bedrohen würden. Die HeldInnen des Videos sind vermummte und bewaffnete Neonazis, welche die letzte Hoffnung darstellen würden. Schmied klagt mittels einer antisemitischen Beleidigung gegen Facebook-Gründer Mark Zuckerberg noch über die Tonqualität. Da Schmied in weiteren Kommentaren davon sinniert, dass Europa von Rechten „muselmannfrei“ gemacht werden würde (14.11.2020) oder dass orientalisch anmutende Musik auf dem Geraer Weihnachtsmarkt „entartet“ wäre (3.12.2018), ist bei Schmied von einer gefestigten, neonazistischen Ideologie auszugehen.

Neonazi-Milizen als “Rettung Europas” in einem von Schmied geteilten Video; anbei ein antisemitischer Kommentar (Bild: Facebook)

Neonazi-Milizen als „Rettung Europas“ in einem von Schmied geteilten Video; anbei ein antisemitischer Kommentar. (Bild: Facebook)

Kontakte in das Umfeld des NSU

Steven Schmied pflegt auch offline Verbindungen zur rechten Szene. Bereits in den 2000er Jahren war er im Kontakt mit den Bewohnern des Braunen Hauses. Das ehemalige Gasthaus in der Jenaischen Str. 25 in Alt-Lobeda war 2002 von Maximilian Lemke, Ralf Wohlleben und André Kapke als Neonazi-Zentrum eingerichtet worden. Hier wurden bis ca. 2010 rechte Vorträge, NPD-Treffen und Neonazi-Konzerte veranstaltet. Wohlleben und Kapke waren um die Jahrtausendwende die wichtigsten Jenaer Helfer des NSU-Kerntrios. Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt tauchten im Januar 1998 unter, als die Polizei bei einer Durchsuchung ihrer gemeinsam genutzten Garage in Burgau Rohrbomben und TNT-Sprengstoff fanden. Nach deren Untertauchen versorgten Wohlleben, Kapke und andere Jenaer Neonazis die Flüchtigen mit Geld und Waffen. Steven Schmieds Kontakte zum Braunen Haus fallen daher in eine Zeit, in der auch in Jena noch innerhalb der Naziszene die Solidarität mit den untergetauchten RechtsterroristInnen hochgehalten wurde.
Ein anderer Wegbegleiter des NSU-Kerntrios aus den Neunzigern zählt heute zu den Gärtnern im Jenaer Südviertel und zu Steven Schmieds Bekannten: Marcel Gierschke spielte Mitte der 1990er in der rechten Skinheadband Vergeltung. Unter seinem auch heute noch geläufigen Spitznamen Borstel saß Gierschke seit 1995 am Schlagzeug der Band.

Man kennt sich: Steven Schmieds Kommentar bei Marcel Gierschke, Kleingärtner und ehemaliger Schlagzeuger von “Vergeltung” (Bild: Facebook)

Man kennt sich: Steven Schmieds Kommentar bei Marcel Gierschke, Kleingärtner und ehemaliger Schlagzeuger von „Vergeltung“. (Bild: Facebook)

Ihren Proberaum hatte Vergeltung im Winzerclub, dem damaligen Treffpunkt der Jenaer Neonaziszene. Bei den Proben traf sich auch regelmäßig die Kameradschaft Jena um die späteren NSU-Mitglieder und -Helfer, Ralf Wohlleben, Holger Gerlach, André Kapke, Carsten Schultze, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und Uwe Mundlos. Die Band hatte damals just zu jenen sächsischen Blood&Honour-AktivistInnen Kontakt, die dem NSU-Kerntrio 1998 mit Fluchtorten in Chemnitz und Geld zur Waffenbeschaffung zur Seite stand. Daher mussten Gierschkes Bandkollegen Ronny Weigmann und Frank Wunderlich im NSU-Prozess in München als Zeugen aussagen.

Drei Wochen nachdem der NSU sich am 04.11.2011 selbst enttarnte, wurde Ralf Wohlleben in Jena festgenommen. Wohlleben hatte dem Trio neben anderen Unterstützungsleistungen die Mordwaffe Ceska 83 über Jenaer Kontakte organisiert. Bei seiner Festnahme trug Wohlleben eine Visitenkarte in der Hosentasche: Eine Visitenkarte von Steven Schmied aus dem Jenaer Südviertel.

Schmied beteiligte sich auch an der AfD-Kundgebung auf dem Jenaer Marktplatz am 20.01.2016. Zu Gast waren hier Björn Höcke und Alexander Gauland, die in ihren Reden den Einsatz des deutschen Militärs im Kampf gegen Geflüchtete forderten. Wie es der Zufall so wollte, stand Schmied nur wenige Meter von André Kapke entfernt. Im Umfeld des NSU-Helfers Kapke bewegte sich Schmied schon fünfzehn Jahre zuvor. Wie viele andere Neonazis fanden die beiden in den vergangenen Jahren eine neue ideologische Hoffnung in der AfD.

Steven Schmied (1.v.l.) und NSU-Helfer André Kapke (mittig, m. Vollbart) bei der AfD auf dem Jenaer Markt am 20.01.2016 (Screenshot: Youtube)

Steven Schmied (1.v.l.) und NSU-Helfer André Kapke (mittig, m. Vollbart) bei der AfD auf dem Jenaer Markt am 20.01.2016. (Screenshot: Youtube)

Trübe Aussichten am Rande des Forsts

Dass Steven Schmied überhaupt kommissarischer Vorstand des Gartenfreunde e.V. werden konnte, wirft bereits kein gutes Licht auf den Kleingartenverein. Schmieds Kontakte zum NSU-Helfer Ralf Wohlleben und anderen KameradInnen des NSU-Kerntrios dürften dort zwar niemandem bekannt sein. Seine neonazistische Gesinnung verbirgt er dort jedoch genausowenig wie auf seinem öffentlichen Facebook-Profil. Leider muss davon ausgegangen werden, dass er unter den 277 Gartenpächter*innen einen gewissen Rückhalt hat. Dass diese auch seine Neonazi-Ideologie teilen, kann daraus nicht geschlossen werden. Ob sie diese schlichtweg ignorieren oder doch sympathisieren, wird am Ende dieselbe verheerende Wirkung entfalten: Ein Faschist fühlt sich gesellschaftlich in seiner Hetze bestätigt und kann im Vereinsrahmen eine Führungsposition einnehmen. Sollte den bisherigen Betreiber*innen des Gartenlokals tatsächlich gekündigt werden, bestimmt der nächste Vorstand über die neuen Pächter*innen. Heißt dieser Vorstand Steven Schmied, ist zu befürchten, dass Schmied persönlich und damit auch seine politischen Netzwerke und Vorstellungen hier den Raum einnehmen. Zusammengefasst wären das die AfD, Pandemieleugner*innen, militante RassistInnen oder alte wie heute noch aktive Nazis aus der Entstehungszeit des NSU.

Nachtrag:
Eine knappe Woche nach Erscheinen dieses Artikels meldete sich Steven Schmied in einem OTZ-Artikel erneut zu Wort: Er gibt darin zu, mit NSU-Helfer Ralf Wohlleben bis 2011 zusammengearbeitet zu haben. Obwohl er keine weiteren Argumente liefert, die die Recherchen zu diesem Artikel und Einschätzung seiner faschistischen Gesinnung widerlegen würden, betont er, gegen diesen Blog eine Anzeige wegen Verleumdung erstattet zu haben. An seiner Kandidatur zum Vereinsvorstand wolle er weiter festhalten, so Schmied. Wenige Tage später wendete sich dann das Blatt, als Schmied seine Kandidatur zurückzog. Als Grund für diesen Sinneswandel führte Schmied an, drohende Gefahren, die mit seiner umstrittenen Kandidatur entstanden wären, von sich und dem Kleingartenverein abwenden zu wollen.