Personenübersicht Saalfeld-Rudolstadt

Die Region Saalfeld-Rudolstadt spielte eine Schlüsselrolle für die Entstehung und die Ermöglichung des NSU-Terrors. Aus der dort gegründeten Anti-Antifa Ostthüringen gingen die Kameradschaft Saalfeld und der Thüringer Heimatschutz (THS) hervor. Der Rudolstädter Verfassungsschutz-Spitzel Tino Brandt schuf mit vielen weiteren Saalfelder Neonazis die Grundlage für eine feste Organisierung der Ostthüringer Szene. Hier wurden erste Vernetzungstreffen abgehalten, paramilitärische Trainings mit Schießübungen organisiert und die Grundlage für den Terror gelegt, der mit dem Untertauchen des NSU-Kerntrios 1998 in eine Mordserie umschlug. Saalfelder Heimatschutz-Aktivisten waren sowohl an der Verdeckung des Fluchtwegs des Trios beteiligt als auch an der finanziellen und logistischen Unterstützung in den Anfangsjahren.
Was in der Öffentlichkeit nach 2011 jedoch wenig Beachtung fand: Neben Tino Brandt, der 2001 als V-Mann enttarnt wurde, oder Sven Rosemann, der zwar für die Militarisierung der Szene in den 1990ern eine wichtige Rolle spielte, sich aber zur Jahrtausendwende aus Nazistrukturen zurückzog, gab es zahlreiche weitere Neonazis, die eine Schlüsselrolle für das Entstehen und Gelingen des NSU-Terrors spielten. Und im Gegensatz zu Brandt oder Rosemann trugen mehrere dieser NSU-Wegbereiter die spätere Solidaritätskampagne für Ralf Wohlleben mit und sind bis heute in der Naziszene im Landkreis aktiv. Das ist ein markanter Unterschied zum Jenaer NSU-Umfeld, dessen ProtagonistInnen sich überwiegend aus der Naziszene zurückgezogen haben oder nicht mehr in Jena wohnen. Saalfeld zeichnet sich durch eine Kontinuität aus, die bei manchen Personen gute dreißig Jahre zurückreicht. Darunter sind auch jene, die seit Mitte der Neunziger Jahre erste Immobilien für Stammtische und Schulungsveranstaltungen des THS besorgten. Die Konsolidierung des THS und Militarisierung der Szene wäre ohne diese Immobilien und Hintermänner nicht denkbar gewesen.
Im Folgenden findet sich daher ein Überblick über die THS-Immobilien im Zeitraum 1995-1997 und über die Neonazi-Kader aus Saalfeld-Rudolstadt, die untrennbar mit dem NSU-Komplex verbunden sind.

Tino Brandt (V-Mann, Führungsfigur Thüringer Heimatschutz, NSU-Unterstützer)

Tino Brandt und weitere Saalfelder Neonazis um 1995. (Foto: ARD)

Tino Brandt (Jahrgang 1975) kommt aus Rudolstadt-Schwarza und begann bereits im Schulalter rechte Jugendliche zu organisieren. Er fand um 1995 Anschluss an die Anti-Antifa Ostthüringen, die seinerzeit von Sven Rosemann und Andreas Rachhausen dominiert wurde. Brandt strebte eine festere Organisierung der Naziszene an und begann, zusammen mit u.a. Maximilian Lemke aus Saalfeld und Mario Brehme aus Rudolstadt, die Kameradschaft Saalfeld aufzubauen. 1993 zog er nach Regensburg, um dort eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann zu beginnen. Infolge eines antifaschistischen Outings verlor er jedoch die Stelle und kam zurück nach Thüringen. Im selben Jahr intensivierten Brandt und Kameraden die Kontakte nach Jena und Gera und begannen sich regelmäßig städteübergreifend zu treffen. Brandt war 1995 auch am Angriff auf eine Veranstaltung im Jenaer Planetarium beteiligt, der von der Kameradschaft Jena ausging.
Im Jahr 1994 wurde Brandt vom Thüringer Verfassungsschutz angeworben und begann, sehr regelmäßig und ausführlich über alle Aktivitäten und AkteurInnen der Neonaziszene zu berichten. Neben Organisierungstreffen und Fahrten zu Aufmärschen bundesweit, begannen die Neonazis im Sommer 1995 auch mit Wehrsporttrainings. Zunächst nutzten sie den ehemaligen Truppenübungsplatz bei Milbitz, der in den Hügeln oberhalb von Rudolstadt zwischen Remda und Teichel liegt. Hier lieferte Sven Rosemann reihenweise scharfe Waffen und anderes militärisches Gerät an und die jungen Kameradschafter zelteten mehrere Wochen direkt am Truppenübungsplatz. Dorfbewohner riefen wegen nicht zu überhörender Schießübungen die Polizei. Brandt, der seit Kurzem beim neofaschistischen Verlag Nation & Europa in Coburg arbeitete, bat im Jahr darauf Verleger Peter Dehoust, ein Grundstück unterhalb der Leuchtenburg in Kahla zu erwerben. Brandt selber fürchtete zu viel Aufmerksamkeit der Behörden, wenn er es unter seinem Namen erworben hätte. Das 1500 DM teure und über 2000m² große Gelände wurde fortan ebenfalls für Wehrsport- und Schießübungen genutzt, an denen von der Kameradschaft Jena u.a. André Kapke und Uwe Böhnhardt teilnahmen.

Tino Brandt (l.) und Peter Dehoust (r.) bei einer Lesung der Burschenschaft Jenensia am 10.12.1999 in Jena. (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Zusammen mit den Kameradschaften Jena und Gera beschloss man, zur stärkeren Sichtbarkeit und Einheit zukünftig als Thüringer Heimatschutz (THS) aufzutreten, der sich aus den jeweiligen Städtesektionen zusammensetzte. Brandt kam dabei eine führende Rolle zu, da er nicht nur als Sprecher und Anmelder von Versammlungen in der Öffentlichkeit auftrat, sondern mit Auto und Handy sehr mobil und eine Informationsdrehscheibe war, sowie überregional zahlreiche Kontakte pflegte.

Patrick Wieschke (in grau), Tino Brandt (Sonnenbrille) und Jörg Krautheim (1.v.r.) bei einem Aufmarsch vom THS und NPD am 04.09.1999 in Gera. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Der fränkische Nazikader Kai Dalek, ebenfalls V-Mann des Verfassungsschutzes, führte Tino Brandt an das Mailboxsystem „Thule-Netz“ heran, über das bundesweit Kader der rechten Szene Informationen austauschten. Brandt baute außerdem Kontakte zu Claus Nordbruch auf, der in Südafrika lebte. Nordbruch berichtete während Vortragsreisen in Deutschland mehrfach vor dem Thüringer Heimatschutz über den rassistischen Kampf um weiße Vorherrschaft in Südafrika und warb um Unterstützung. Brandt selber besuchte Südafrika zusammen mit anderen Neonazis und beteiligte sich dort u.a. an Schießübungen. 1998 fuhren auch André Kapke und Martin Brehme zu Nordbruch nach Südafrika, um dort an Wehrsportübungen teilzunehmen und beim Ausbau von dessen rechtem Schulungszentrum zu helfen.

Tino Brandt bei Schießüungen in Südafrika. (Bild: ZDF)

Im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt etablierte Tino Brandt zusammen mit Christian Dietzel und weiteren örtlichen Kadern ab 1997 im Dorf Heilsberg den zentralen Treffpunkt des THS im örtlichen Gasthaus. Heilsberg ist der Nachbarort von Milbitz, wo zwei Jahre zuvor der Sommer mit Wehrsport verbracht wurde. Den Gasthof in Heilsberg pachtete Christian Dietzel und stellte ihn für Treffen, Konzerte und als Waffenlager des THS zur Verfügung. Die späteren NSU-Mitglieder gingen dort genauso ein und aus wie Kameradschafter aus Gera, Südthüringen oder Gotha.

Nach dem Untertauchen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe im Januar 1998 war Tino Brandt neben den JenaerInnen der wichtigste Unterstützer des Trios. Brandt koordinierte zusammen mit Ralf Wohlleben und André Kapke die Hilfe für die Untergetauchten, bekam Anrufe aus Chemnitzer Telefonzellen, in denen Anweisungen gegeben wurden und nutzte seine Kontakte, um weitere Fluchtorte und Spendengelder anzufragen. Über Peter Dehoust organisierte er Gelder für gefälschte Reisepässe und bei Thorsten Heise fragte er nach Kontakten für weitere Zufluchtsorte.
Im selben Zeitraum etablierten Brandt und die weiteren Führungskader des THS die Doppelstrategie, neben dem militanten Heimatschutz auch NPD- und JN-Strukturen weiter aufzubauen. Die Kameradschafter traten teilweise in die Partei ein und bauten Stadt- und Kreisverbände auf, halfen aber auch ohne Mitgliedschaft bei der NPD im Wahlkampf aus. Diese Taktik war eine Reaktion auf wiederholte Aufmarschverbote und Hausdurchsuchungen bei Führungskadern des THS, die ständig ein Verbot ihrer Strukturen fürchteten. So kam es, dass u.a. der Jenaer Kreisverband, der Kreisverband Saalfeld-Rudolstadt und der JN-Landesverband maßgeblich von den militanten Kameradschaftern und gleichzeitig aktivsten UnterstützerInnen des untergetauchten Trios aufgebaut wurden. Brandt selber wurde nach der Jahrtausendwende zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt. Das Kahlaer Grundstück wurde auch im Sommer 2000 noch für Wehrsportübungen und Zeltlager der Ostthüringer JN-Strukturen genutzt.

Tino Brandt und mehrere Blood & Honour-Sektionen beim Aufmarsch von THS und NPD am 12.02.2000 in Gera. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Im Jahr 2001 wurde Tino Brandt durch Presserecherchen als V-Mann geoutet und Fotos von einem seiner Treffen mit Verfassungsschützern in Franken veröffentlicht. In der Folge musste er sich aus der Szene zurückziehen. Er blieb jedoch in Rudolstadt wohnen und musste auch keine große Konfrontation durch seine Kameraden fürchten. Vielmehr gab es nicht wenige, die mit ihm gelegentlich noch einen Plausch hielten oder zu seinen Geburtstagsfeiern kamen. Über die 2000er Jahre entwickelte Brandt verschiedene kriminelle Einkommensquellen unter Mithilfe örtlicher Bekannter. Er organisierte unter anderem Versicherungsbetrug mit Bekannten, die Berufsunfähigkeitsversicherungen abschlossen und sich dann selbst komplizierte Brüche zufügten, um fortan aus Versicherungsgeldern ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Weiterhin baute Brandt missbräuchliche Beziehungen zu Jugendlichen auf, die er nicht nur selber missbrauchte, sondern auch gegen Bezahlung anderen Männern zur Vergewaltigung anbot. Wegen dieser und weiterer Straftaten musste Brandt um die Zeit der Selbstenttarnung des NSU eine mehrjährige Haftstrafe antreten, die er zeitgleich mit seinem ehemaligen Kameraden Sven Rosemann im mittelthüringischen Tonna absaß. Um dort nicht mit Rosemann zusammenzutreffen, der ihm schon Ende der Neunziger die Kameradschaft aufgekündigt und einen Faustschlag versetzt hatte, beantragte Brandt die räumliche Trennung.

Tino Brandt 2016 in der JVA Tonna. (Bild: ARD)

Da er noch nicht in allen Verfahren rechtskräftig verurteilt ist, ist Brandt seit einigen Jahren wieder auf freiem Fuß und lebt in Rudolstadt-Schwarza. Dort erfährt er noch Unterstützung von seinem Onkel Matthias Brandt, der nach 2010 NPD-Abgeordneter im Kreistag Saalfeld-Rudolstadt und 2015-2016 einer der aktivsten Unterstützer von Thügida war. Matthias Brandt ist auch in der bundesweiten Kampagne für die Shoa-Leugnerin Ursula Haverbeck aktiv. Zuletzt beteiligte sich Matthias Brandt neben weiteren Saalfelder Neonazis an den Corona-Demos in Leipzig im November 2020.

Matthias Brandt (r.) und Christian Bärthel bei einer Solidaritätsdemonstration für die Shoa-Leugnerin Ursula Haverbeck in Bielefeld am 09.11.2019. (Foto: Recherche Nord)

Tino Brandt erwartet weitere Verhandlungen und gegebenenfalls eine erneute Haftzeit. Aufgrund seiner vielen Betrugsdelikte und Strafverfahren lebt er in Privatinsolvenz.

Mario Brehme (Führungsperson THS, Mitorganisator von paramilitärischen Übungen)

Mario Brehme in einem TV-Interview für den Thüringer Heimatschutz.

Mario Brehme (Jahrgang 1977) stammt aus Rudolstadt und gehörte seit Mitte der Neunziger zur Anti-Antifa Ostthüringen, aus der sich die Kameradschaft Saalfeld herausbildete. Zusammen mit Tino Brandt, Christoph Nicolaus und Daniel Klinkhart organisierte er Treffen des entstehenden Thüringer Heimatschutzes und baute die Vernetzung mit den Kameradschaften Jena und Gera auf. Bald war Brehme neben Andreas Rachhausen und Tino Brandt für die Sektion Saalfeld, André Kapke, Holger Gerlach, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt für die Sektion Jena, sowie Jörg Krautheim und Gordon Richter für Gera einer der Führungskader des THS. Er verwaltete auch zeitweise die gemeinsame Kasse des THS. Brehme war mit dem späteren NSU-Kerntrio 1995 bestens bekannt. Die drei kamen regelmäßig zu den THS-Stammtischen, die seinerzeit noch in Saalfeld-Gorndorf stattfanden. Brehme fuhr auch mit Uwe Mundlos und Ralf Wohlleben zum Heß-Gedenkmarsch ins niedersächsische Schneverdingen. Und gemeinsam mit André Kapke, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bewarf Mario Brehme am 10.09.1995 das Mahnmal der Opfer des Faschismus in Rudolstadt mit Eiern und hinterließ Zettel mit Verunglimpfungen des Bürgermeisters.

Mario Brehme (unten links), Tino Brandt (oben rechts) und weitere Saalfelder Neonazis ca. 1995. (Bild: ZDF)

1997 zog Brehme zum Studium nach Bayreuth, wo er sich der Burschenschaft Thessalia anschloss und in deren Haus einzog. Er absolvierte zu der Zeit auch Praktika bei rechten Anwaltskanzleien und organisierte danach Rechtsschulungen für den THS.
Nach dem Untertauchen des NSU-Kerntrios flog Brehme mit André Kapke für drei Wochen nach Südafrika, um auf der Farm von Claus Nordbruch zu arbeiten und eine erste paramilitärische Ausbildung zu erhalten. Brehme absolvierte dort erste Sprünge als Fallschirmspringer. Kurz darauf kam Nordbruch nach Deutschland und Mario Brehme fuhr mit Ronny Schlenzig aus Rudolstadt zu einer seiner Lesung in Coburg, zu der auch Tino Brandt, André Kapke und Ralf Wohlleben kamen. Mit Ronny Schlenzig, der zu jener Zeit schon bei der Bundeswehr war, kaufte Brehme im Jahr 2000 Gewehrattrappen aus Holz und Uniformen, um auserwählte Kameradschafter im Nahkampf zu trainieren. Brehme war gleichzeitig auch in das Blood&Honour-Spektrum gut vernetzt, was sich daran zeigt, dass seine Bayreuther Uni-Mailadresse im Adressbuch des Thüringer Sektionsleiters Marcel Degner gefunden wurde.
Nachdem Tino Brandt 2001 als Spitzel enttarnt wurde, wurde es auch um Brehmes Aktivitäten ruhiger. 2006 gab es einen Versuch, den THS zu reaktivieren. Die bei dem Treffen Anwesenden, darunter Patrick Wieschke (Eisenach), Ralf Wohlleben und André Kapke, Martin Rühlemann (Weimar) und DVU-Vertreter, gerieten jedoch über Führungsansprüche in Streit. 2009 unterstützte Brehme die NPD im Wahlkampf und besuchte Veranstaltungen mit dem NPD-Funktionär Frank Schwerdt. Im selben Zeitraum besuchte Brehme auch noch das Braune Haus in Jena und hielt trotz der Differenzen Kontakt zu Ralf Wohlleben. Auch im Jahr der Selbstenttarnung des NSU traf sich Brehme noch mit Ralf Wohlleben.

Brehme war auch als Zeuge in den Münchner NSU-Prozess geladen.
Zum Zeitpunkt seiner Aussage im Prozess arbeitete Mario Brehme als Pharmareferent und wohnte im bayerischen Altfraunhofen. Er zeigte sich an Aufklärung desinteressiert und gab vor, sich an keinerlei Namen von früheren Kameraden oder Geschehnisse erinnern zu können.

Christian Dietzel (organisierte THS-Räume 1996-1998, Wohlleben-Solidaritätsbewegung)

Christian Dietzel (r.) mit Rick Lüftner (l.) und Jana Dietzel beim Thüringentag der nationalen Jugend am 15.06.2013 in Kahla. (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Der 1975 in Saalfeld geborene Christian Dietzel gehört seit der Wende zur Gründergeneration der Anti-Antifa Ostthüringen in Saalfeld. Zusammen mit Andreas Rachhausen meldete er 1992 den Rudolf-Heß-Marsch in Saalfeld an, zu dem bundesweit rund 2000 Neonazis anreisten. Nach der Formierung der Kameradschaft Saalfeld kam ihm die Rolle zu, die ersten eigenen Räumlichkeiten der Kameradschaft zu organisieren. Mitte der 1990er besorgte er zunächst die Gaststätte „Zum Saaleblick“ am Roten Berg oberhalb von Kamsdorf, in der die Neonazis um Dietzel, Tino Brandt und Mario Brehme 1996 erste Schulungsveranstaltungen abhielten. Im Folgejahr pachtete Dietzel die frühere Gaststätte in Heilsberg, der zentrale Bedeutung bei der Entwicklung des Thüringer Heimatschutzes zukam, weil sich hier die Neonazis aus ganz Ostthüringen zu Treffen, Schulungen und Konzerten trafen, teils zweimal wöchentlich. Auch die Kameradschaft Jena mit dem späteren NSU-Kerntrio und dessen HelferInnen gehörte zu den Stammgästen der dortigen Treffen. Die Gaststätte diente im Herbst 1997 auch als Lager eines immensen Waffenarsenals, mit dem der THS Angriffe auf Antifaschist*innen plante, die zur Gegendemonstration gegen Gedenkaktionen an Rudolf Heß erwartet wurden. Zum Zeitpunkt der Razzia traf die Polizei in Heilsberg über 60 Neonazis aus ganz Thüringen an, die sich auf Angriffe vorbereiteten. Christian Dietzel wohnte zu diesem Zeitpunkt selbst in der Gaststätte.
Als das NSU-Trio Ende Januar 1998 abtauchte, war es Dietzels langjähriger Freund Andreas Rachhausen, der dabei half, deren liegengebliebenen Fluchtwagen aus Sachsen zurückzuholen. Der V-Mann Tino Brandt berichtete davon dem Verfassungsschutz. Als Rachhausen, der selber Spitzel des Geheimdienstes war, damit konfrontiert wurde, stritt er seine Fluchthilfe vehement ab und benannte Christian Dietzel als Zeugen dafür, dass er im besagten Zeitraum keinesfalls nach Sachsen gefahren sein könne.

Nachdem der THS mit der Jahrtausendwende überwiegend in der NPD aufging, folgte auch Christian Dietzel seinen Kameraden zu deren Veranstaltungen. Beim Landesparteitag 2003 im Jenaer Braunen Haus postierte er sich mit weiteren früheren THS-Kadern vor dem Haus, schoss Fotos der Gegenkundgebung und entrollte das Banner des THS.

v.l.n.r.: Christian Dietzel, Patrick Weber und Ralf Wohlleben beim NPD-Parteitag im Braunes Haus Jena 07.12.2003. (Bild: JG Stadtmitte Jena)

Im September 2004 lief Dietzel bei einem NPD-Aufmarsch durchs Jenaer Damenviertel mit. Als Ralf Wohlleben mit der NPD einige Jahre später zum 1. Mai 2007 nach Erfurt mobilisierte, erschien auch Christian Dietzel zusammen mit dem früheren THS-Kader Christoph Nicolaus aus Saalfeld. Dietzel zählte auch 2011 noch zu Ralf Wohllebens engsten Vertrauten. Am 04.11.2011, dem Tag der Selbstenttarnung des NSU, telefonierten beide miteinander. Drei Tage später lud Wohlleben Dietzel zu einem intern beworbenen Treffen mit Konzert am 12.11.2011 nach Unterwellenborn ein. Während Ralf Wohllebens Untersuchungshaft im Jahr 2012 hatte Dietzel eine Dauerbesuchserlaubnis im Gefängnis und begleitete zusammen mit seiner Frau Jana Rachhausen (heute Dietzel) Wohllebens Frau zu Gefängnisbesuchen.

Christian Dietzel im Jahr 2011. (Foto: Facebook)

Als Saalfelder und Kahlaer Neonazis am 15.06.2013 ein Solidaritätsfestival für Ralf Wohlleben im Rahmen des „Thüringentag der nationalen Jugend“ in Kahla veranstalteten, zählte Dietzel zu den Mitorganisatoren. Im „Freiheit für Wolle“-Shirt brachte er an jenem Tag das alte Transparent des THS an einem LKW an und kümmerte sich zeitweise um den Einlass zum Gelände.
Dietzel blieb auch danach in der Szene aktiv, wie seine Teilnahme am Naziaufmarsch in Saalfeld am 01.05.2015 zeigt. Dort marschierte er im T-Shirt der militanten Kleinstpartei Der Dritte Weg im vorderen Block des Aufmarschs mit.

Christian Dietzel (1.v.r.) beim Aufmarsch von Der III. Weg am 01.05.2015 in Saalfeld (Foto: Sören Kohlhuber)

Christian Dietzel arbeitet selbständig als Reiniger von Mauern und Wänden mit der „Trockeneisreinigung Dietzel“. Nachdem die Firma zunächst unter seiner Wohnadresse in der Kamsdorfer Lämmergasse 7 registriert war, hat sie nun ihren Sitz in Pößneck. Dietzel scheint regelmäßig auch Auftraggeber aus der öffentlichen Verwaltung zu haben. Zuletzt durfte er im Frühjahr 2021 für die Stadt Bad Blankenburg Graffitis im Schwimmbad entfernen.

Christian Dietzel bei der Graffiti-Entfernung in Bad Blankenburg im April 2021. (Foto: OTZ)

Dietzel ist mit seiner 30-jährigen politischen Biographie eine der markantesten Thüringer Personen aus dem NSU-Komplex: Er war seit der Wende als Neonazi aktiv, organisierte den Großaufmarsch 1992 mit, baute den Thüringer Heimatschutz mit auf, diente dem NSU-Fluchthelfer Rachhausen als Alibi zur Verschleierung des Fluchtortes, blieb danach als Kern des THS im Umfeld von Wohlleben und der NPD aktiv, unterstützte Wohlleben in der Untersuchungshaft ab Ende 2011, organisierte ein Solidaritätsfestival mit und lief danach mit dem III. Weg beim Saalfelder Aufmarsch mit. Trotzdessen ist sein Name kaum jemandem geläufig, alle Ermittlungsverfahren liefen an ihm vorbei und nach wie vor kann er zur Saalfelder Naziszene gezählt werden.

Marcel Eberlein (Mitwisser über Bombenbau vor Untertauchen) und Mirko Eberlein (Mitorganisator paramilitärische Übungen)

Marcel und Mirko Eberlein (Fotos: Facebook)

Die aus Saalfeld stammenden Brüder Marcel Eberlein (Jahrgang 1977) und Mirko Eberlein (Jahrgang 1976) zählen seit der Wende zur Saalfelder Naziszene. Im Umfeld von Sven Rosemann bewegten sie sich in dem Teil der rechten Skinheadszene, der eine Organisierung anstrebte. Marcel Eberlein saß Mitte der Neunziger im Gefängnis. Dort lernte er auch Jürgen Länger aus Jena kennen, der später über einen Schweizer Kontakt die Česká 83 in Jena an Carsten Schultze und Ralf Wohlleben weiterverkaufen ließ. 1996 gehörte Marcel Eberlein dann zur Kameradschaftsgruppe um Tino Brandt, Christoph Nicolaus und Sven Rosemann, die in Milbitz Wehrsport- und Schießübungen veranstaltete. Aus Jena stieß André Kapke hinzu. Im selben Jahr fuhr Marcel Eberlein mit Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, Holger Gerlach, Ralf Wohlleben, André Kapke, Maximilian Lemke und Tino Brandt nach Worms zum bundesweiten Heß-Gedenkmarsch am 17.08.1996. Mit demselben Personenkreis, der damals den Kern des THS ausmachte und später den NSU gründen bzw. unterstützen sollte, traf sich Marcel Eberlein 1997 im Jenaer Paradiespark.

v.l.n.r.: Björn Demmig, Marcel Eberlein und Maximilian Lemke (Vordergrund) bei einer Republikaner-Kundgebung auf dem Jenaer Marktplatz am 24.07.1998. (Bild: ARD)

Die Vernetzung war so eng, dass Marcel Eberlein und seine Saalfelder Kameraden nach dem Fund des Hakenkreuzkoffers mit einer Rohrbombe auf dem Jenaer Theatervorplatz Bescheid darüber wussten, dass die Bombe keine Zünder hatte. Marcel Eberlein war auch in der Gruppe von über 60 Neonazis, die sich am Heß-Gedenktag im August 1997 im THS-Treffpunkt Heilsberg aufhielten, wo sie auf Angriffe von Antifaschist*innen warteten. Als die Polizei das Gebäude durchsuchte, fand sie dutzende zum Teil lebensgefährliche Waffen. Auch die Ersatzveranstaltung für den 1999 polizeilich verbotenen Rudolf-Heß-Marsch meldete Mirko Ebelerin für den THS an. Beim Aufmarsch von THS, NPD und Blood & Honour am 12.02.2000 in Gera war Mirko Eberlein als Ordner involviert. Zwei Monate später wurde er auf den Platz des NPD-Landesvorstandes in Thüringen gewählt. Zeitgleich war er Kreisvorsitzender des NPD-Verbands Saalfeld-Rudolstadt.

André Kapke und Mirko Eberlein am 12.02.2000 in Gera. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Mirko Eberlein stellte im Sommer 2000 seine Wohnung zur Verfügung, als Mario Brehme und Ronny Schlenzig einen sicheren Ort für ihre neu erworbenen Gewehrattrappen und Militärjacken suchten. Das Material war angeschafft worden, um Kameradschafter in militärischen Nahkampftechniken zu trainieren, die die beiden bei der Bundeswehr erlernt hatten.
Nachdem Tino Brandt 2001 als V-Mann des Verfassungsschutzes enttarnt wurde, trat Mirko Eberlein aus der NPD aus und gab seine Rolle als Führungsfigur der örtlichen Szene schrittweise auf.
Ender 90er gründeten die Brüder die Rechtsrockband „Blutorden“, die zunächst noch „Saalepiraten“ hieß. Auf die Eberleins ging 1999 auch ein Solidaritätskonzert zurück, mit dem Geld für das Anfang 1998 untergetauchte NSU-Kerntrio gesammelt werden sollte.

Mirko Eberlein mit Blutorden-Tattoo (inzwischen übergestochen).

Am 31.12.1999 spielte die Band auf Einladung von Siegfried „SS-Siggi“ Borchardt in Dortmund. Borchardt wohnte 2006 in der Mallinckrodtstraße unweit des Ladens, in dem Mehmet Kubaşık vom NSU ermordert wurde. Im Jahr 2001 spielten Blutorden in Sonneberg neben der rechten Kultband „Frontalkraft“ und der ortsansässigen Band „Sturmangriff“. Nach eigenen Angaben bestand die Band bis 2002. Als 2008 ein Sampler des bereits seit 2000 verbotenen deutschen Blood & Honour-Netzwerk produziert wurde, war aus Thüringen neben der Gothaer Band SKD auch Blutorden mit drei Titeln vertreten. Blood & Honour zählte vor allem in Sachsen zur wichtigsten Unterstützungsstruktur des NSU. Blutorden steuerte zum Sampler u.a. den Titel „Happy Holocaust“ bei.

Blutorden auf Blood & Honour-Sampler 2008

Sowohl Marcel als auch Mirko Eberlein waren seit den 90ern mit Mafia- und Rotlichtstrukturen verbunden. Im Rahmen der beginnenden Aufklärung des NSU-Komplexes ab November 2011 witterte mit Michael Hubeny einer ihrer früheren THS-Kameraden, der sich Ende der 2000er den Bandidos zugewandet hatte, seine Chance, mit einer Aussage seine damalige Haftstrafe zu verkürzen: Er berichtete den Ermittler*innen, dass Marcel und Mirko Eberlein im Jahr 1999 zusammen mit Sven Rosemann und weiteren Mittätern einen Geldtransporter in Pößneck überfallen hatten. Zur Absicherung des Überfalls wurde der Polizeifunk abgehört, wie es der THS schon seit Jahren zu tun pflegte. Der Wachmann wurde vielfach ins Gesicht und gegen den Körper geschlagen und mit CS-Gas eingesprüht. Erbeutet wurden dabei über 78.000 DM und ein Revolver. Die Eberleins, Sven Rosemann und ein weiterer Mittäter investierten ihre Beute in den Kauf des Rudolstädter Bordells „Blue Velvet“. Infolge von Michael Hubenys Verrat kam es 2013 zum Prozess gegen Rosemann, die Eberlein-Brüder und ihre Mittäter. Hierbei beschuldigten sie sich gegenseitig, den größeren Anteil an der Tat gehabt zu haben.

Mirko und Marcel Eberlein im Landgericht Gera 2013. (Foto: Haskala)

Mirko Eberlein arbeitete zum Zeitpunkt des Prozesses bereits in der Schweiz als Software-Entwickler. Er lebt heute in Lengnau im Aargau und arbeitet für WebGate aus Dietikon bei Zürich. Er wirbt damit, dass er schon seit den 2000er Jahren Erfahrung im Webdesign hätte. Aus dem NSU-Komplex ist bekannt, dass die erste Internetseite des Nationalen Widerstand Jena auf Mirko Eberlein angemeldet war. Er erstellte außerdem im selben Zeitraum eine Webplattform, über die er Sexdienstleitungen jener Frauen anbot, die er mit THS-Kameraden aus Litauen nach Rudolstadt ins Blue Velvet brachte.

Mirko Eberlein als Software-Entwickler in der Schweiz.

Michael Hubeny (Mitorganisator von paramilitärischen Übungen)

Michael Hubeny 1992 in einem Beitrag von Spiegel TV über Neonazi-Wehrsport am Erfurter Drosselberg.

Michael Hubeny (Jahrgang 1972) gehörte schon vor der Wende zur „Antikommunistischen Aktion“, einer Neonazi-Kameradschaft im Raum Coburg. Anfang der Neunziger fand er Anschluss an die entstehende Anti-Antifa Ostthüringen und deren Gründer aus dem Raum Saalfeld-Rudolstadt. Als Thomas Dienel, Kader der neofaschistischen Partei DNP, im Jahr 1992 für Spiegel TV eine Wehrsportübung in Szene setzte, beteiligte sich Hubeny zusammen mit Erfurter Nazis und den aus Rudolstadt und Saalfeld hinzugekommenen Sven Rosemann und Andreas Rachhausen. Infolge eines Banküberfalls saß Hubeny von 1994 bis 1999 in der JVA Ichtershausen, wo er von der Neonazi-Gefangenenhilfe „Hilfsorganisation Nationaler Gefangener“ (HNG) unterstützt wurde. Nach seiner Freilassung zeigte ihm der Rudolstädter THS-Kader Sven Rosemann im Jahr 2000 in dessen Wohnung eine Česká 83 und eine Mossberg-Pumpgun. Eine solche Pumpgun wurde später auch im Wohnmobil von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gefunden. Im NSU-Prozess wurde später jedoch aufgrund von Hubenys detailreichen Aussagen zu der Česká befunden, dass es nicht dieselbe Waffe gewesen sein konnte.
Michael Hubeny gab nach der NSU-Selbstenttarnung der Polizei gegenüber außerdem an, Tino Brandt Anfang 2000 zu jenem Treffen mit Thorsten Heise gefahren zu haben, von dem bei einer späteren Hausdurchsuchung bei Heise Tonbandaufnahmen gefunden wurden. In dem Gespräch bestätigte Heise die Existenz bewaffneter Zellen und machte Anspielungen auf das untergetauchte NSU-Kerntrio; Tino Brandt sprach von hohen Geldsummen, die seiner Kenntnis nach für das Trio gesammelt würden. Beweisanträge der NSU-Nebenklage zur Frage, ob Michael Hubeny selbst bei dem Gespräch anwesend war, wurden vom Gericht abgewiesen.

Michael Hubeny am Steuer des Lautsprecherwagens der NPD auf dem Erfurter Anger am 01.05.2005. (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Hubeny war in den Jahren 2005/2006 stellvertretender Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Weimarer Land und danach Beisitzer. Außerdem war er bis ins Jahr 2007 Vorsitzender des Landesverbands der NPD-Jugendorganisation JN. Gleichzeitig war er die Führungsfigur der Kameradschaft Blankenhain. In jener Zeit organisierte er eine Vielzahl rechter Kundgebungen im Weimarer Land, u.a. in Apolda, Weimar und Bad Berka. Auch mit dem NSU-Helfer Ralf Wohlleben arbeitete Hubeny in diesen Jahren im Rahmen der NPD enger zusammen. Im Dezember 2006 störte Hubeny gemeinsam mit den ehemligen THS- und späteren NPD-Aktivisten Jan Morgenroth (Weimar) und Patrick Wieschke (Eisenach) eine Veranstaltung im Weimarer Goethehaus. Die Störung hatte er zuvor schon im Internet angekündigt.

Michael Hubeny am 25.03.2006 als Redner einer JN-Kundgebung in Apolda; 1.v.r. ist Thomas Wienroth. (Foto: Indymedia)

Michael Hubeny wandte sich in den späten 2000er Jahren von der NPD ab und der Rockerszene zu. Er bewegte sich mehrere Jahre im Umfeld des Bandido Chapters Jena-Weimar. Zum Zeitpunkt der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 saß Hubeny in der JVA Tonna bei Gotha in Haft. Von dort aus hat er in einem Brief an die Polizei die Haupttäter eines Überfalls auf einen Geldtransport 1999 verraten. Mit Sven Rosemann, Mirko und Marcel Eberlein stammten diese aus dem Kern des THS. Aus diesem Grund mehrten sich Spekulationen über eine etwaige Tätigkeit Hubenys als Spitzel für LKA oder Verfassungsschutz. Bei dem Überfall war ein Wachmann brutal niedergeschlagen, über 70.000 DM und eine Waffe geraubt worden. Mit dem Verrat an seinen ehemaligen Kameraden erhoffte sich Hubeny, Haftverkürzungen aushandeln zu können.

Michael Hubeny (1.v.r.) mit der Bandidos-Unterstützergruppe Chicanos Apolda. (Foto: Soziale Medien)

Seit mindestens 2016 ist Michael Hubeny wiederholt auf dem Schießstand des Landesverbandes des BdMP e.V. in Krahnberg bei Gotha gewesen, einem Verein von Militär- und Polizeischützen. Der Schießstand bescheinigte Hubeny seine Trainings an den vollautomatischen Waffen im Jahr 2016, wie er selber stolz dokumentierte. Hubeny veröffentlichte zudem zahlreiche Bilder der automatischen Gewehre, an denen er trainieren durfte:

Michael Hubenys Trainingszertifikat vom Polizei- und Militärschützenverein am Krahnberg und eine Sammlung der Waffen, an denen er trainiert wurde. (Fotos: Instagram)

Über Hubenys Aktivitäten in der vergangenen Jahren ist genausowenig bekannt wie über seine heutige Ideologie. Eine öffentliche Erklärung über seine ideologische Distanzierung, eine Aufarbeitung seiner gut zwei Jahrzehnte militanten rechten Aktivismus oder Hinweise an Betroffene rechter Gewalt bezüglich der ihm bekannten Personen und Strukturen, sind bislang nicht bekannt.

Michael Hubeny 2019 (Foto: Instagram)

Immobilien des Thüringer Heimatschutz

Der ehemalige THS-Treffpunkt in Heilsberg. (Foto: NSU-Watch)

Seit seiner Gründung veranstaltete der Thüringer Heimatschutz wöchentliche „Mittwochsstammtische“, die der Organisierung der gesamten Neonaziszene Thüringens und darüber hinaus bis nach Franken dienten. Bei diesen Stammtischen mobilisierten die Führungskader für Aufmärsche und Konzerte an den Wochenenden und verteilten Propagandamaterial zur ideologischen Schulung. Da der THS bis 1997 keine eigene Immobilie hatte, fanden die Treffen bis ins Frühjahr 1997 in wechselnden Kneipen im Raum Saalfeld-Rudolstadt statt. Der Landkreis kann als Kernland des Thüringer Heimatschutz bezeichnet werden.

Um die Organisierung des Heimatschutzes weiter auszubauen, machte man sich im Frühjahr 1997 auf die Suche nach einer geeigneten Immobilie, die als Hauptsitz der Struktur dienen sollte. Dabei fiel die Wahl auf die Gaststätte in dem kleinen Dorf Heilsberg oberhalb von Rudolstadt. Die Immobilie lag somit direkt im Hauptaktionsfeld des THS und barg durch ihre Abgeschiedenheit gleichzeitig Sicherheit vor antifaschistischen Interventionen. Mit dem direkten Umfeld hatten die Neonazis des THS schon in den Vorjahren Erfahrungen sammeln können, als sie im Sommer 1995 auf einem ehemaligen sowjetischen Übungsgelände beim Nachbardorf Milbitz Wehrsportübungen durchführten. Das Heilsberger Gebäude selbst war aufgrund seiner Größe gut geeignet für den Heimatschutz. Es bot ausreichend Platz sowohl für die Stammtische, zu denen wöchentlich mehrere dutzend Neonazis anreisten, als auch für Konzerte und ideologische Schulungen.

Zunächst plante der Heimatschutz-Kader Mario Brehme die Gaststätte zum 01.04.1997 zu pachten. Von diesem Vorhaben wurde jedoch abgewichen; Betreiber wurden Christian Dietzel und Andreas Rachhausen. Dietzel hatte zuvor schon Erfahrung im Betreiben von Immobilien mit dem „Saaleblick“ auf dem Roten Berg bei Kamsdorf sammeln können. Diese Gaststätte wurde schon 1995/96 durch den THS für Treffen und Schulungen genutzt. Noch heute ist die ideologische Ausrichtung des Lokals weithin sichtbar, wie sich an den verschiedenen Reichsflaggen im Vorgarten und einer Sonnenwendfeier auf dem Gaststättengelände am 20.06.2020 zeigte.

Die frühere THS-Immobilie „Zum Saaleblick“ auf dem Roten Berg bei Kamsdorf ist heute im Besitz von ReichsbürgerInnen. (Bild: Rechercheportal Jena-SHK)

Am 30.04.1997 fand der erste Mittwochsstammtisch im neuen Stützpunkt des THS in Heilsberg statt. Bis zur Kündigung ein Jahr später sollte die Gaststätte der regelmäßige Treffpunkt bleiben. Jede Woche reisten Neonazis aus ganz Thüringen in das kleine Dorf an, um sich weiter zu vernetzen und Aktionen zu planen. Zu den regelmäßigsten TeilnehmerInnen zählte das spätere NSU-Kerntrio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Der frühere Gasthof Heilsberg ist heute ein unscheinbares Gebäude im Ortskern von Heilsberg. (Bild: Rechercheportal Jena-SHK)

Neben den Stammtischen wurde die Immobilie für Konzerte von Bands wie Volksverhetzer aus Sonneberg oder der bundesweit bekannten Rechtsrockgröße Sleipnir genutzt. Auch Vorträge und Schulungen wie z.B. durch den Mitarbeiter des neonazistischen Verlags „Nation und Europa“ aus Coburg, Karl Richter, und Rechtsschulungen durch die SzeneanwältInnen Thomas Jauch und Gisa Pahl fanden in Heilsberg statt. Die TeilnehmerInnen der Veranstaltungen kamen nicht nur aus Thüringen, sondern auch aus den umliegenden Bundesländern, wie z.B. das von Christian Dietzel organisierte Fußballturnier am 05.07.1997 zeigt, bei dem Mannschaften aus Thüringen, Sachsen, Franken und Berlin teilnahmen.

Am 11.10.1997 sollte eine antifaschistische Großdemonstration in Saalfeld unter dem Motto „Den rechten Konsens brechen“ stattfinden, zu der bundesweit mobilisiert wurde, um auf die neonazistischen Zustände in der Region aufmerksam zu machen und die lokale Antifa-Bewegung zu unterstützen. Die Demonstration wurde verboten, nachdem von der Stadtgesellschaft massiv gegen sie Stimmung gemacht wurde und der THS zeitgleich eine Gegendemo angemeldet hatte. Anlässlich dieser Demonstration fand am Morgen des 11.10. eine Hausdurchsuchung in der Gaststätte Heilsberg statt, wobei das bis dahin größte Waffenlager Thüringens ausgehoben wurde. In und um das Gebäude befanden sich knapp 70 Neonazis aus ganz Thüringen, Franken, Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Darunter waren u.a. Christian Müller (damals Kapke) und André Kapke aus Jena, der 2021 im Ballstädt-Verfahren verurteilte Thomas Wagner aus Gotha und der sachsen-anhaltinische Rechtsrockveranstalter Enrico Marx. Die Neonazis befanden sich nicht nur im Gebäude selbst, sondern auch im Dorf und Umland auf militärische Stützpunkte verteilt, die mit der Gaststätte per Funk verbunden waren. Zeitgleich wurde in Saalfeld das linke Zentrum „Schlossberg“ durch das SEK durchsucht, wobei es beim Stürmen des Hauses zu Schlägen durch die Beamt*innen gegen die Hausbewohner*innen kam. Gefunden wurden dort lediglich drei Handys, ein Pfefferspray und ein Messer.

Waffenfunde am 11.10.1997 in Heilsberg. (Bild: ARD)

Nach dem Waffenfund kam es zu Bewegung im Dorf: Zunächst wollte die Gemeinde den Pachtvertrag zum 30.10.1997 kündigen, was sich jedoch noch bis zum 30.04.1998 verzögerte. Nach dem Abtauchen des NSU- Kerntrios nach Chemnitz wurde die Immobilie noch für ein Konzert mit dem Liedermacher Jörg Hähnel und der Band Sleipnir im Februar 1998 genutzt, wobei 700 DM Spendengelder für die Untergetauchten gesammelt wurden.

Nach der Kündigung berichtete der frühere Mitbetreiber Andreas Rachhausen, der als Gewährsperson „Alex“ von den Behörden bezahlt wurde, dass die Schließung der Gaststätte zu Raumfindungsschwierigkeiten für den Thüringer Heimatschutz geführt habe und dadurch die Mittwochsstammtische zeitweise zum Erliegen kamen. Dies verdeutlicht einmal mehr die enorme Bedeutung, die eigene Immobilien für die extrem rechte Szene haben und die einschränkende Wirkung auf die Organisierung, die mit ihrem Verlust einhergeht.

Veit Kelterborn

Veit Kelterborn (r.) und Thomas Wienroth bei einer revisionistischen Gedenkveranstaltung von „Jugend für Rudolstadt“ 2003.

Der 1975 geborene Veit Kelterborn zählt seit Mitte der 1990er Jahre zur Rudolstädter Naziszene. Er begann schon früh, als „Liedermacher Veit“ auf Neonazi-Veranstaltungen Konzerte zu geben. So spielte er 1995 bei einem Neonazi-Liederabend in Wernigerode. Auch an einem Album der Südthüringer Rechtsrockband „Volksverhetzer“, die dem Blood&Honour-Milieu zugerechnet werden kann, soll Kelterborn mitgewirkt haben. Daraufhin gab es bei ihm eine Hausdurchsuchung. Kelterborns Telefonnummer fand sich auch in einem bei Marcel Degner (Gera) festgestelltem Adressbuch. Degner war bis zum Verbot im September 2000 Kassenwart der Blood & Honour-Division Deutschland und Leiter der Sektion Thüringen. In der Hochphase des Thüringer Heimatschutzes 1996-2000 zählte Kelterborn zu den engeren Kontakten der Führungsperson Tino Brandt. Neben Brandt war Kelterborn viel mit Mario Brehme und Maximilian Lemke unterwegs. Im Jahr 1998 spielte Veit Kelterborn in einem ZDF-Beitrag über die Anti-Antifa Ostthüringen Gitarre, während THS-Mitglieder aus Jena und Rudolstadt sich maskiert beim Wehrsport in Szene setzten. Im Jahr 1999 fuhr Kelterborn zusammen mit Tino Brandt zur Hochzeit des Neonazi-Kaders Thorsten Heise, der in jener Zeit mehrfach im Gespräch mit Brandt und anderen THS-Aktivisten stand, die Zufluchtsorte für das untergetauchte NSU-Kerntrio suchten.

Veit Kelterborn im Jahr 2017. (Foto: Facebook)

Kelterborns letzte Veröffentlichungen als Neonazi-Liedermacher erfolgten 2006. Seit 2011 spielt Kelterborn in der Band „Überdeutlich“, die nach Eigenangaben „weder rechts noch links“ ist, aber „offen Gutmenschentum angreift“. In ihren Texten greift die Band rechte Narrative auf, wenn sie im Kontext der Geflüchtetenbewegungen 2015 beklagt, dass „ganz Europa“ brenne und trotz der Kölner Silvesternacht um „noch mehr Toleranz“ gebeten werde. Sowohl als Liedermacher als auch mit „Überdeutlich“ tritt Kelterborn verschiedenerorts noch auf, ohne jedoch in einschlägigen Nazi-Zusammenhängen aufzufallen. In Rudolstadt-Schwarza betreibt er das Tattostudio „Mystic Art Tattoo“, auf Bildern der Facebookseite ist zu sehen, dass auch mal Keltenkreuze tätowiert werden. Deren Darstellung ist in Deutschland strafbar und wird regelmäßig als Volksverhetzung verfolgt.

Keltenkreuz-Tattoo bei Veit Kelterborns Mystic Art Tattoo in Rudolstadt im Jahr 2020. (Foto: Facebook)

Behördlichen Informationen zufolge zählte Veit Kelterborn noch 2012 zur Neonaziszene. Bis heute ist kein offener Bruch Kelterborns mit der Szene bekannt. In den sozialen Netzwerken nennt er sich „Veit Kaltenbrunn“. Ob er damit einen Bezug zum hochrangigen SS-Funktionär Ernst Kaltenbrunner herstellen will bleibt Mutmaßung.

Daniel Klinkhart (Mitorganisator von paramilitärischen Übungen)

Daniel Klinkhart bei einem Aufmarsch von NPD, THS und Blood & Honour in Gera am 04.09.1999. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Daniel Klinkhart (Jahrgang 1977) stammt aus Saalfeld und gehörte seit 1995 fest zum Kreis der sich formierenden Kameradschaft Saalfeld um Tino Brandt und Mario Brehme. Mit Brehme und Brandt fuhr Klinkhart 1996 nach Berlin, um Möglichkeiten auszuloten, eine Anstellung in einem neu zu gründenen rechten Verlag zu finden. Bis mindestens in die 2000er war Klinkhart im THS aktiv, wie seine Teilnahme an einer Lesung mit dem in Südafrika lebenden Faschisten Claus Nordbruch im September 2000 in Rudolstadt zeigt.

Daniel Klinkharts Sohn Philipp, der wie schon die erste Generation vieler THSler in Saalfeld-Gorndorf aufwuchs, trat um 2015/2016 in die unmittelbaren Fußstapfen seines Vaters: Er schloss sich einer Gruppe junger, militanter Neonazis aus Saalfeld und Rudolstadt an, die eine neue Anti-Antifa Ostthüringen ausriefen. Sein engster Kamerad dabei ist Steven Hause aus Saalfeld, der sich schon länger in den Kreisen gewaltsuchender Nazis im Landkreis bewegt. Philipp Klinkhart übernahm während des laufenden NSU-Prozess auf seiner Facebook-Seite bereits Solidaritäts-Bilder für Ralf Wohlleben. Da er regelmäßig mit einem Shirt der „Crew 38“, einer Unterstützungsstruktur der militant-elitären Hammerskins, posiert, ist davon auszugehen, dass er festen Anschluss an deren Netzwerke gefunden hat.

Daniel Klinkhart (l.) und sein Sohn Philipp (r., im Hammerskin-Supporter-Shirt der „Crew 38“) im Jahr 2016. (Foto: Facebook)

Maximilian Lemke (Führungsperson THS, Spendensammler für Untergetauchte, Wohlleben-Solidaritätsbewegung)

v.l.n.r.: Holger Gerlach, Maximilian Lemke, Ralf Wohlleben, Uwe Mundlos beim Heß-Marsch 17.08.1996 in Worms. (Foto: Apabiz)

Der aus Kaulsdorf bei Saalfeld stammende Maximilian Lemke tritt seit gut zwanzig Jahren unter dem Namen „Liedermacher Max“ auf. Er ist seit Anfang der 1990er Jahre in der Ostthüringer Neonaziszene aktiv. Lemke zählte schon Mitte der 90er zur Kameradschaft Saalfeld und war mit u.a. Mario Brehme, Tino Brandt und Andreas Rachhausen am Aufbau des Thüringer Heimatschutzes beteiligt. Am 17.08.1996 besuchte er zusammen mit dem späteren Kern des NSU, André Kapke, Ralf Wohlleben, Holger Gerlach, Beate Zschäpe und Uwe Mundlos, den Rudolf-Heß-Marsch im Worms. Lemke kann neben einer Handvoll weiterer Saalfelder zur Führungsriege des THS und der Vernetzung mit den JenaerInnen gezählt werden, die später das NSU-Kerntrio und deren HelferInnen bildeten. Lemke war auch regelmäßiger Besucher des THS-Stammtisches in Heilsberg und fuhr bundesweit zu Aufmärschen. In Jena nahm er im Juli 1998 zusammen mit André Kapke und weiteren THS-Mitgliedern an einer Kundgebung der Republikaner teil.

Maximilian Lemke (links am Transpi) und André Kapke (über dem Buchstabe E am Transparent) bei einer Kundgebung der Republikaner am 18.07.1998 auf dem Jenaer Markt. (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Am 10.10.1998 beteiligte er sich dann gemeinsam mit über 40 Nazis an einem Angriffsversuch auf die JG Stadtmitte in Jena. Dabei wurde die Gruppe Neonazis durch die Polizei gestellt. Schon im Vorjahr tauchte Lemke auf einer internen Behördenliste zu den wichtigsten Köpfen der militanten rechten Szene auf, die im Rahmen der „Operation Rennsteig“ angelegt wurde, auf. Laut einer V-Mann-Meldung von Tino Brandt beteiligte sich Maximilian Lemke 1999 an einer Spendenaktion für die Untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. 1999 und 2000 lief Lemke mit seinem Saalfelder Kameraden Christoph Nicolaus bei aufmärschen von THS, NPD und Blood & Honour in Gera mit.

Maximilian Lemke (1.v.r.) und Christoph Nicolaus beim Aufmarsch von THS und NPD in Gera am 04.09.1999. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Im Jahr 2002 erschlossen sich Lemke, Ralf Wohlleben und André Kapke eine Immobilie in Jena-Altlobeda, die als „Braunes Haus“ bis 2008 für zahlreiche Veranstaltungen, Konzerte und Kameradschaftsabende genutzt wurde. Lemke unterschrieb den Pachtvertrag und zog selber in das Haus ein. Im „Braunen Haus“ hatten zu dieser Zeit auch die Burschenschaft Normannia und der Nationale Widerstand Jena ihren Sitz. In den späteren 2000er Jahren war Lemke an der Seite von Ralf Wohlleben stark am Aufbau des Freien Netzes (FN) beteiligt. Dieses Netzwerk parteiunabhängiger Neonazi-Kameradschaften kann als Nachfolgestruktur des THS bezeichnet werden. Zusammen mit FN-Gruppen organisierte er Aufmärsche in ganz Thüringen und trat dort auch als Liedermacher auf.

Maximilian Lemke (l.) und Tobias „Bienen Mann“ Winter auf dem „Thüringentag der nationalen Jugend“ in Arnstadt am 13.06.2009. (Foto: Infothek Dessau)

Nach der Schließung des Braunen Hauses in Jena zog Lemke nach Kahla. Im Nachgang der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 gehörten Lemke und seine damalige Partnerin Susann Thiele zur maßgeblich von Kahla und Saalfeld aus getragenen Solidaritätsbewegung „Freiheit für Wolle“ für den NSU-Helfer Ralf Wohlleben.

Maximilian Lemke und Susann Thiele bekennen sich nach der Selbstenttarnung des NSU zu dessen politischem Ursprung und Unterstützernetzwerk vom Thüringer Heimatschutz. (Foto: Facebook)

Lemke ist bis heute aktiver Teil der Naziszene Kahlas und beteiligte sich u.a. an einer Kundgebung von Der III. Weg in Kahla im April 2016. Er bewegt sich außerdem im Umfeld der militanten Bruderschaft Turonen / Garde 20, mit denen er zum Rudolf-Heß-Marsch 2017 nach Berlin fuhr und sich am Rechtsrockfestival in Apolda im Oktober 2018 beteiligte.

Maximilian Lemke (1.v.l.) mit den Turonen David Heinlein, Maximilian Warstat, Marcel Buhe, Felix Reck (kein Turone), Sebastian Dahl, Markus Blasche beim Rudolf-Heß-Marsch 17.08.2017 in Berlin. (Foto: Igor Netz)

Maximilian Lemke wohnt weiterhin in Kahla und ist aufgrund von Arbeit oder Freizeit immer wieder in Jena anzutreffen. 2020 tritt er in Kahla als Liedermacher auf Veranstaltungen von Gegner:innen der Corona-Maßnahmen erneut in Erscheinung.

Maximilian Lemke 2021 (Foto: Facebook)

Christoph Nicolaus (organisierte THS-Aktivitäten in den Neunzigern, Wohlleben-Solidaritätsbewegung)

Christoph Nicolaus (.l.), André Kapke (mit Megafon) und Maximilian Lemke bei einem Aufmarsch von THS und NPD in Gera am 09.04.1999. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Der 1977 geborene Christoph Nicolaus aus Saalfeld stieß als Jugendlicher zur sich formierenden Anti-Antifa Ostthüringen. Er zählte zu der Gruppe um Tino Brandt, Mario Brehme und Sven Rosemann, die in der Region Saalfeld-Rudolstadt die existierende Neonazi-Skinheadszene zu einer Struktur zusammenzuführen versuchte. Mit Aktionen zum Gedenken an den NS-Kriegsverbrecher Rudolf Heß und mit Stammtischen, zu denen Kameraden aus Jena und Gera kamen, baute u.a. Nicolaus den Thüringer Heimatschutz mit auf. Im Sommer 1995 war Nicolaus mit Brandt und Rosemann an Wehrsportübungen auf dem verlassenen Truppenübungsplatz bei Milbitz oberhalb von Rudolstadt beteiligt. Rosemann schaffte dafür mehrfach scharfe Kurz- und Langwaffen an, mit denen Schießübungen abgehalten wurden. Auch André Kapke aus Jena kam zu diesen Übungen. 1997 zählte Nicolaus zu den Teilnehmern eines THS-Treffens im Jenaer Paradiespark, an dem auch André Kapke, Holger Gerlach, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt teilnahmen. Begleitet wurde er dabei aus Saalfeld u.a. von Maximilian Lemke. Die beiden marschierten auch zusammen 1999 und 2000 bei Aufmärschen von THS, NPD und Blood & Honour in Gera mit. Im Sommer 2000 kam es zu Polizeimaßnahmen gegen Carsten Schultze in Jena und Saalfelder Kameradschafter, die sich gegen anstehende Neonazi-Aktionen zum Todestag von Rudolf Heß richteten. Als Reaktion darauf beschlossen André Kapke und Ralf Wohlleben nach anwaltlicher Rücksprache, eine Demonstration unter neuem Namen anzumelden, um den Druck auf den THS nicht weiter zu erhöhen. So wurde die „Interessengemeinschaft gegen Polizei- und Staatswillkür“ (IGPS) erfunden, in deren Namen die Versammlung angemeldet wurde. Das speziell für diesen Anlass angelegte Postfach war von Christoph Nicolaus eingerichtet worden.

Christoph Nicolaus blieb auch in den 2000er Jahren aktiv und gut vernetzt. Am 01.05.2007 fuhr er zusammen mit Christian Dietzel, dem früheren Pächter der THS-Gaststätte in Heilsberg, zum NPD-Aufmarsch nach Erfurt. Angeführt wurde der Aufmarsch u.a. von Ralf Wohlleben. Auch zum „Rock für Deutschland“ in Gera am 19.07.2008 traf sich Nicolaus mit Wohlleben wieder. Im August 2011 kam Nicolaus erneut zum RfD Gera, wo er und seine Lebensgefährtin Isabell Kunstmann am Einlass einen Plausch mit dem früheren Anführer der Kameradschaft Gera und Organisator des jährlichen Rechtsrockfestivals, Gordon Richter, hielten.

Gordon Richter (1.v.l.) mit Christoph Nicolaus und Isabell Kunstmann am Einlass des RfD Gera am 06.08.2011. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Als fünfzehn Jahre nach dem Untertauchen des NSU-Kerntrios Ralf Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord in Untersuchungshaft saß und aus Saalfeld und Kahla die Solidaritätskampagne auf dem Höhepunkt war, erschienen Christoph Nicolaus und Isabell Kunstmann einheitlich in Shirts „Freiheit für Wolle“ zum Thüringentag der Nationalen Jugend in Kahla. Organisiert wurde das Rechtsrockfestival vom Saalfelder Steffen Richter, der als Jugendlicher 2000 von Nicolaus und Maximilian Lemke an den THS herangeführt wurde.

Isabell Kunstmann und Christoph Nicolaus in Wohlleben-Solidaritätsshirts beim Thüringentag der Nationalen Jugend am 15.06.2013 in Kahla. (Foto: Vorwärts)

Nicolaus und Kunstmann kümmerten sich zusammen mit ihrem Saalfelder Kameraden Christian Dietzel um den Einlass zum Festival, an dem Spenden für Wohlleben gesammelt wurden.
Am 1. Mai 2015 lief Christoph Nicolaus neben dem als Jugendlicher zum THS hinzugestoßenen Steffen Richter am Schluss des Naziaufmarschs in Saalfeld mit, bei dem es zu äußerst gewalttätigen Übergriffen auf Antifaschist*innen kam.

Christoph Nicolaus und Steffen Richter beim Aufmarsch von Der III. Weg am 01.05.2015 in Saalfeld. (Foto: Presseservice Rathenow)

Auch am 1. Mai 2016 in Plauen lief Christoph Nicolaus zusammen mit Steffen Richter am Schluss des Aufmarschs mit. Zuletzt waren Nicolaus, seine Frau Isabell Kunstmann und der Saalfelder III.Weg-Aktivist Marcel Funke beim Aufmarsch der Kleinstpartei in Plauen am 01.09.2018 zu sehen.

Marcel Funke (grüne Parteijacke), Isabell Kunstmann und Christoph Nicolaus beim Aufmarsch von Der III. Weg in Chemnitz am 01.09.2018. (Foto: Tim Mönch)

Christoph Nicolaus ist seit gut 25 Jahren Teil der organisierten Naziszene in Saalfeld, baute den THS mit auf, organisierte die Solidarität für NSU-Helfer Ralf Wohlleben und ist nach wie vor aktiv. Mit seiner ebenso in der Naziszene aktiven Frau Isabell Kunstmann wohnt Nicolaus in Schmiedebach südlich von Saalfeld. Kunstmann arbeitet in der Verwaltung der Dachdeckerschule im benachbarten Lehesten.

Andreas Rachhausen (V-Mann, Fluchthelfer und Mitwisser zu Helfern und Fluchtort)

Andreas Rachhausen im Landgericht Erfurt 2012. (Foto: Haskala)

Andreas Rachhausen (Jahrgang 1971) stammt aus Saalfeld und war nach der Wende eine der wichtigsten Personen bei der Formierung der militanten Naziszene im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Den Großaufmarsch zum Gedenken an den NS-Kriegsverbrecher Rudolf Heß im Jahr 1992 in Saalfeld, zu dem bundesweit rund 2000 Neonazis anreisten, meldete der damals 21-jährige Rachhausen an. Das Gedenken an Rudolf Heß bestimmte fortan bis in die frühen 2000er Jahre einen erheblichen Teil der Aktionen des aufkommenden Thüringer Heimatschutzes. Rachhausen war außerdem mit Sven Rosemann und Michael Hubeny an der Inszenierung von Wehrsportübungen nahe Erfurt 1992 beteiligt, die von Spiegel TV in einem Beitrag über die militante ostdeutsche Naziszene gezeigt wurden.

Sven Rosemann beim Zünden einer Rauchbombe für Spiegel TV 1992; auch Andreas Rachhausen war anwesend. (Bild: Spiegel TV)

Rachhausen wurde infolge verschiedener Delikte u.a. Körperverletzungen ab 1993 per Haftbefehl gesucht und setzte sich nach Dänemark ab. Dort fand er beim bekannten Holocaustleugner Thies Christoffersen einen sicheren Unterschlupf. Christoffersen war 1944 als SS-Sonderführer nahe Ausschwitz eingesetzt und daher ein Idol der Naziszene. Als Andreas Rachhausen rund eineinhalb Jahre später zurückkam und Leistungen beim Arbeitsamt beantragen wollte, kam es zur Festnahme. Nach der Haftentlassung profilierte sich Rachhausen neben Tino Brandt als Führungsperson der Kameradschaft Saalfeld und war auch weiterhin für seine brutalen Übrgriffe bekannt. Tino Brandt bezeichnete Rachhausen 1997 neben Mario Brehme, Maximilian Lemke, den Kapke-Brüdern aus Jena, Ralf Wohlleben und Uwe Mundlos als harten Kern des Thüringer Heimatschutzes. Rachhausen galt den Behörden 1997/98 als Mitbetreiber des von Christian Dietzel erworbenen Gasthofes in Heilsberg, in dem sich der THS in jener Zeit regelmäßig traf. Hier wurde im Oktober 1997 bei einer Razzia ein massives Waffenarsenal festgestellt, das die Nazis in Vorbereitung u.a. für Angriffe auf Antifaschist*innen angelegt hatten.
Angesichts all dessen verwundert es nicht, dass Ralf Wohlleben nach der Flucht von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Ende Januar 1998 Andreas Rachhausen bat, zusammen mit dem Jenaer Conny Coriand Wohllebens Auto aus Sachsen zurückzuholen. Das spätere Kerntrio hatte den Wagen, mit dem es aus Jena geflohen war, wegen einer Panne an der Autobahn zurückgelassen. Rachhausen holte mit Coriand den Wagen zurück. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits unter dem Namen „Alex“ Gewährsperson, also Spitzel des Thüringer Verfassungsschutzes. Rachhausen nahm im September 2000 auch an einer vom THS organisierten Lesung des in Südafrika lebenden Faschisten Claus Nordbruch in Rudolstadt teil, zu der alle nahmhaften Kader des Heimatschutzes erschienen.

In den späten 2000er Jahren engagierte sich Rachhausen für die NPD und unterstützte sie u.a. im Wahlkampf 2009 mit einem Fahrzeug, das als Wahlkampfmobil diente. Im Dezember desselben Jahres lud er die bekannte Rechtsrockband „Kategorie C“ zu einem Konzert nach Saalfeld ein. Andreas Rachhausen klagte 2012 und 2013 vergeblich dagegen, von der DIE LINKE-Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss mit Neonazi-Aktivitäten in Verbindung gebracht zu werden.

Steffen Richter

Steffen Richter (grüne Mütze), Maximilian Lemke (schwarzes Hemd) und Christoph Nicolaus (Lederjacke) beim Aufmarsch von NPD und THS in Gera am 12.02.2000. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Steffen Richter (geb. 1983) aus Saalfeld ist seit Ende der 1990er Jahre in der Thüringer Neonaziszene aktiv. Als 14-Jähriger war er im Oktober 1998 an einem Versuch des THS beteiligt, die JG Stadtmitte in Jena zu stürmen. Zusammen mit ihm wurden dabei auch die NSU-Helfer Carsten Schultze und André Kapke von der Polizei festgesetzt. Im Jahr 2002 war Richter erneut zusammen mit Kapke an einem Übergriff beteiligt, als sie vor dem neu gegründeten Braunen Haus in Jena Gegendemonstrierende angriffen. Richter pflegte bald intensive Kontakte zu den Szenen in Saalfeld-Rudolstadt, Jena und Gotha. Mit den Saalfelder Führungskadern des THS, Maximilian Lemke, Christian Dietzel und Christoph Nicolaus setzte Richter auch nach der Enttarnung ihres lokalen Führers Tino Brandt den THS-Aktivismus fort. So hielt Richter zusammen mit Dietzel auch 2003 das Transparent des THS während eines NPD-Landesparteitags im Braunen Haus in Jena. Zuvor betätigte sich Richter auf der Veranstaltung als Anti-Antifa-Fotograf.

Christian Dietzel (1. v. vorne) und Steffen Richter (rechts dahinter) mit dem Transparent des „Thüringer Heimatschutz“ beim NPD Landesparteitag am 07.12.2003 im Braunen Haus in Jena; dabei auch die Jenaer JN-Mitglieder Steffen Jahns (l. v. Dietzel) und Matthias Lück (ganz links am Banner). (Bild: JG Stadtmitte)

Mitte der 2000er Jahre wurde Steffen Richter im Bereich Rechtsrock aktiv. Nachdem er weniger erfolgreich versuchte, mit den militanten Hammerskins eine Zusammenarbeit aufzubauen, übernahm er für die Gothaer Rechtsrockband Sonderkommando Dirlewanger (SKD) eine Art Manager-Rolle. Er organisierte selber Konzerte in ganz Thüringen, an denen neben SKD auch andere Bands aus dem Spektrum von Blood & Honour teilnahmen. Im Jahr 2009 zog er ins Schützenhaus Pößneck ein, das zu diesem Zeitpunkt eine rechte Immobilie war und nach dem Tod des NPD-Funktionärs Jürgen Rieger durch André Kapke verwaltet wurde. In Pößneck meldete er gemeinsam mit Ralf Wohlleben das Rechtsrockfestival „Thüringentag der nationalen Jugend“ 2010 an.

Ralf Wohlleben (l.) und Steffen Richter beim „Thüringentag der nationalen Jugend“ in Arnstadt am 13.06.2009. (Foto: Patrick Limbach)

Im Schützenhaus lernte Richter den Pößnecker Renaldo Bernhardt kennen, der sowohl bei den Hells Angels als auch in der Neonaziszene aktiv ist. Richter kaufte 2009 von Bernhardt eine scharfe Schusswaffe der Marke Česká, die 2011 bei einer Hausdurchsuchung bei Richter gefunden wurde. Aufgrund der Ähnlichkeit zur Mordwaffe des NSU wurden gegen Richter und Bernhardt nach der NSU-Selbstenttarnung 2011 Ermittlungen aufgenommen. Die Herkunft der Waffe und die Frage, ob es einen Zusammenhang zur NSU-Mordwaffe gab, blieben jedoch ungeklärt.
Steffen Richter pflegte gute Kontakte zur Rockerbande Red Devils und residierte auch zeitweise in deren Treffpunkt „Alters Labor“ in Saalfeld-Unterwellenborn. Ebenfalls um 2009/2010 betrieb Richter gemeinsam mit Fabian Kellermann den Neonaziladen Strikebackshop in Apolda. Dieser existiert bis heute, wird mittlerweile aber allein durch Kellermann betrieben.

Richter übernimmt in Thüringen bis heute große Teile der Organisation von Konzerten. Diese Funktion übte er schon in den 2000er Jahren aus und setzt sie bis heute fort. Nach dem Auffliegen des NSU und der Verhaftung Ralf Wohllebens gehörte er zu den Hauptakteuren der „Freiheit für Wolle“-Solidaritätskampagne und kommunizierte über Mittelsmänner verdeckt mit Wohlleben im Gefängnis.

Steffen Richter und Marcel Zech als Organisatoren des Rechtsrockfestivals „Rock gegen Überfremdung III“ am 06.10.2018 in Apolda. (Bild: Recherche Nord)

Ab 2015 gründete sich die Neonazigruppe „Turonen“, die tief in die organisierte Kriminalität im Raum Gotha eingebunden ist. Die Struktur bildete sich zu großen Teilen aus den Angeklagten des Ballstädt-Prozesses und konzentriert sich auf den Raum Gotha und Saalfeld-Rudolstadt. Neben dem früheren SKD-Sänger Thomas Wagner ist Richter deren Führungsfigur. Die Turonen organisierten von 2016 bis 2018 die Rechtsrockfestivals „Rock gegen Überfremdung“ in Kirchheim, Themar und Apolda, die Neonazis aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland anzog. Als 2021 die Revisionsverhandlung im Ballstädt-Prozess am Landgericht Erfurt geführt wurde, gehörte Richter gemeinsam mit den Turonen-Mitgliedern Marcel Buhe, Matthias Melchner und Maximilian Warstat zu den regelmäßig anwesenden rechten UnterstützerInnen der Angeklagten.

Steffen Richter (1.v.l.) am 16.06.2021 beim Ballstädt-Revisionsprozess in Erfurt zusammen mit Marcus Rußwurm (2.v.l.), Matthias Melchner (3.v.l.), Tony Steinau (4.v.l. im Hintergrund) und Marcel Buhe (5.v.l.).

Im Frühjahr 2021 ging die Polizei mit zahlreichen Razzien gegen die organisierte Kriminalität der Turonen im Raum Gotha vor.
Zeitgleich wurde auch das Haus von NSU-Helfer Ralf Wohlleben in Wildschütz (Sachsen-Anhalt) durchsucht. Der Grund: Die Turonen sollen Wohlleben über einen Schein-Minijob mehr als ein halbes Jahr lang monatlich 450 € aus Drogengeldern bezahlt haben. Es liegt nahe, dass diese Unterstützung wiederum auf Steffen Richter zurückgeht, der Wohlleben immer ein treuer Unterstützer geblieben ist.

Sven Rosemann (Mitgründer Anti-Antifa Ostthüringen, Waffenbeschaffer für paramilitärische Übungen)

Sven Rosemann 2016 in der JVA Tonna. (Bild: ARD)

Der 1973 geborene Sven Rosemann aus Rudolstadt ist eine Schlüsselfigur in der Entstehung des Thüringer Heimatschutzes und dessen militanter Ausrichtung Anfang der 1990er Jahre. Er war Teil der ostdeutschen Neonazibewegung, die in der Wendezeit seit 1989 massive Übergriffe auf Migrant*innen und Linke verübten. Zusammen mit Andreas Rachhausen, Maik Bolzin und den Brüdern Mirko und Marcel Eberlein organisierte er ab ca. 1992 die Anti-Antifa Ostthüringen. Rosemann war dafür bekannt, dass er verschiedenste Waffen, auch zahlreiche Schusswaffen ansammelte und gewalttätige Auseinandersetzungen mit Linken und der Polizei forcierte. Als Thomas Dienel, damals Funktionär der Deutsch-Nationalen Partei (DNP), eine Anfrage von Spiegel TV zum Thema militanter Neonazismus bekam, inszenierten Rosemann und Michael Hubeny eine paramilitärische Übung in einem Brachgelände auf dem Erfurter Drosselberg.

Sven Rosemann auf dem Erfurter Drosselberg in Spiegel TV Beitrag 1992.

In diese paramilitärische Richtung versuchte er auch, die sich ab 1993 organisierende Naziszene Saalfeld/Rudolstadt zu entwickeln. Im Nachbarort von Heilsberg, Milbitz, begann Rosemann im Sommer 1995 zusammen mit dem dort wohnenden Maik Gehrke, Mario Brehme aus Rudolstadt und André Kapke von der Kameradschaft Jena, auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz Wehrsportübungen abzuhalten. Rosemann brachte wiederholt Pistolen und Gewehre auf das Grundstück von Gehrke, wo die Waffen unter Tarnnetzen gelagert wurden. Auf dem Truppenübungsplatz wurde dann gezeltet, in Uniformen aufmarschiert und scharf geschossen.
Mit seinen THS-Kameraden Marcel Biel, Mirko und Marcel Eberlein und gemeinsamen Kontaktmännern aus dem Rotlichtgeschäft in Litauen überfiel Sven Rosemann 1999 einen Geldtransporter in Pößneck. Der eingesetzte Wachmann wurde mit Schlägen und CS-Gas angegriffen und so lange ins Gesicht geschlagen, bis er vom Geldkoffer abließ. Die Beute betrug rund 78.000DM. Mit dem erbeuteten Geld wurde in Rudolstadt das Bordell „Blue Velvet“ gekauft. Auch für die dortigen Zuhälter-Tätigkeiten wurden THS-Kontake genutzt. So fuhr u.a. der Jenaer Nachwuchs-Kader und JN-Politiker Ronny Artmann in den Jahren ab 2001 mehrmals nach Litauen, um geklaute Autos zu schmuggeln und Sexarbeiterinnen nach Rudolstadt zu bringen. Aufgedeckt wurde der Überfall erst 2012, als der frühere THSler Michael Hubeny sich in der Hoffnung auf Haftverkürzung an das LKA wandte und seine ehemaligen Kameraden verriet.

Sven Rosemann (schwarze Cap) 2013 im Landgericht Gera wegen des Überfalls auf einen Geldtransporter 1999. (Foto: Haskala)

Ronny Schlenzig (V-Mann, Mitorganisator von paramilitärischen Übungen)

Stabsfeldwebel Ronny Schlenzig 2016 mit seinem Sprengstoffspürhund. (Foto: Mainpost)

Der 1980 geborene Ronny Schlenzig aus Rudolstadt-Schwarza fand über Schul- und Jugendfreunde um 1995 Anschluss an die örtliche Naziszene. Die Kameradschafter um Tino Brandt, der auch aus Schwarza kam, nahmen Schlenzig fortan mit auf Feiern und Aufmärsche. So wurde Schlenzig auch zum regelmäßigen Besucher der THS-Stammtische in Heilsberg. Im Jahr 1997 fuhr er mit dem THS zu einem Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung nach München und traf in diesem Zusammenhang auch auf das spätere NSU-Kerntrio aus Jena und diejenigen Jenaer Kameradschafter, die später zu Helfern des NSU und seiner Mordserie wurden. Aus Jena war insbesondere Christian Kapke einer der engeren Kontakte Ronny Schlenzigs. Im September 1998 fuhr Schlenzig mit Tino Brandt, Mario Brehme, André Kapke und Ralf Wohlleben zu einem Südafrika-Seminar unter Anleitung des dort ansässigen Faschisten Claus Nordbruch. Ein weiterer Referent war Tino Brandts Arbeitgeber, der Verleger und Burschenschafter der Normannia Jena, Peter Dehoust. Außerdem sprach Stephan Maninger, der heute Professor für Sicherheitspolitik an der Hochschule der Bundespolizei ist.

Im Folgejahr begann Schlenzig eine Bundeswehr-Laufbahn. Seinen bereits gestellten Aufnahmeantrag in die JN beschloss er daher zurückzuziehen. Der Preis für die Militärkarriere war, dass er vom Bundeswehr-Geheimdienst MAD über die Naziszene ausgehorcht wurde. Schlenzig tat es bald seinem Rudolstädter THS-Kameraden Mario Brehme gleich und schloss sich der Burschenschaft Thessalia in Bayreuth an. Der Thessalia gehören u.a. namhafte NPD-Funktionäre und andere Neofaschisten an. Im Dachverband der Deutschen Burschenschaft wurde unter Berufung auf das völkisch-rassistische Abstammungsprinzip der Thessalia der Antrag gestellt, bei der Mitgliederaufnahme nach deutscher Blutverwandschaft zu entscheiden.

Zusammen mit seinem THS- und Thessalia-Kameraden Mario Brehme besorgte Ronny Schlenzig im Jahr 2000 Gewehrattrappen aus Holz, um damit örtliche Neonazis im Nahkampf zu trainieren. Auch Brehme hatte zu dem Zeitpunkt einen Wehrdienst absolviert und die beiden beabsichtigten, ihre Bundeswehrwissen an die militante Naziszene weiterzuvermitteln. Zusammen besuchten sie auch eine Vortragsveranstaltung mit Claus Nordbruch zum Thema „Meinungsdiktatur“ in Rudolstadt am 15.09.2000, zu der neben den Jenaer André Kapke und Ronny Artmann die halbe Kameradschaft Saalfeld erschien.
In den frühen 2000er Jahren war Schlenzig stärker in der Burschenschaft als im THS aktiv. Mit der Thessalia besuchte er u.a. auch das Stiftungsfest der Jenaer Rechtsaußen-Burschenschaft Germania und die Burschentage in Eisenach.

Ronny Schlenzig hielt über die Jahre losen Kontakt zu Mario Brehme und blieb in der Burschenschaft Thessalia aktiv. Heute ist er in Franken Stabsfeldwebel der Bundeswehr und an der Schule für Diensthundewesen tätig.

Sandro Tauber (Mitorganisator paramilitärische Übungen, Mitwisser über Fluchtort und UnterstützerInnen)

Sandro Tauber stammt aus Rudolstadt und war dort Anfang der 90er einer der Mitgründer der Anti-Antifa Ostthüringen. Zeitgleich trat er schon 1991/1992 in die NPD und deren Jugendorganisation JN ein. Ab 1993-1994 begannen die Neonazis aus Saalfeld-Rudolstadt, sich regelmäßig mit ihren Kameraden aus Jena zu treffen. Darüber lernte Tauber zu jener Zeit auch die Jenaer um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kennen. Vor allem Mundlos und Böhnhardt zählten in dieser Zeit zu seinem Freundeskreis. Tauber war an den Stammtischen in Heilsberg beteiligt – sowohl an den breiter ausgerichteten Mittwochsstammtischen, als auch an den Sonntagsstammtischen, bei denen sich die Führungskader des THS zur Koordinierung trafen. 1995 zählte Tauber zu den Kameradschaftern, die in Milbitz bei Heilsberg Wehrsport- und Schießübungen auf einem verlassenen Truppenübungsplatz organisierten. Mitte der Neunziger zog Tauber nach Bayreuth, von wo aus er regelmäßig noch nach Rudolstadt kam. Als Tauber ein Jahr Wehrdienst in Erfurt leistete, versuchte ihn der MAD als Informant zu werben. Nach eigenen Angaben habe Tauber das abgelehnt. Nach einer kürzeren Zeit in Rudolstadt zog Tauber dann nach Bamberg.

Kurz nach dem Untertauchen des NSU-Kerntrios 1998 wurde André Kapke im Rahmen einer Observation dabei beobachtet, wie er mit Sandro Taubers Auto Juliane Walther bei ihrer Arbeit abholte. Kapke und Walther zählten neben Ralf Wohlleben und Carsten Schultze in dieser Zeit zu den wichtigsten FluchthelferInnen. Weiterhin gibt es Angaben des Verfassungsschutzes, denen zufolge Tauber bei einer NPD-Schulungsveranstaltung im Eisenberger Mühltal im Januar 2000 mit einem NSU-Unterstützer von Blood&Honour Chemnitz gesprochen habe, der zwischendurch in Richtung von Ralf Wohlleben und Christian Kapke geäußert habe, dass es „den Drei gut gehen“ würde. Tauber bewegte sich somit direkt im Kreise der Eingeweihten und UnterstützerInnen der untergetauchten RechtsterroristInnen.
Tauber war in diesen Jahren maßgeblich am Aufbau des JN-Landesverbandes Thüringen beteiligt, zu dessen Vorsitzenden er auch gewählt wurde. Zur selben Zeit besuchte er mehrfach Rechtsrockkonzerte, bei denen Spenden für die Untergetauchten gesammelt wurden.
2005 zog nach Sandro Tauber nach Kuwait City, um dort als Mechatroniker zu arbeiten. Er verbringt jedoch jedes Jahr vier Wochen im Sommer in Deutschland. 2006 geriet er auf dem Weg zu einem Naziaufmarsch zusammen mit Mario Brehme in eine Fahrzeugkontrolle. Dabei wurde ein Bajonett-Aufsatz zu einem Maschinengewehr in Taubers Auto gefunden. Als Taubert im Jahr 2007 Urlaub in Thüringen machte, informierten ihn seine Kameraden, dass es Gespräche mit einem Rechtsanwalt geben würde, der mit der Staatsanwaltschaft eine Verjährungsregelung für Beate Zschäpe auszuhandeln.

In seiner Vernehmung im NSU-Prozess stellte Tauber die Verschwörungsthesen in den Raum, dass die Bombenwerkstatt in der Burgauer Garage 1998 eine Fake-Aktion von Linken gewesen sein könnte und alles, was den NSU betrifft, eine staatliche Verschwörung sei. Das untergetauchte NSU-Kerntrio bezeichnete er auch im Nachhinein als „unsere“ Freunde. Und er bekräftigte, ununterbrochen seit 1991 bis zum Tag der Vernehmung in München NPD-Mitglied gewesen zu sein.

Thomas Wienroth

Thomas Wienroth (r.) bei einem Redebeitrag zum Neonazi-Gedenken „Jugend für Rudolstadt“ 2003; 1.v.l. ist Daniel Kranhold, THS-Anhänger aus dem Saale-Orla-Kreis. (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Thomas Wienroth stammt aus Rudolstadt und ist seit spätestens 2003 in der Neonaziszene aktiv. In diesem Jahr trat er neben dem THS-Aktivisten und Liedermacher Veit Kelterborn bei der Einweihung eines revisionistischen Gedenksteins vor einer Gruppe Neonazis als Redner auf. Wienroth fand schnell Anschluss an die NPD und engagierte sich in deren Jugendorganisation JN. Er wurde zum Kreisvorsitzenden des NPD-Verbandes Saalfeld-Rudolstadt und arbeitete eng mit Ralf Wohlleben zusammen. Wienroth organisierte Kundgebungen mit, fuhr Lautsprecherwagen und trat auch selber als Redner bei Naziaufmärschen auf. Bei einem Aufmarsch gegen die Einführung von Hartz IV in Jena hielt Thomas Wienroth ein antisemitisches Transparent und trug dabei, wie auch wie auch bei anderen Gelegenheiten zuvor schon, ein T-Shirt des Thüringer Heimatschutzes.

Thomas Wienroth 2004 bei einem JN-Aufmarsch in Jena in einem T-Shirt mit Aufschrift „Thüringer Heimatschutz“. (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Wienroth war bundesweit vernetzt, trat in Thüringen neben dem notorischen Shoa-Leugner Horst Mahler auf, besuchte NPD-Veranstaltungen in anderen Bundesländern und trat u.a. in Berlin und Schönebeck als Redner auf Aufmärschen auf. Hier betonte er, dass er stolz sei, Nationaler Sozialist zu sein. Ende 2005 wurde er in den Bundesvorstand der JN gewählt. Im Frühjahr 2006 organisierte Wienroth gemeinsam mit dem früheren militanten THS-Aktivisten Michael Hubeny eine Kundgebungstour im Weimarer Land.

Thomas Wienroth (mittig rechts) und André Gruschwitz (mittig links) bei einem Naziaufmarsch in Dresden 2006. (Foto: Hajo Funke)

Wienroth begann 2006 ein Jurastudium in Jena und zog sich aus öffentlichen Veranstaltungen und Ämtern der Naziszene zurück. Als er 2007 vom Verfassungsschutz angesprochen wurde, berichtete einen Tag später die NPD über den Vorfall, was seine anhaltend engen Kontakte offenlegte. Der Thüringer Verfassungsschutz berichtete zudem noch 2012, dass Wienroth weiterhin zur Naziszene zählte. Dies machte die Behörde daran fest, dass er seinen Geburtstag als Feier im Kreise von Neonazis und mit Auftritten von rechten Bands organisierte. Zu der Zeit hatte sich Thomas Wienroth bereits einen Namen als Immobilienmakler in Jena gemacht. Als die Die LINKE-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss seine Rolle öffentlich thematisierte, reagierte er erfolglos mit einer Unterlassensforderung.

Thomas Wienroth als Immobilienmakler (Foto: Homepage)

Wienroth bezeichnet sich selber als „erfolgreichsten Immobilienmakler Jenas“. Dass er tatsächlich an Großprojekten in Jenas profitträchtigem Immobiliengeschäft beteiligt ist, zeigen verschiedene Neubauobjekte, die von Wienroth vermarktet wurden. Dazu zählten der ab 2013 neu errichtete Wohnkomplex am Burgauer Wehr oder der Neubaukomplex in der Grietgasse zwischen Busbahnhof und Stadtzentrum. Anhand von Wienroths Hausfotograf Sebastian Bratge, der seit mindestens 2013 bis heute Wienroths Webpräsenz mit Fotos versorgt, lassen sich jedoch Verbindungen in die Entstehungszeit des NSU ziehen: Bratge zählte Ende der Neunziger Jahre zur Jenaer Naziszene und beteiligte sich u.a. an einem Aufmarsch von THS und NPD 1999 in Gera neben Christian Kapke, der damals zum Kern der Kameradschaft Jena zählte und dem untergetauchten Trio eine Solidaritätshymne schrieb. Bratges Bruder Matthias war bis in die 2000er Jahre hinein JN-Aktivist und zählte dabei zu den Mitstreitern Ralf Wohllebens, der zeitgleich die Flucht und Bewaffnung des NSU-Kerntrios mitorganisierte.