Alle Jahre wieder: Neonazi-Nachwuchs in Kahla

Robin Franke (Glatze, Trainingsanzug) Benny Franke (4.v.r. m. Pony), Ian Bütow (Glatze, 3.v.r.) und Marcel Waschek (1.v.r.) beim Montagaufmarsch in Kahla am 26.9.2022 (Foto: OTZ)

Robin Franke (Glatze, Trainingsanzug) Benny Franke (4.v.r. m. Pony), Ian Bütow (Glatze, 3.v.r.) und Marcel Waschek (1.v.r.) beim Montagaufmarsch in Kahla am 26.9.2022 (Foto: OTZ)

Seit 2022 bildet sich in Kahla eine neue Clique an Neonazi-Jugendlichen heraus, die zunehmend mit Kleidung und Rechtsrock aus Szene-Versänden auffällt und mehrfach an rechten Aufmärschen teilnahm. Um Kahlas rechte Szene wurde es seit Jahren kontinuierlich ruhiger. Die letzte vergleichbare rechte Jugendstruktur stellte zwischen 2016-2018 der selbsternannte „Jungsturm Kahla“ um Antonio Szaszko dar. Die aktuell aktive Clique bildet den einzigen Nachwuchs, den die alteingesessene örtliche Naziszene zu bieten hat. Mit Ian Bütow ist das durchaus wörtlich gemeint, da dessen Eltern Katja und Marcel Bütow seit ca. 15 Jahren im Mittelpunkt Kahlaer Neonazistrukturen stehen. Die heranwachsenden Rechten haben bereits erste Kontakte zu älteren Neonazis aus anderen Städten geknüpft, die wiederholt zu Besuch in Kahla sind.

„Neue Hitlerjugend“ und Übergriffe 2019

Die letzten Anzeichen einer rechten Jugend in Kahla gab es im Jahr 2019. Am 8. März 2019 wurden der Demokratieladen, das SPD-Büro und ein asiatischer Imbiss besprüht, u.a. mit „FCK AFA“ und der Morddrohung „Stirbt“. Es wurden außerdem Schlösser verklebt. Als der Imbissbetreiber die Attacke bemerkte und die TäterInnen stellen wollte, wurde er von den Flüchtenden mit einem Knüppel beworfen.

Morddrohung am SPD-Büro Kahla März 2019 (Screenshot OTZ)

Morddrohung am SPD-Büro Kahla März 2019 (Screenshot OTZ)

Im August 2019 wurden am Bahnhof Gewaltaufrufe gegen Linke und antisemitische Graffitis gesprüht, jeweils mit dem Bekenntnis zur „NHJ“, der „Neuen Hitlerjugend“. Diese Gruppe hatte sich damals im Raum Pößneck formiert und hatte kurzzeitig auch Anhänger aus Kahla. Kurz nach den Graffitis am Kahlaer Bahnhof und der darauffolgenden kritischen und antifaschistischen Öffentlichkeit tauchte die „NHJ“ wieder ab.

 Neonazi-Graffitis mit Tag der „NHJ“ am Kahlaer Bahnhof im Sommer 2019 (Fotos: OTZ)

Neonazi-Graffitis mit Tag der „NHJ“ am Kahlaer Bahnhof im Sommer 2019 (Fotos: OTZ)

Im September 2019 tauchte der militante Neonazi Sebastian Dahl im Umfeld einer AfD-Veranstaltung im Rathaus zusammen mit einer Gruppe Jugendlicher auf, zu der auch Jeremy Haase gehörte.

Jeremy Haase mit Pullover der NS-Black-Metal-Band „Absurd“ am Rande der AfD-Veranstaltung am 25.9.2019 am Markt in Kahla (Foto: Rechercheportal Jena-SHK)

Jeremy Haase mit Pullover der NS-Black-Metal-Band „Absurd“ am Rande der AfD-Veranstaltung am 25.9.2019 am Markt in Kahla (Foto: Rechercheportal Jena-SHK)

Haase fiel im selben Jahr als Kahlaer Aktivist der in Pößneck gegründeten „NHJ“ (Neue Hitlerjugend) auf. Er hielt über soziale Medien Kontakt zu den Pößnecker Nachwuchs-Neonazis und lud sie nach Kahla ein. Auch nach der offiziellen Auflösung der Gruppe hielt er Kontakt zu deren Wortführern, wie ein Bild mit Antony Erpel aus Pößneck aus dem Sommer 2020 zeigt.

Der Pößnecker Mitgründer der „NHJ“ Antony Erpel (l.) mit Jeremy Haase im Juni 2020 (Foto: Soziale Medien)

Der Pößnecker Mitgründer der „NHJ“ Antony Erpel (l.) mit Jeremy Haase im Juni 2020 (Foto: Soziale Medien)

Am Rande des Queer-Festivals „Kahla Courage“ am 13.9.2020 gehörte Haase zu einer kleinen Gruppe Neonazis um den Kahlaer Christian Krämer, der mit Rufen „Antifa Hurensöhne“ die Veranstaltung zu stören versuchte. Haase beteiligte sich 2022 an Querdenken-Montagsdemos in Kahla und Gera und ist seit Juli dieses Jahres Zimmereigeselle bei Adolf & Heilmann in Kahla.

Jeremy Haase und Christian Krämer am Rande des „Kahla Courage“ am 13.9.2020 (Foto: Rechercheportal Jena-SHK)

Jeremy Haase und Christian Krämer am Rande des „Kahla Courage“ am 13.9.2020 (Foto: Rechercheportal Jena-SHK)

Duckface, Landser, Naziaufmärsche: Nachwuchs-Neonazis in Kahla 2023

v.l.n.r.: Benny Franke, Robin Franke, Ian Bütow, Elias Wolf, Quentin Suppe, Colin (Nachname unbekannt) (Fotos: soziale Medien)

v.l.n.r.: Benny Franke, Robin Franke, Ian Bütow, Elias Wolf, Quentin Suppe, Colin (Nachname unbekannt) (Fotos: soziale Medien)

Nach erneuten Wegzügen rechter Kader aus Kahla hatte es neben der rechten Alltagskultur keine neuen rechten Jugendaktivitäten gegeben, bis im Verlauf des Jahres 2022 eine Gruppe um Ian Bütow und die Brüder Benny und Robin Franke zunehmend mit Neonazi- und Rechtsrockpostings auf sozialen Medien und mit Kleidung aus Neonazi-Versänden im Kahlaer Alltag sowie auf einer Montagsdemo auffielen. Ian Bütow lief in einer Jacke von „Thor Steinar“ neben seiner Mutter Katja und den beiden Neonazis Marcel Waschek und Ralph Oertel (von „Aufbruch und Erneuerung“) in einem Aufmarsch der AfD durch Erfurt.

v.l.n.r.: Katja Bütow, Ralph Oertel, Marcel Waschek und Ian Bütow im AfD-Aufmarsch in Erfurt am 21.9.2022 (Foto: Antonio Müller)

v.l.n.r.: Katja Bütow, Ralph Oertel, Marcel Waschek und Ian Bütow im AfD-Aufmarsch in Erfurt am 21.9.2022 (Foto: Antonio Müller)

Einige Tage später lief Ian Bütow mit seiner Schwester Sophie und den Franke-Brüdern bei der von AfD-Aktivisten organisierten Montagsdemo in Kahla mit, wo Ian Bütow und Benny Franke Pullover mit Neonazi-Symbolik trugen, wie sie z.B. von Tommy Frenck vertrieben werden.

 v.l.n.r.: Benny und Robin Franke mit Ian Bütow am 26.9.2022 in Kahla (Foto: Mirko Bratypus)

v.l.n.r.: Benny und Robin Franke mit Ian Bütow am 26.9.2022 in Kahla (Foto: Mirko Bratypus)

Am 11.2.2023 fand in Dresden der jährliche „Trauermarsch“ statt, mit dem eine geschichtsrevisionistische und Shoa-relativierende Erzählung zur Bombardierung Dresdens im zweiten Weltkrieg verbreitet werden soll. Der Aufmarsch stellt seit Jahren das größte Ereignis im Kalender deutscher Neonazis statt. Dieses Jahr liefen aus Kahla das Ehepaar Katja und Marcel Bütow mit, begleitet von dem Kamerad ihres Sohnes Ian, Benny Franke.

Katja Bütow (1.v.l.) Benny Franke (Mitte m. Glatze) und Marcel Bütow (1.v.r.) in Dresden am 11.2.2023 (Foto: Presseservice Rathenow)

Katja Bütow (1.v.l.) Benny Franke (Mitte m. Glatze) und Marcel Bütow (1.v.r.) in Dresden am 11.2.2023 (Foto: Presseservice Rathenow)

Anbindung an Weimarer Naziszene

Der Mellinger Neonazi Michael Engling (2.v.r. vermummt) mit Quentin Suppe (1.v.l.), Ian Bütow (2.v.l.), Elias Wolf (3.v.l.) und Benny Franke (1.v.r.) (Foto: soziale Medien)

Der Mellinger Neonazi Michael Engling (2.v.r. vermummt) mit Quentin Suppe (1.v.l.), Ian Bütow (2.v.l.), Elias Wolf (3.v.l.) und Benny Franke (1.v.r.) (Foto: soziale Medien)

Abseits dieses neonazistischen Aktivismus bilden die genannten Personen mit ihrem Umfeld eine rechte Jugendclique, die ihre Wochenenden mit Rechtsrock und größeren Treffen in Partykellern, wie jenem der Bütows in der Rollestraße, an der Saale und an öffentlichen Plätzen in Kahla und Jena verbringen. Auf sozialen Medien bewerben die jungen Rechten verschiedenste Rechtsrockbands aus dem militanten Neonazimilieu und tragen vielfältige Shirts, Pullover und Flaggen aus rechten Versänden zu Schau. Die bei solchen Bestellungen mitgesendeten Sticker finden sich nicht nur an den Spiegeln der Nazis, sondern mittlerweile auch zunehmend an Laternen und Wänden in Kahla, Jena und anderswo. Darüber hinaus haben die jungen Kahlaer Rechten aber auch Kontakte zu älteren Neonazis aus dem Raum Weimar. So sind dieses Jahr mehrere Treffen mit dem Mellinger Neonazi Michael Engling und dem Weimarer Benny Findeisen nachzuvollziehen.

links: Benny Franke (r.) und Michael Engling (MItte) im Juni 2023; rechts: Benny Findeisen bei einem Treffen mit Kahlaern (Bild: soziale Medien)

links: Benny Franke (r.) und Michael Engling (MItte) im Juni 2023; rechts: Benny Findeisen bei einem Treffen mit Kahlaern (Bild: soziale Medien)

Michael Engling gehörte 2016 selber zu einer Gruppe jugendlicher Neonazis aus Apolda , Mellingen und Weimar, die mit den „Thügida“-Naziaufmärschen Anschluss an die Kameradschaftsszene um den langjährig aktiven militanten Weimarer Neonazi Thomas Holzinger fanden. Im August 2021 lief Engling mit denselben Personen im Aufmarsch der „Neue Stärke Partei“ durch Weimar.

Thomas Holzinger (links m. Cap), Kevin Noetzel (Mitte) und Michael Engling (1.v.r.) in Weimar am 7.8.2021 (Foto: Nico Kuhn)

Thomas Holzinger (links m. Cap), Kevin Noetzel (Mitte) und Michael Engling (1.v.r.) in Weimar am 7.8.2021 (Foto: Nico Kuhn)

Auch Benny Findeisen gehört zu der Gruppe „autonomer Nationalisten“ um den Weimarer Thomas Holzinger. Gemeinsam beteiligten sich Findeisen und Holzinger an der rechten Weimarer Montagsdemo am 8.5.2023, auf deren Abschlusskundgebung Björn Höcke auftrat. Findeisen pflegt außerdem Kontakt zu Philipp Mittelstedt von den Erfurter Neonazi-Hooligans „Jungsturm KEF“.

Benny Findeisen (1.v.l.) und Thomas Holzinger (1.v.r.) bei Höckes Rede in Weimar am 8.5.2023 (Foto: Raban Eisler)

Benny Findeisen (1.v.l.) und Thomas Holzinger (1.v.r.) bei Höckes Rede in Weimar am 8.5.2023 (Foto: Raban Eisler)

Das offene und ideologische Bekenntnis dieser jungen Kahlaer Männer zum NS und die Vernetzung über die Kahlaer und Weimarer Naziszene stellen ein Problem dar. Wer in Kahla offen als Neonazi auftritt, muss erfahrungsgemäß vor Ort keine Konsequenzen fürchten. Vielmehr leben inzwischen bereits seit Jahrzehnten aktive Nazis ihren jugendlichen Kindern eine Ideologie und einen Lebensstil vor, wie sie ihn seit den Neunzigern pflegten, als sich auch im Umland von Kahla der Thüringer Heimatschutz, Blood&Honour und daraus das spätere NSU-Umfeld herausbildeten. Mit dieser Übersicht wollen wir wenigstens einen Beitrag dazu leisten, damit sich die aktionistischen Jungnazis keiner schützenden Anonymität gewiss sein können und Betroffene sich besser selbst schützen können.