Corona-Hilfe Kahla: Militante Neonazis nutzen die Gunst der Stunde

Sebastian Dahl (1. v.r.) und Franzy Schulz (1. v.l.) gemeinsam beim Naziaufmarsch des "III. Wegs" am 1. Mai 2019 in Plauen

Sebastian Dahl (1. v.l.) und Franzy Schulz (1. v.r.) gemeinsam beim Naziaufmarsch des „III. Wegs“ am 1. Mai 2019 in Plauen (Bild: Presseservice Rathenow)

Seit Mitte März ist in Kahla eine Gruppe um die extrem rechten Aktivist*innen Sebastian Dahl und Franzy Schulz aktiv und vermittelt Hilfeleistungen für alte Menschen in Zeiten von Corona. Dass beide bundesweit und international in militanten rechten Netzwerken aktiv sind und Dahl zudem wegen Mordversuchs verurteilt ist, dürfte den hilfebedürftigen Kahlaer*innen nicht bekannt oder entfallen sein. In diesem Artikel wollen wir die Hintergründe der beiden Nazis etwas näher beleuchten, die sich hier als Kümmernde in der Krise inszenieren und somit weiter zur Normalisierung von Neonazis in der Gesellschaft beitragen wollen. Kahla stellt dabei keinen Einzelfall dar: In ganz Thüringen versuchen Neonazis die aktuelle Situation zu nutzen, um neben der Verbreitung von antisemitischen Verschwörungstheorien die Akzeptanz der eigenen Strukturen durch „Nachbarschaftshilfe“-Angebote zu stärken. Mitnichten kommt diese Hilfe allen Menschen zu, die sie nötig hätten. Diese richtet sich nur an „weiße Deutsche“ und propagieren dabei gleichzeitig die neonazistische Ideologie der „Volksgemeinschaft“, wie MOBIT in einem kürzlich veröffentlichten Beitrag berichtete.

Sebastian Dahl bewirbt das "Nachbarschaftshilfe"-Angebot

Franzy Schulz fordert zur Verbreitung des "Nachbarschafthilfe"-Angebots auf

Sebastian Dahl und Franzy Schulz als Koordinator*innen der Kahlaer „Nachbarschaftshilfe“

Sebastian Dahl

Sebastian Dahl ist ein langjährig aktiver, militanter Neonazi aus Berlin, der bereits wegen versuchten Mordes für fünf Jahre im Gefängnis saß, nachdem er im Sommer 2001 schlafende Jugendliche bei einem antirassistischen Festival mit Brandsätzen angriff. Er lebt bereits seit vielen Jahren in Kahla und wohnt gegenwärtig in der 1. Etage der Rudolf-Breitscheid-Strasse 8. Direkt unterhalb seiner Wohnung befindet sich der „Dartladen“, der sich als Freizeit- und Neonazitreff in Kahla etabliert hat. Vor zwei Jahren diente das Vereinslokal als Ausgangsort für Angriffe rechter Burschenschafter auf jugendliche Geflüchtete. Vorher wohnte Dahl in der sogenannten „Burg 19“, ein Wohn- und Veranstaltungsobjekt der rechten Szene im Zentrum von Kahla (Quelle). Darüberhinaus arbeitet Dahl bei der Firma „Dachdeckermeister Thomas Geisenhainer“ aus Albersdorf, ist dort trotz seiner extrem rechten Aktivitäten angesehener Mitarbeiter und ist regelmäßig auf Jenaer Baustellen anzutreffen. Seine rassistische Ideologie hat er sich auch in Form einer „Schwarzen Sonne“ auf den linken Ellbogen tätowieren lassen.

Sebastian Dahl ist Mitglied der neonazistischen „Bruderschaft Turonen/Garde 20“, die mehrere große Rechtsrockfestivals in Thüringen und der Schweiz organisierten, den verbotenen Netzwerken „Blood & Honour“ und „Combat 18“ nahestehen und deren Mitglieder für zahlreiche Gewaltverbrechen verantwortlich sind. Mitglieder der „Turonen“ waren u.a. im sogenannten Ballstädt-Prozess angeklagt (Übersicht Angeklagte, Quelle). Dahl selbst ist aktiver Kampfsportler, trat u.a. beim extrem rechten Turnier „Kampf der Nibelungen“ an (Quelle). Regelmäßig tritt Dahl auch als Ordner auf verschiedenen extrem rechten Demonstrationen und Kundgebungen auf. Erst jüngst am 15.02.2020 beim geschichtsrevisionistischen „Trauermarsch“ in Dresden.

Sebastian Dahl am 15.02.2020 als Ordner beim "Trauermarsch" in Dresden

Sebastian Dahl als Ordner beim neonazistischen „Trauermarsch“ am 15.02.2020 in Dresden (Bild: Presseservice Rathenow)

Dahl ist bestens in der deutschen Neonaziszene vernetzt und auf zahlreichen Aufmärschen in ganz Europa anzutreffen. So marschierte er letztes Jahr neben Axel Schlimper und anderen Thüringer Neonazis von der mittlerweile verbotenen antisemitischen „Europäischen Aktion“ in Gedenken an die NS-Verbrecher in Budapest in Wehrmachtskleidung auf.

Franzy Schulz alias „Franzi“ / „Varghona“

Franzy Schulz beim Neonazi-Festival am 15.07.2017 in Themar

Franzy Schulz beim Neonazi-Festival am 15.07.2017 in Themar (Bild: Lionel C. Bendtner)

Franzy Schulz ist eine neonazistische Liedermacherin aus Kahla, die unter den Pseudonymen „Franzi“ und „Varghona“ auftritt. Sie hatte Auftritte auf Parteiveranstaltungen der NS-Partei „Der III. Weg“ und anderen rechten Liederabenden. So spielte sie im Oktober 2015 bei einem Konzert der „Hammerskins“ in Thüringen. Oder zusammen mit dem im Raum Saalfeld wohnenden Mirko „Barny“ Szydlowski bei einem Konzert der schwedischen Hammerskins am 02.04.2016 in der Nähe von Stockholm (weitere Infos zu Szydlowski). Die „Hammerskins“ sind eines der weltweit größten militanten Neonazinetzwerke, die für eine Vorherrschaft der „weißen Rasse“ kämpfen und sich für die terroristische Strategie des „führerlosen Widerstands“ aussprechen. Diese Strategie verfolgte nicht nur der NSU, sondern sie dient als Blaupause für viele neonazistische Gewalttaten der Gegenwart. Erst kürzlich haben wir über Apoldaer Nazis berichtet, die Kontakte zur „Hammerskin“-Bewegung in den USA pflegen und in Weimar an scharfen Waffen trainieren.

Schulz spielte im Juli 2019 zudem auf einem Konzert, welches im Internet mit eindeutigen rechten Codes beworben wurde. Auf einem Bild sind zwei Würfel abgebildet, die eine 28 zeigen – ein rechter Szenecode als Erkennungszeichen des verbotenen „Blood & Honour“-Netzwerks: 2 und 8 für den 2. und 8. Buchstaben im Alphabet. „Blood & Honour“ ist seit Jahrzehnten eine der maßgeblichen Organisationsstruktur im Hintergrund von neonazistischem Terrorismus. Der bewaffnete Arm von „B&H“, „Combat 18“, wurde erst in jüngster Zeit ebenfalls verboten, lange nachdem Antifaschist*innen umfassend über die Strukturen aufgeklärt hatten (vgl. Exif-Recherche).

Mirko "Barny" Szydlowski und Franzy "Varghona" Schulz bei den schwedischen Hammerskins

Mirko „Barny“ Szydlowski und Franzy „Varghona“ Schulz bei den schwedischen Hammerskins am 02.04.2016

Schulz ist nicht nur Musikerin sondern auch Aktivistin der am Nationalsozialismus orientierten Partei „Der III. Weg“, bei deren internen Versammlungen sie bereits mehrere Konzerte spielte. Die extrem rechte Kleinstpartei versteht sich als Kaderschmiede und pflegt gute Beziehungen zu anderen extrem rechten Parteien in Europa. Schulz gehörte zu einer Gruppe ostthüringer und sächsischer Parteiaktivist*innen, die am 30.01.2016 bei einem Fackelmarsch der militanten griechischen Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“ mitliefen (Quelle). Seit 2016 ist sie regelmäßige Teilnehmerin an den 1. Mai Aufmärschen von „Der III. Weg“. An diesen nahm sie u.a. gemeinsam mit Annika Wetzel und Nico Metze teil, die als sogenannte „Stützpunktleiter“ des III. Wegs in Ostthüringen auftreten. Metze gehörte viele Jahre zum engen Umfeld von Ralf Wohlleben, einem maßgeblichen Unterstützer des NSU Kerntrios.

v.l.n.r.: Franzy "Varghona" Schulz, Annika Wetzel und Nico Metze am 1.5.2017 in Gera

v.l.n.r.: Franzy „Varghona“ Schulz, Annika Wetzel und Nico Metze am 01.05.2017 in Gera (Bild: Sören Kohlhuber)

Franzy Schulz lebt in Kahla und gehört zur dortigen Naziszene. Mit den Kahlaer Nazis Heidi Zölßmann, Mario Hillert, Marcel Bütow und Christian Krämer besuchte sie am 15.07.2017 das „Rock gegen Überfremdung II“ in Themar. Organisiert vom Naziduo Tommy Frenck und Patrick Schröder in Zusammenarbeit mit den bereits erwähnten „Turonen/Garde20“. Eine umfassende Darstellung zu verschiedenen Rechtsrockkonzerten in Thüringen lässt sich hier finden.

v.l.n.r: Heidi Zölßmann, unbekannt, Franzy (Varghona) Schulz, Mario Hillert (mit Cap), Marcel Bütow, unbekannt, Christian Krämer; in Themar am 15.07.2017

v.l.n.r: Heidi Zölßmann, unbekannt, Franzy (Varghona) Schulz, Mario Hillert (mit Cap), Marcel Bütow, unbekannt, Christian Krämer; in Themar am 15.07.2017 (Bild: Lionel C. Bendtner)

Franzy Schulz und Sebastian Dahl verbindet seit vielen Jahren eine Freundschaft. Schulz ist eine regelmäßige Besucherin des „Dartladens“ in der Rudolf-Breitscheid-Straße in Kahla. Zusammen mit Dahl nimmt sie an Turnieren teil, beide sind akzeptierter Teil des Vereinsleben. Wenig verwunderlich, dient doch das Vereinslokal auch anderen rechten Personen als Treffpunkt. Im April 2018 kam es aus dem Lokal heraus zu einem Angriff auf Bewohner einer gegenüberliegenden Wohngruppe für junge Geflüchtete, dabei drangen die Täter bis in Gemeinschaftsräume ein. Die Vereinsräume dienten dabei als Treff- und Rückzugsraum für die Mitglieder der Neonazi-Buschenschaft „Normannia zu Jena“. Als der Laden durch einen Böller beschädigt wurde, demonstrierte Schulz auf Facebook ihre Loyalität mit dem Neonazi-Treff:

Franzy Schulz kommentiert pro Dartladen

Gemeinsam nehmen Schulz und Dahl auch an extrem rechten Aufmärschen teil. Sie beteiligten sich u.a. 2018 am Rudolf-Hess-Marsch in Berlin und am 1. Mai 2019 am Aufmarsch von „Der III. Weg“ in Plauen.

Sebastian Dahl und Franzy "Varghona" Schulz am 1.5.2019 in Plauen (Bild: Tim Mönch)

Sebastian Dahl und Franzy „Varghona“ Schulz am 01.05.2019 in Plauen (Bild: Tim Mönch)

Franzy Schulz verbarg bisher hinter ihrem neueren Pseudonym „Varghona“ ihre extrem rechten Aktivitäten. Aufgrund ihrer bisher bekannten Auftritte bei Parteistrukturen von „Der III. Weg“ und „NPD“ bis zum militanten „Blood & Honour“-Netzwerk und den „Hammerskins“ kann geschlossen werden, dass sie bundesweit und international bestens in Neonazi-Strukturen vernetzt ist. Nicht zuletzt auch durch ihre enge Freundschaft zu Sebastian Dahl. Beide als harmlose Kümmernde oder engagierte Bürger zu begreifen, verkennt ihren extrem rechten Hintergrund, der zentraler Antrieb ihres politischen Handelns ist. Wenn beide trotz dessen in Kahla als engagierte Mitbürger akzeptiert werden, dann trägt das weiter zur Normalisierung und Verharmlosung rechter Ideologie bei. Wie erfolgreich sie bereits damit sind, zeigt die Größe und Reichweite der Gruppe. So sollte sich auch Stephan Tiesler, CDU-Mitglied des Thüringer Landestages, fragen, welche Struktur er da unterstützt.

Wir fordern daher keine Räume für Nazis. Keine Verharmlosung faschistischer Ideologie. Es gibt kein ruhiges Hinterland!

Unvollständige Übersicht ihrer Auftritte als „Varghona“ bzw. „Franzi“

  • 17.10.2015 Hammerskin-Konzert in Thüringen
  • 02.04.2016 Hammerskin-Konzert bei Stockholm, Schweden, mit Barny, Rommel, Viktor Sjölund und Torsvrede Andreas
  • 23.04.2016 Flieder Volkshaus (NPD-Zentrale Eisenach), mit Herumunduren-Solo und Zeitnah
  • 29.04.2017 Rottenbach (Baden-Württemberg) Liederabend vom III. Weg, mit Hermunduren und Wegbereiter
  • 05.11.2016 Erfurt, mit FreilichFrei und F.I.E.L.
  • 05.11.2016 Heinsberg (Nordrhein-Westfalen), mit Frontalkraft, FLAK, Brainwash
  • 12.11.2016 Kloster Veßra (Thüringen), Axel Schlimper, Frank Rennicke
  • 12.11.2016 Straufhain-Stressenhausen (Thüringen), mit Treueorden, N.A.P.O.L.A.
  • 12.11.2016 Memmingen (Bayern), mit Griffin
  • 14.11.2016 Dortmund, mit Michael „Lunikoff“ Regener
  • 19.11.2016 Ahlefeld-Bistensee (Schleswig-Holstein), mit Trainline, Faustrecht, Smart Violence
  • 08.07.2017 Mitgliederversammlung III. Weg in Plauen
  • 07.07.2018 „Jugend im Sturm“ vom III. Weg in Kirchheim, mit Lunikoff, Uwocaust und Makss Damage
  • 13.07.2019 Blood&Honour-Konzert im Weimarer Land, mit Ken McLellan (Brutal Attack) und Brad (Blackout)
  • 03.08.2019 bei Leipzig, mit Michael „Lunikoff“ Regener, Schratti, Griffin und Der Mann am Klavier

Weiterführende Links

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Franzy Schulz