Die alte Garde rechter Jenaer Hooligans: Kameradschaft Jena-Gladbach

Selbstdarstellung der Kameradschaft Jena-Gladbach in Mönchengladbach: Uwe Wallis (1.v.l.), Thomas Schmitz (3.v.l.), Norbert Schulz (4.v.l.) und Sascha Molls (1.v.r.); rechts: Sascha Molls (Gladbach) mit Hakenkreuz-Tattoo. (Fotos: Soziale Medien)

In Jena konnten über das vergangene Jahrzehnt organisierte Nazistrukturen sehr weit zurückgedrängt werden. Als eine der letzten organisierten Gruppen, in der gewaltaffine Neonazis zusammen kommen, kann die Kameradschaft Jena-Gladbach beim FC Carl Zeiss Jena zählen. Die Kameradschaft ist eine Hooligan-Freundschaft aus Vorwendezeiten, deren Mitglieder sich bis heute gegenseitig bei Heim- und Auswärtsspielen besuchen. Noch zu DDR-Zeiten pflegten Anhänger*innen ostdeutscher Fußballvereine, westdeutsche Fans bei ihren Auswärtsspielen in der DDR zu begleiten. Zudem reisten westdeutsche Hooligans in Wendezeiten gern in den Osten, wo die Volkspolizei weniger Erfahrung und Gegenstrategien gegen Krawalle in und außerhalb der Stadien hatte. In Jena hat sich seit Ende der Achtziger eine enge Verbindung zwischen Jenaer Neonazi-Hooligans und ihrer Gladbacher Entsprechung gehalten. Im Stadion fallen die Alt-Hooligans kaum politisch auf. Jenaer Kameradschafts-Mitglieder sind gleichwohl unter den wenigen lokalen Neonazis, die überregional zu Naziaufmärschen und Rechtsrockfestivals fahren. Und auch an den jüngsten Protesten von Pandemieleugner*innen beteiligten sich Teile von ihnen. Grund genug, einen genaueren Blick auf ihre Netzwerke zu werfen.

Kameradschaftstreffen Jena-Gladbach 2019 in der Halle der Anglerunion Jena e.V. gegenüber des Stadions. (Foto: Soziale Medien)

Zur Kameradschaft Jena-Gladbach können die Jenaer Fangruppen Teltower Jungs und Weimarer Jungs gezählt werden. Die Weimarer Jungs waren die ersten, die zu Vorwendezeiten den dauerhaften Kontakt nach Gladbach aufbauten. Auch Torsten Koscielny aus Teltow zählt zu dieser Gründergeneration der Kameradschaft. Der bis heute aktive Alt-Hooligan zeichnet auch für die 2019 erneuerte große Zaunfahne der Kameradschaft verantwortlich. Auf Gladbacher Seite zählen in erster Linie die Brigade MG und die Wilden Borussen zur Kameradschaft. Für die Brigade MG zeichnet Gründungsmitglied Frank Königs verantwortlich und die Wilden Borussen werden von Uwe Wallis angeführt. Die Jenaer Gruppen und die Kameradschaft sind auch aktuell noch regelmäßig bei FCC-Heimspielen mit ihren Zaunfahnen im Stadion vertreten. Die Kameradschaftsfahne belegt dabei den Zaun der Nordkurve, während ihre Anhänger überwiegend im A-Block sitzen. In der breiten Jenaer Fanszene sind die Kameradschaftsanhänger gut bekannt und akzeptiert. Auch die organisierte Fanszene respektiert in weiten Teilen die Kameradschafts-Anhänger als älteste Fangruppe mit anhaltenden guten Kontakten in die Fanszene eines anderen Vereins.

Unpolitischer Fußball?

Der Teltower Kameradschafts-Mitgründer Torsten Koscielny (r.) mit eindeutiger Geste zusammen mit dem Jenaer Richard Seiffarth bei einem Testspiel in Niedertrebra 2015. (Foto: soziale Medien)

Trotz ihrer Namensverwandschaftt hat die Kameradschaft Jena-Gladbach nichts mit der ursprünglichen Kameradschaft Jena zu tun, die in den Neunzigern von Mundlos, Kapke, Zschäpe, Böhnhardt, Wohlleben & Co gegründet wurde. Gleichwohl dürfte die Namenswahl kein Zufall sein, wenn man sich die neonazistische Prägung der Hooligan-Gruppierungen ansieht. Bei den Jenaer Zusammentreffen werden Hitlergrüße gezeigt und unverblümt im Netz gepostet. Das Hakenkreuztattoo auf dem Bauch des Gladbachers Sascha Molls (siehe Titelbild) findet man gleich mehrfach gut sichtbar auf öffentlich zugänglichen Fotos. Und auch über diese Symboliken hinaus sind die Hooligangruppen Teil rechter Bewegungen. Die Brigade MG um ihren Anführer Frank Königs beteiligte sich 2018 an einer rassistischen Kundgebung der Bewegung “Gemeinsam sind wir stark” in Mönchengladbach. Erst im Dezember 2017 waren Königs und die Brigade im Innenraum des Gladbacher Stadions vom Präsidium des Borussia Mönchengladbach für ihr Fanengagement ausgezeichnet worden.

Brigade MG 2018 bei rechter Kundgebung in Mönchengladbach: Frank Königs (2.v.l.) und Fabian Krüger (1.v.r.). (Fotos: Hooligan-Forum)

Die Wilden Borussen um Kameradschafts-Urgestein Achim Scheibe, Norbert Schulz und Sascha Molls beteiligten sich am Trauermarsch für den im September 2018 in Mönchengladbach verstorbenen Marcel Kuschela alias Captain Flubber. Kuschela war Mitgründer von Hooligans gegen Salafisten (Hogesa) und Teil der Crew von Kategorie C, der populären Neonazi-Hooliganband, die im Ausland auch bei Konzerten des militanten Blood&Honour-Netzwerks auftritt. Beim Trauermarsch in Gladbach sang der Frontmann von Kategorie C und aktive rechte Netzwerker Hannes Ostendorf live.

Das Gladbacher Kameradschafts-Urgestein Achim Scheibe (mittig m. Sonnenbrille) auf einem Neonazi-Trauermarsch für Marcel Kuschela am 20.9.2018 in Mönchengladbach. (Foto: Recherche Nord)

Auf Jenaer Seite ist es vor allem Tilo Webersinke aus Winzerla, der mit verschiedenen Hooligan-Kameraden an Neonazi-Veranstaltungen teilnimmt. Webersinke ist fanatischer Reichsbürger und hat 2011 im Verbund mit anderen Reichsbürgern die “Selbstverwaltung Tilo Webersinke” ausgerufen. Damit meint er, dem Geltungsbereich der für ihn nicht existenten BRD-Gesetzgebung zu entkommen. Zum Thügida-Fackelmarsch anlässlich von Hitlers Geburtstag 2016 kam Webersinke zusammen mit Kameradschafts-Mitglied Steffen Sieber. Sieber ist gleichzeitig Leiter der Freiwilligen Feuerwehr aus Jägersdorf.

Steffen Sieber (grüne Jacke) und Tilo Webersinke (weiße Jacke) bei Thügida in Jena am 20.04.2016; rechts Michel Fischer. (Bild: RT Deutsch)

Webersinke beteiligte sich 2018 und 2019 zusammen mit Kameradschafts-Mitgliedern an den Rechtsrockfestivals in Apolda und Themar. Am 1. Mai 2020 lief er beim Aufmarsch von Der III.Weg in Berlin mit und am 07.08.2021 beteiligte er sich am Aufmarsch von Neue Stärke Erfurt in Weimar. Webersinke war ebenso reger Teilnehmer der Corona-Flashmobs in Jena und Großdemos in Leipzig oder Weimar. In Weimar wurde er im Mai 2021 von einem Hooligan-Kameraden davon abgehalten, Polizisten anzugreifen.

Tilo Webersinke (1.v.l.) mit einem Bekenntnis zum deutschen Reich 1871 auf der Mütze bei einem Aufmarsch der lokalen Pandemieleugner*innenszene am 06.12.2020 in Jena. (Foto: Rechercheportal Jena-SHK)

Auch der Jenaer Neonazi Mirko Grumpmann zählt zur Kameradschaft Jena-Gladbach. Über Grumpmanns Gewaltexzesse und politische Aktivitäten erschien auf diesem Blog bereits vor drei Jahren ein Beitrag. Grumpmann zählte mehrere Jahre zu den engen Begleitern von Mirko Fritsche (geb. Szydlowski), der als “Liedermacher Barny” international auf Neonazi-Konzerten auftritt. Mirko Grumpmann fuhr in den 2000er Jahren mit Barny zusammen zu Auftritten beim Blood&Honour-Netzwerk in England und Schweden. Mirko Grumpmann ist aktives Mitglied der Kameradschaft Jena-Gladbach, wie seine Besuche der gemeinsamen Treffen 2018 in Mönchengladbach und 2019 in Jena zeigten. Das Treffen 2019 konnten die Rechten in der Halle der Anglerunion Jena e.V. abhalten, die ihren Sitz direkt gegenüber des Ernst-Abbe-Sportfelds an der Saale hat.

Kameradschaftstreffen 2018 in Gladbach (v.l.n.r.): Jörg Göthe (Jena/Gladbach), Uwe Wallis (Gladbach), Mirko Grumpmann (Jena), Achim Scheibe (Gladbach). (Foto: Hooligan-Forum)

Zur Kameradschaft zählen auch jüngere Neonazis wie Richard “Richi” Seiffarth. Seiffarth bewegte sich in seiner Jugend im Umfeld des von NSU-Helfer Ralf Wohlleben gegründeten “Freien Netz Jena”. Zu Seiffarths Verbindungen in der Naziszene zählte u.a. Nico Metze, der die militante Kleinstpartei Der III. Weg in Thüringen mit aufbaute. Im Umfeld der Kameradschaft trifft man immer wieder auch auf Simon Scheibe und Felix Ramisch aus Jena-Lobeda. Ramisch lief im Juni 2015 bei einem Aufmarsch der inzwischen verbotenen, antisemitischen Europäischen Aktion in Jena mit. Und Simon Scheibe beteiligte sich im Oktober 2015 zusammen mit Kahlaer Neonazis um Antonio Szaszko an einem Thügida-Aufmarsch in Gera. Nach dem Heimspiel gegen Köln am 08.08.2021 überstiegen diese Stammgäste des A-Blocks mal wieder den Zaun und lieferten sich kurze Auseinandersetzungen mit Köln-Fans und Ordner*innen.

v.l.n.r.: Torsten Koscielny, Simon Scheibe, Felix Ramisch (Yakuza-Pulli) und Richard Seiffarth (Glatze) auf dem Weg zum Gästeblock beim Heimspiel gegen Köln am 08.08.2021. (Foto: MDR)

Ausgangspunkt “Die Gilde” am Holzmarkt: Rechte Übergriffe durch die Kameradschaft Jena-Gladbach

Die Kameradschaft Jena-Gladbach zeichnet für mindestens zwei rechte Angriffe verantwortlich, die ihren Ausgang im Außenbereich der Kneipe “Die Gilde” am Jenaer Holzmarkt nahmen. Hier treffen sich die rechten Hooligans regelmäßig vor und nach Spielen des FCC. So auch im Mai 2016, als Uwe Wallis dabei zudem das mitgebrachte Banner der Neonazi-Hooligans “Wilde Borussen” an der Fassade hissen durfte. Vor Spielbeginn attackierten die Hooligans die vorbeiziehenden Ultras der Horda Azzuro. Tilo Webersinke kommentierte den Angriff später im Netz mit Die Drecks-antideutschen Hurdas kommen vorbei, und es kam was kommen mußte …..

Die Kameradschaft Jena-Gladbach 2016 vor ihrem Angriffsversuch auf die Jenaer Ultras in der Kneipe “Die Gilde”: Steffen Sieber (4.v.l.), Jörg Göthe (5.v.l.), Uwe Wallis (mittig m. Handy), Tilo Webersinke (4.v.r.). (Bild: Facebook)

Im August 2019 vermeldete die Jenaer Polizei, dass von FCC-Fans aus der Gilde heraus drei Personen aus rassistischen Gründen angegriffen wurden. Am Abend des 18.08.2019 seien nach einem Wortgefecht bis zu 15 Angreifer, teils mit Flaschen in der Hand, aus der Gilde auf die drei Personen zugestürmt und hätten sie angegriffen. Die Angegriffenen verteidigten sich teilweise und versuchten in Richtung Neugasse zu fliehen. Hierhin seien sie noch von vier der Angreifer verfolgt worden. Angesichts von Ort, Kontext und Vorgehen der Angreifer kann von Mitgliedern der Kameradschaft Jena-Gladbach ausgegangen werden.
Weitere Treffpunkte der Hooligan-Kameradschaft sind die von Neonazis dominierten Kneipen “Zur Insel” in Lobeda-Ost, “Joker” in Winzerla und die Vereinskneipe “Kneipe vom Feinsten” des SV Zwätzen. Kommen die Gladbacher Hooligans zu Besuch, finden die größten Versammlungen allerdings bevorzugt vor der “Insel” in Lobeda-Ost statt.

Keinen Fußbreit der Kameradschaft

Die Kameradschaft Jena-Gladbach wird von vielen FCC-Fans behandelt wie der Nazi-Opa beim Familientreffen: Alle wissen, dass er rechts ist, alle finden ihn unangenehm, viele belächeln ihn, aber trotzdem gehört er mit dazu und wird mit Respekt behandelt. Dass die Kameradschafter gefährlicher sind als der Nazi-Opa und sich ihre rechte Gewalt und Netzwerke erst abseits des Stadions voll entfalten, wollen viele dann doch nicht wahrhaben. Dadurch eröffnet sich den Rechten beim Fußball ein Raum, über den sie auch jüngere oder weniger vernetzte Fans an sich binden können. Durch die breite Akzeptanz und gewisse Machtgebärden, die die Kameradschafter vor allem dann zeigen, wenn die Ultras der Horda Azzuro Spiele geschlossen boykottieren, erfahren die rechten Hooligans eine nicht zu unterschätzende Anerkennung. Außerdem ist der A-Block im Ernst-Abbe-Stadion ihretwegen ein Angstraum, um den potentiell Betroffene rechter Gewalt einen Bogen machen dürften. Der Verein schließt bereits das Tragen bestimmter Neonazimarken im Stadion aus. Wie wirkungsvoll diese Maßnahme ist, hängt jedoch entscheidend an den jeweils eingesetzten BRU-Ordnern*innen, unter denen immer wieder bekannte Neonazis sind. Letztendlich sind daher vor allem die Fans selber aufgefordert, den Kameradschaftern aus Jena und Gladbach zu zeigen, dass sie trotz ihrer “traditionsreichen” Fanfreundschaft alles andere als willkommen sind. Erst wenn sie sich nicht mehr im Stadion hinter ihren Zaunfahnen versammeln können, ist den Rechten ein weiterer Resonanzraum in Jena abgerungen worden.

Nachtrag: Zu den Verbindungen der Kameradschaft Jena-Gladbach und Stefan Apel, der als Cousin von Beate Zschäpe die Neonaziszene der 1990er mit aufgebaut hat und ein Bindeglied zwischen dem späteren NSU-Trio und seinen sächsischen UnterstützerInnen im Untergrund war, siehe die aktuelle Recherche: Beate Zschäpes Cousin und die Alt-Hooligans