Jenaer Polizei fahndet nach Normannia-Burschenschafter

Gesucht: Christian Heilmann (l.) auf einer JeNah-Überwachungskamera vor seinem Angriff am 08.08.2020.

Mit einer Öffentlichkeitsfahndung vom 29.03.2021 bittet die Jenaer Kriminalpolizei um Hinweise zu einem unbekannten Buspassagier, der am 08.08.2020 einen 21-Jährigen bewusstlos geprügelt haben soll. Wer die Veröffentlichungen zur Neonazi-Burschenschaft Normannia auf diesem Blog aufmerksam verfolgt hat, könnte bereits eine Ahnung haben, wer da gesucht wird: Christian Heilmann, Neonazi aus den Kreisen von NSU-Helfer Ralf Wohlleben und aktiver Burschenschafter der Normannia zu Jena und Arminia zu Leipzig. Zweieinhalb Wochen vor der mutmaßlichen Tat war auf diesem Blog ein ausführliches Porträt des rechten Aktivisten erschienen.

Die Identitären-Aktivistinnen Nina Eymann (l.) und Freya Honold (r.) mit Christian Heilmann (in den Farben der Arminia Leipzig zu Dresden und Normannia Jena). (Insta-Story vom 07.03.2018)

Der Darstellung der Polizei zufolge soll Christian Heilmann am 08.08.2020 nachts in einem Bus einen Passagier zweimal geschlagen haben, weil dieser mit seinem Begleiter Musik vom Handy gehört hätte. Die Schläge sollen so brutal gewesen sein, dass der Betroffene kurzzeitig das Bewusstsein verlor. Erst nachdem der Busfahrer die Polizei gerufen hatte, sei Heilmann aus dem Bus geflohen. Die nun veröffentlichten Bilder aus der Überwachungskamera zeigen Heilmann in einem ähnlichen Dress, wie er ihn im selben Jahr auf Instagram trug: ein blau-graues Hemd mit Sonnenbrille zwischen die Knöpfe des Brustbereichs gehängt:

Christian Heilmann auf weiterem Fahndungsbild vom 08.08.2020.

Christian Heilmanns Insta-Story vom 22.04.2020.

Zudem trägt Heilmann dieselben braunen Lederschuhe, die er genau zwei Wochen nach der mutmaßlichen Tat bei einem überregionalen Treffen extrem rechter Burschenschaften in Jena-Maua trug:

Christian Heilmann beim Mensurtag des Waffenrings Halle-Leipzig. (Foto: Recherche Jena-SHK)

Militante Netzwerke

Für die ausführlichere Darstellung von Christian Heilmanns politischer Biographie sei nochmals auf den Artikel vom 19.07.2020 verwiesen. Bisher unveröffentlichte Bilder verdeutlichen jedoch nochmal, dass es sich bei ihm und seinen Netzwerken keinesfalls um einen bieder-konservativen Burschenschafter handelt. Die ihm vorgeworfene Gewalt ist vielmehr fester Bestandteil seiner politischen Ideologie und charakterisiert die Netzwerke, in denen er seit mehr als einem Jahrzehnt aktiv ist. Heilmann politisierte sich über die Jenaer NPD um Ralf Wohlleben, mit dem er persönlich im Kontakt stand. Nachdem Wohlleben aufgrund seiner Beihilfe zur rassistischen Mordserie des NSU Ende 2011 in Untersuchungshaft kam, engagierte sich Heilmann zusammen mit Nazis aus dem Freien Netz Kahla in der Solidaritätskampagne unter dem Motto “Freiheit für Wolle”. So betrieb die Gruppe mit Heilmanns Beteiligung einen Stand auf dem Rechtsrockfestival “Rock für Deutschland” in Gera am 07.07.2012.

Christian Heilmann auf dem “Rock für Deutschland” am 07.07.2012 in Gera: links am Dixi; rechts mit den Kahlaern Manfred Kegel und Andreas Hofer hinter dem Solidaritäts-Stand “Freiheit für Wolle” für NSU-Helfer Ralf Wohlleben. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Ein Jahr später demonstrierte Heilmann zusammen mit weiteren Neonazis aus Ostthüringen in Dortmund gegen das zuvor ergangene Verbot der militanten Kameradschaft Nationaler Widerstand Dortmund. Einer seiner Begleiter war Martin Schieck, mit dem zusammen Heilmann wenig später der Neonazi-Burschenschaft Normannia zu Jena beitrat. Schieck ist seit knapp zwei Jahren Mitarbeiter der Thüringer AfD-Landtagsfraktion und begleitet Björn Höcke als Filmer und Fotograf bundesweit zu öffentlichen Auftritten.

Martin Schieck und Christian Heilmann auf Demonstration gegen das Verbot des Nationalen Widerstands Dortmunds am 31.08.2013.

Christian Heilmann (geb. 18.02.1991) wohnte bis ca. 2011/12 im Jenaer Südviertel. Noch reist Heilmann regelmäßig nach Jena, um an Veranstaltungen der Normannia zu Jena teilzunehmen oder seine Familie zu besuchen. Nach seinem Umzug nach Dresden wohnte er bis mindestens vergangenes Jahr noch im Haus der Burschenschaft Arminia zu Leipzig in Dresden in der Kesseldorfer Str. 55 in Dresden-Löbtau. Hier finden Aktivisten der neofaschistischen Identitären Bewegung mit Mitgliedern der Jungen Alternative zusammen und gleichzeitig betrieb ein CDU-Landtagsabgeodneter sein Wahlkreisbüro lange Zeit im selben Haus (siehe ART Dresden). Mit einer Gruppe sächsischer AnhängerInnen der Identitären Bewegung beteiligte sich Heilmann auch an den rassistischen Krawallen zum 01.09.2018 in Chemnitz. Hier riss er mit anderen Demonstrierenden gemeinsam das von der Stadt Chemnitz am Karl-Marx-Kopf aufgehängte Banner “Chemnitz ist weder grau noch braun” ab. Doch Normannen reißen nicht nur ab, sie hängen auch auf – nämlich z.B. AfD-Wahlkampfplakate – so geschehen 2016 in Mecklenburg-Vorpommern.

Christian Heilmann und weitere beim Abreißen eines Banners am 01.09.2018 in Chemnitz. (Insta-Story vom 02.09.2018)

Militante Netzwerke

Im April 2018 war Heilmanns Burschenschaft Normannia gewalttätig auffällig, als Mitglieder aus einer Feier im Kahlaer Dartclub heraus minderjährige Geflüchtete angegriffen hatten. Die Normannia gründete sich aus NPD und Thüringer Heimatschutz heraus und setzt sich auch heute noch aus damaligen Weggefährten der NSU-Helfer Ralf Wohlleben, André Kapke oder Tino Brandt zusammen. Im Nachgang des Übergriffs in Kahla haben sich die Neonazi-Burschen gegenüber den Ermittler*innen als Opfer präsentiert, was vom damals noch verantwortlichen Rechtsaußen-Staatsanwalt Martin Zschächner dankbar aufgenommen wurde. In der Folge wurden die Betroffenen sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Strafverfahren zu Täter*innen gemacht.
In der Jenaer Öffentlichkeit dominiert dank einer Allianz aus CDU, FDP und Lokalpresse auch aktuell noch der Diskurs, dass Burschenschafter einer besonderen städtischen Unterstützung bedürften. Um welche Rechtsausleger es sich dabei neben der Normannia vor allem handelt, wurde vergangenen Herbst bereits näher beleuchtet.

Antifa und Polizei?

Schon im Fall des Angriffs auf einen Pfarrer beim Neonazi-Gedenken zum Volkstrauertag 2020 in Apolda wurden auf diesem Blog ein Dutzend Namen und Fotos beteiliger Personen zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, als die Polizei noch im Dunkeln tappte. Vier Monate später erfolgte in dem Fall nun eine Hausdurchsuchung und die Polizei vermeldet, dass sie im Nachhinein 13 Beschuldigte ermittelt hätte. Im aktuellen Fall ist es ein bereits bekannt gemachter Neonazi-Bursche, dessen Identität als Gesuchter per Blogbeitrag durch Antifa-Recherche öffentlich wird. Aus ermittlungstaktischer Sicht wäre es besser, der Polizei nichtöffentliche Hinweise zu geben, damit sie weitere Ermittlungsschritte einleiten kann, ohne dass Beschuldigte sich darauf einstellen können.

Antifaschistische Recherche verfolgt jedoch ein anderes Ziel als die Polizei. Eine konsequente Bekämpfung von Faschismus verlässt sich nicht auf staatliche Repression.
Die Veröffentlichung solcher Informationen zu Gewalttaten mag der Polizei zwar helfen, richtet sich jedoch primär an eine Gesellschaft, die einen eigenen Umgang mit Neonazi-Ideologie und den dazugehörigen Netzwerken finden muss. Betroffenen können die Veröffentlichungen auch die Möglichkeit bieten, sich selbstständig mit den Netzwerken der TäterInnen auseinanderzusetzen. Kennen sie Namen, Gesichter, Aufenthaltsorte und politische Aktivitäten von Neonazis, können sie entsprechende Maßnahmen zum Selbstschutz ergreifen. Im staatlichen Ermittlungsverfahren hingegen haben sie als Zeug*innen keinerlei Anspruch auf Information, sondern dienen unter Strafandrohung einzig den Repressionsbehörden als Informationsquelle. Nimmt man die weitreichenden rechten Strukturen innerhalb der Polizeibehörden oder einen rechten Geraer Staatsanwalt wie Martin Zschächner hinzu, kann allen nur zu größtmöglicher Vorsicht im Umgang mit diesen Staatsdiener*innen geraten werden.
Die Veröffentlichungen zu den Schlägern vom Apoldaer Volkstrauertag oder zu Christian Heilmann richten sich daher auch an die Betroffenen der Taten, die durch eine klarere Einschätzung zur Naziszene und den Tätern hoffentlich mehr Handlungsfähigkeit erlangen. Doch erst recht richten sich die Recherchen an die Gesellschaft, die aufgefordert ist, sich mit rechter Ideologie und Strategien zu ihrer Bekämpfung auseinanderzusetzen. Ein solcher Kampf ist letztlich nicht ohne eine grundsätzliche Kritik an diesem Rechtsstaat zu denken. Sollten diese Veröffentlichungen gleichwohl der Polizei helfen, bleibt daher vor allem zu hoffen, dass sie dadurch vorübergehend Kräfte zur Verfolgung von Antifaschist*innen abziehen muss und sich Staat und Neonazis gegenseitig beschäftigt halten.