Das Schweigekartell der Korporierten: „Pro Patria“-Duelle in Jena

Alexander Jünger von der Alten Burschenschaft auf dem Burgkeller nach einer Pro Patria Suite im September 2021

Alexander Jünger von der Alten Burschenschaft auf dem Burgkeller nach einer Pro Patria Suite im September 2021

Am 05.03.2023 berichtete die Autonome Antifa Freiburg von einer „Pro Patria-Suite“ zwischen der Burschenschaft Germania Erlangen (welche gemeinsam mit der Jenaer Burschenschaft Teutonia Teil des Süddeutschen Kartells ist) und der Turnerschaft Munichia Bayreuth, bei der am 10.02.2023 zwei Teilnehmer lebensgefährlich verletzt wurden und ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Dies löste bundesweit eine Debatte um „Ehrduelle“ zwischen Verbindungsstudenten aus. Denn nach heutiger Rechtsauffassung stellen Fechtkämpfe um der „Ehre“ Willen trotz ihrer Einvernehmlichkeit in den meisten Fällen die Straftat einer gefährlichen Körperverletzung dar. Wir nehmen dies zum Anlass, um die „Pro Patria-Suiten“, die in den letzten Jahren zwischen Jenaer Studentenverbindungen stattfanden, zu veröffentlichen.

Pro-Patria Suiten (PP-Suiten) sind Fechtduelle, die im Unterschied zu regulären Mensuren dem Austragen von „Ehrenstreitigkeiten“ zwischen zwei Studentenverbindungen dienen. Wenn Ehrenduelle statt zwischen zwei Verbindungen zwischen einzelnen Korporierten ausgetragen werden, heißen sie im Jargon der Studentenverbindungen „Persönliche Contrahagen“. Auch wenn diese sogenannten „Ehrenhändel“ in Deutschland verboten sind, werden sie auch in Jena von fast allen Verbindungen durchgeführt, egal ob Burschenschaft, Landsmannschaft, Corps oder Sängerschaft.

In Jena haben sich mehrere Studentenverbindungen für Fechtduelle im „Jenenser Waffenring“ zusammengeschlossen. In dessen Regelwerk sind gesonderte Richtlinien für PP-Suiten in einem längeren, sehr kleinteiligen Abschnitt verankert. Alle Mitglieder des Jenaer Waffenrings haben schon PP-Suiten durchgeführt. Mitglieder sind das Corps Thuringia, die Landsmannschaft Rhenania, die Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller, die Jenaische Burschenschaft Germania, die Burschenschaft Teutonia Jena und die Sängerschaft zu St. Pauli.

Während PP-Suiten unter noch verschärfteren Bedingungen gefochten werden, sind auch studentische Mensuren im allgemeinen kein „harmloser Kampfsport“, wie die Verbindungen es selbst gerne nach außen darstellen. In der Satzung des Jenenser Waffenrings ist streng geregelt, wo auch für Mensuren, der recht spärliche „Schutz“ enden soll. Es wird dabei explizit geregelt, dass der größte Teil des Kopfs (außer Augen und Nase) nicht geschützt werden dürfen:

Der Paukant trägt zu seinem Schutz: 1.) den Paukschurz, den Schultersatz für jede Schulter sowie gegebenenfalls Herzleder oder Kettenhemd, wobei der Rücken komplett geschütz sein muss. 2.) Den Handschutz aus Leder, der das Handgelenk durch eingelegte Ketten schützen muss, 3.) den Armschutz, der aus seiden Binden von beliebiger Länge und Breite und einem seidenen, ledernen oder sonstigem hinreichenden schützendem Material bestehenden Stulp, 4.) die Halsbinde, deren Oberkante dem Unterkiefer anliegen muss und ihn an keiner Stelle nach oben überragen darf, 5.) die vergitterte Paukbrille, deren Maße in der Senkrechten 5 cm, in der Blickrichtung einschließlich Zylinder, 2,5 cm nicht überschreiten dürfen, 6.) das Nasenblech, dessen Weite 5 cm, dessen Länge, vom oberen Brillenrand gemessen 7,5 cm nicht überschreiten darf, die Brillenriemen dürfen nicht über 1,5 breit sein, sie gelten nicht als Bandagen 7.) Leder nach besonderen Bestimmungen

Bild eines Burschen der Teutonia Jena auf dem die zulässige Schutzbrille und Halskrause zu sehen ist

Zulässiger „Schutz“ bei einem Burschen der Burschenschaft Teutonia Jena

Der Blog „Völkische Verbindungen kappen“: ordnet verbindungsstudentische Mensuren treffend ein: „Das waffenstudentische Verbindungswesen pflegt die archaischen Rituale als Teil burschenschaftlicher Erziehung zur Wehrhaftigkeit, zum Beweis von Charakterstärke und Unerschrockenheit und – im deutschnationalen Lager der Korporationen – Geeignetheit für den Kampf fürs Vaterland.“

Screenshot der Germania Jena Webseite mit dem Text: "Heutzutage pflegen wir die Tradition des Fechtens, weil wir davon überzeugt sind, dass auf diese Weise Zusammenhalt und Gemeinsinn in der überzeugendsten Form zu dokumentieren sind. Während der Körper durch Halsbinde, Paukweste, Kettenhemd, Stulp (Armschutz) und Paukbrille geschützt ist, besteht das Risiko einer Mensur immer darin, eine Schnittverletzung am Kopf davonzutragen. Dem Studenten stehen diese negativen Konsequenzen deutlich vor Augen, wenn er in Erwägung zieht, Mitglied eines solchen, pflichtschlagenden Bundes zu werden. Daraus resultiert zum einen, dass ihm seine eigene physische und psychische Leistungsfähigkeit unmittelbar und drastisch vor Augen geführt wird und er für sich persönlich lernt, auch in solchen Grenzsituationen zu bestehen und einen kühlen Kopf zu bewahren. Zum anderen resultiert daraus, dass der sich trotz aus der Mensur eventuell ergebender negativer Konsequenzen in eine solche Verbindung eintretende Student bewusst für die Inkaufnahme dieses Risikos entscheidet. Damit dokumentiert er insbesondere im Rahmen der Mensur, zu jeder Zeit und unter allen Umständen, für seine Gemeinschaft und für jeden einzelnen Bundesbruder bis an die Grenze seiner physischen und psychischen Leistungsfähigkeit gehen zu wollen und sollte es für ihn persönlich noch so negative Konsequenzen zur Folge haben."

Auschnitt eines Artikels zum Mensurfechten auf der Website der Germania. Beim Fechten soll der Korporierte lernen, dass er sich dem Kollektiv unterzurordnen hat und als Einzelner nichts zählt. Nur wer bereit ist sich für die „Gemeinschaft“ aufzuopfern und negative Konsequenzen, wie Kopfverletzungen, bereitwillig in Kauf nimmt, darf teil des studentischen Männerbundes werden.

Zur rechtlichen Brisanz von „Pro Patria Suiten“

Das deutsche Strafrecht verbietet nicht per se, sich bei vorliegendem Einvernehmen gegenseitig zu verletzen oder einseitig verletzen zu lassen. Legale Formen der Körperverletzung finden sich zum Beispiel bei ärztlichen Behandlungen, Sexualpraktiken aus dem BDSM-Bereich oder im Kampfsport. Die Voraussetzung für das Entfallen einer Strafbarkeit wegen Körperverletzung (§ 223 StGB), gefährlicher Körperverletzung (§224) oder schwerer Körperverletzung (§ 226 StGB) ist neben dem Einvernehmen der verletzten Person, dass keine „Sittenwidrigkeit“ vorliegt. Dieser archaisch anmutende Begriff definiert in diesem Kontext Folgendes: Wenn nach allgemeinen gesellschaftlichen Maßstäben, also dem moralischen Kompass der Durchschnittsbürgerin, eine Körperverletzung aus völlig unmoralischen Gründen begangen wird, dann ist sie „sittenwidrig“ und muss trotz Einvernehmens vom Staat bestraft werden.

In den 1950er Jahren der Nachkriegs-BRD wurden verbindungsstudentische Mensuren durch den Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil legalisiert, da diese den Sittlichkeitsvorstellungen der damaligen Richter entsprachen. Explizit ausgeschlossen wurden dabei aber Mensuren zum Austragen von „Ehrenhändeln“. Bei Pro Patria Suiten handelt es sich genau um solche „Ehrenhändel“. Im Nachgang des Öffentlichwerdens der Pro Patria Suite in Erlangen befürchteten Korporierte, dass eine Diskussion um Mensuren im Jahr 2023 dazu führen könne, dass heutige Gerichte Mensuren im Allgemeinen nicht mehr als „sittengemäß“ einstufen würden, da dieser Begriff von „Sittlichkeit“ im Jahr 2023 für antiquiert befunden werden würde – und das sogar, obwohl unter den Roben von Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten überdurchschnittlich viele Korporierte stecken. Wie die Recherchen der Autonomen Antifa Freiburg belegen, werden diese Duelle aus diesem Grund nicht nur von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Die Männerbünde gehen sogar soweit, dass sie keine Krankenwagen für Schwerverletzte rufen, damit die Polizei keinen Wind davon kriegt.

Im Folgenden listen wir alle uns bekannten PP-Suiten auf. Von einer Dunkelziffer von weiteren PP-Suiten ist auszugehen.

Liste Jenaer Studentenverbindungen, die PP-Suiten durchführten

  • Corps Thuringia Jena
  • Landsmannschaft Rhenania Jena
  • Burschenschaft Arminia Jena
  • Burschenschaft Germania Jena
  • Alte Burschenschaft auf dem Burgkeller Jena in der DB
  • Sängerschaft St. Pauli Jena
  • Burschenschaft Teutonia Jena
  • Burschenschaft Normannia Jena

Liste von PP-Suiten und Pesönlichen Contrahagen von Jenaer Studentenverbindungen

25.2.2023 PP-Suite zwischen Corps Thuringia und Landsmanschaft Rhenania

16.09.2022 Pesönliche Contrahage zwischen Corps Thuringia Jena und Corps Thuringia Leipzig beim Corps Palaiomarcha Halle

27.08.2022 PP-Suite zwischen Corps Thuringia gegen Landsmannschaft Rhenania

06.06.2022 auf dem Haus der Thuringia

21.05.2022 PP-Suite zwischen B! Teutonia und B! Arminia

23.04.2022 PP-Suite zwischen Corps Thuriniga Jena und B! Germania Jena (abgesagt)

05.02.2022 PP-Suite zwischen Corps Thuringia Jena und Corps Normania Berlin

18.09.2021 PP-Suite zwischen Alte B! Burgkeller Jena und B! Normannia Leipzig

22.08.2020 PP-Suite zwischen Alte B! Burgkeller Jena und B! Normannia Jena (Mehr dazu siehe: NS-Ideologie und Fechtduelle: Überregionales Treffen extrem rechter Burschenschaften in Jena-Maua am 22.08.2020)

01.08.2020 PP-Suite zwischen B! Normannia Jena und B! Germania Leipzig

31.08.2019 PP-Suite zwischen Halle-Leobener B! Germania und Alte B! Burgkeller Jena

27.01.2018 PP-Suite zwischen Sängerschaft St. Pauli und B! Arminia Jena

02.12.2017 PP-Suite zwischen Landsmanschaft Rhenania Jena und unbekannt

25.01.2014 PP-Suite zwischen B! Teutonia Jena und B! Krusenrotter Kiel