14.05.2022: „Identitäre“ Rapper zu Gast bei „Blood & Honour“-Aktivist in Naumburg

NDS-Ankündigung zum Konzert in Naumburg am 14.5.2022 (Bild: Instagram)

Morgen Abend findet in Naumburg ein Konzert vom „Neuen Deutschen Standard“ (NDS) statt. Die rechten Rapper aus der Lausitz halten den genauen Veranstaltungsort geheim. Wie durch Recherchen nun bekannt wurde, wird das Konzert im Gewölbekeller der altbekannten Nazikneipe „Lokal 18“ stattfinden. Das „Lokal 18“ hat seinen Namen und Design nicht bloß beim rechtsterroristischen Netzwerk „Combat 18“ abgekupfert: Der Betreiber Andreas Segieth zählt seit rund zwanzig Jahren zur Thüringer Struktur von „Blood & Honour“ (B&H), die sich in früheren Jahren zur Strömung von „Combat 18“ bekannte. Segieth ist auch Teil der neueren Tarnstruktur des verbotenen Netzwerks B&H, die als „28 Crew“ auftritt. Daneben ist er bestens mit „Der Dritte Weg Burgenlandkreis“ vernetzt. Die vorgeblich „patriotischen“ Rapper von NDS belegen damit ein weiteres Mal, dass kein Blatt zwischen sie und die militante rechte Szene passt.

„Neuer Deutscher Standard“ (NDS) – NS-Rap aus identitären Netzwerken

Mit dem Rapper Christopher „Chris Ares“ Zloch etablierte sich zeitgleich mit dem Entstehen der „Identitären Bewegung“ in Deutschland ein neues Phänomen: rechter Rap, der altbekannte rechte Ideologie modern verpackt und dabei auch im Mainstream erfolgreich ist. Rechten Rap gab es schon zuvor, jedoch schaffte es etwa Julian „MaKss Damage“ Fritsch mit Ausnahme eines Interviews bei Kiss FM nicht, sich auf Mainstream-Plattformen zu etablieren. Chris Ares hingegen landete mit seinem Album „Neuer Deutscher Standard“ Top-Platzierungen in den iTunes-Charts, wurde auf MTV gespielt und konnte über Amazon und Spotify eine große Reichweite aufbauen. Dabei verfolgte Chris Ares keine Doppelstrategie, sondern vertrat ganz offen, dass seine Musik Teil eines rechten Kulturkampfes ist. So trat er auch 2016 bei der AfD in Thüringen oder 2018 auf einem Festival der „Identitären“ in Dresden auf. Nachdem die Mainstream-Plattformen seine Musik Mitte 2020 von ihren Seiten nahmen, erklärte Ares seinen Rückzug als Rapper und Aktivist.
Im Windschatten von Chris Ares hatten in den Vorjahren bereits weitere Akteure aus den Netzwerken der „Identitären Bewegung“ angefangen, rechten Rap zu produzieren. Darunter waren Kai „Prototyp“ Naggert und Andre „Primus“ Laaf aus Nordrhein-Westfalen, die gemeinsam mit Chris Ares unter dem Label „Neuer Deutscher Standard“ (NDS) auftraten. Alle drei zogen nach Weifa bei Bautzen, wo sie versuchten, ihre verschiedenen Kleinstfirmen und Musikprojekte unter dem Dach eines sanierungsbedürftigen Hauses zu vereinen und einen Anziehungspunkt für junge Rechte aufzubauen. Noch vor Chris Ares‘ Rückzug zeigten sich hier die Verbindungen in die etablierte Lausitzer Neonaziszene, vor allem zu Markus Baumgart aus Cunewalde, der die Neonazi-Kleidungsmarke „Isegrim Clothing“ betreibt. Kai Naggert und Andre Laaf führen bis heute die Zusammenarbeit mit Baumgart fort und werben mit Instagram-Posts für dessen Mode. Baumgarts Person und Netzwerke dürften auch die Antwort auf die Frage liefern, warum NDS aus der Lausitz ausgerechnet nach Naumburg zum Konzert kommt.

v.l.n.r.: Die NDS-Rapper Menx (l.) und Prototyp (2.v.l.) in Isegrim-Kleidung auf Instagram, 3.v.l. Primus (Fotos: Instagram)

„Isegrim“ – Umzug aus der Lausitz nach Bad Kösen

Markus Baumgart (l.) mit Chris Ares in Bautzen (Foto zuerst veröffentlicht bei der Recherche Ostsachsen)

„Isegrim Clothing“ gibt seit vergangenem Jahr in seinem Impressum eine Adresse in Bad Kösen an. Offenbar ist Markus Baumgart auch tatsächlich aus der Lausitz an die Landesgrenze Sachsen-Anhalts zu Thüringen umgezogen. Erste Verbindungen nach Thüringen zeigten sich bei Isegrim bereits 2019, als Baumgart zwei einschlägig bekannte Neonazis aus dem Saale-Orla-Kreis als Model für Isegrim einsetzte: Saskia Schön und Markus Blasche.

Saskia Schön und Markus Blasche als Isegrim-Models (Fotos: Instagram)

Saskia Schön ist Mitarbeiterin im Tattoostudio „All you need is pain“ in Schleiz und modelte neben Isegrim auch für die Rechtsrockband „Abtrimo“, die den militanten Hammerskins nahesteht. Blasche ist Mitglied der Bruderschaft Turonen – Garde 20, mit der er die Rechtsrockfestivals in Themar 2017 und Apolda 2018 organisierte. Zusammen nahm das Paar Blasche und Schön auch am Rechtsrockkonzert der Turonen 2016 in Kirchheim und am Aufmarsch von „Der Dritte Weg“ in Plauen am 01.05.2016 teil.

Saskia Schön, Markus Blasche und Marcel Buhe (Turonen) am 01.05.2016 in Plauen (Foto: Recherche Nord)

Isegrim-Betreiber Baumgart scheint jedoch noch ein weiteres Netzwerk mit dem südlichen Burgenlandkreis zu verbinden: Baumgart zeigte sich in der jüngeren Vergangenheit in einem Shirt der „28 Crew“, der auch Andreas Segieth angehört. Unter „28 Crew“ tritt seit einigen Jahren ein Teil der früheren Mitglieder des verbotenen Netzwerks „Blood & Honour“ auf. Die 28 steht dabei für den 2. und 8. Buchstaben des Alphabets, BH, und verklausuliert „Blood & Honour“. Nach dem Verbot von B&H im September 2000 führten u.a. die Sektionen aus Thüringen, Franken, Baden und dem Allgäu das Netzwerk unter dem Tarnnamen „Division 28“ weiter. Infolge verschiedenster Strafverfahren und interner Konflikte kam ein Teil dieser Untergrundstrukturen zum Erliegen, während teils einfach neue Tarnnamen gefunden wurden oder neue Kader Führungspositionen übernahmen. Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass bekannte AktivistInnen von B&H aus Sachsen, Thüringen oder dem Allgäu als „28 Crew“ auftreten. Da nach alter Gewohnheit die entsprechenden Kleidungsartikel nur legitimierten Mitgliedern oder UnterstützerInnen vorbehalten sind, kann bei Markus Baumgart von einer organisatorischen Einbindung oder zumindest einer unterstützenden Rolle bei B&H ausgegangen werden. Dass nun die NDS-Rapper aus Baumgarts ostsächsischen Netzwerken beim „28 Crew“-Aktivisten Andreas Segieth spielen, der wie auch Baumgart in Bad Kösen wohnt, dürfte daher keinem Zufall geschuldet sein.

Andreas Segieth – „Blood & Honour“, „Lokal 18“ Naumburg und „Der Dritte Weg“

Andreas Segieth (oben links) am Banner von B&H Thüringen bei einem Aufmarsch von NPD und „Thüringer Heimatschutz“ am 12.02.2000 in Gera; 2.v.l. ist Silvio „Hotte“ Jordan (Foto: Antifa Recherche Gera)

Der 1983 in Naumburg geborene Andreas „Kurti“ Segieth gehört seit Ende der Neunziger Jahre zur Naziszene zwischen Burgenlandkreis und dem Weimarer Land. Segieth schloss sich in einer Zeit den Thüringer Strukturen von B&H an, als der NSU frisch untergetaucht und von B&H in Thüringen und Sachsen mit Spendengeldern, Kontakten und Unterkünften unterstützt wurde. Der Weimarer Mitgründer von B&H Thüringen, Ronny Linke, war mit dem NSU-Trio vor dessen Untertauchen bereits persönlich bekannt. Andreas Segieth lief im Februar 2000 bei einem Aufmarsch des „Thüringer Heimatschutzes“ und der NPD durch Gera und trug dabei das Banner von B&H Thüringen. An seiner Seite lief mit Silvio „Hotte“ Jordan der stellvertrende Sektionsleiter der Thüringer Sektion. Zwei Jahre später war Segieth mit den Weimarern Ronny Linke und Denis Kühne bei einem Rechtsrockkonzert in Elgersburg, das wegen Ausschreitungen von der Polizei aufgelöst wurde. In den 2000er Jahren tauchte Segieth auf NPD-Kundgebungen in Weimar auf und zeigte sich in den frühen sozialen Medien wie MySpace und MeinVZ in verpixelten Shirts in B&H-Optik. In den letzten Jahren war Segieth einer der aktivsten Neonazis der Region. Er reiste neben Apoldaer Kameradschaftern 2017 zum Hess-Marsch nach Berlin, nahm mit seinem B&H-Kameraden Denis Kühne am Rechtsrockfestival in Themar teil und fuhr mit den beiden B&H-Aktivisten Christian Keck (2020 verstorben) und Ronny Linke zum Rechtsrockfestival nach Gera.

(v.l.n.r.) Ronny Linke, Andreas Segieth und Christian Keck beim „Rock für Deutschland“ in Gera am 01.07.2017 (Foto: Lukas Beyer)

Auch an den Aufmärschen zum 13. Februar in Dresden nahm Segieth durchgängig teil. Darüber hinaus fuhr er mit dem weiterhin für B&H aktiven Ronny Linke zu einem Solidaritätsaufmarsch für die Shoa-Leugnerin Ursula Haverbeck nach Bielefeld. Ebenfalls mit Linke reiste Segieth im Juni 2019 zum B&H nahestehenden Rechtsrockfestival „Fortress Europe“ nach Kiew. Seine Zugehörigkeit zur B&H-Nachfolgestruktur der „28 Crew“ demonstrierte Andreas Segieth am 13.02.2021 beim Naziaufmarsch in Dresden, wo er eine mutmaßlich nur anerkannten Mitgliedern vorbehaltene Mütze der „28 Crew“ trug. Diese Mutmaßung fußt u.a. darauf, dass bekannte B&H-Unterstützer sich bereits mit demselben Logo und „Support 28 Crew“ präsentierten.

Links: Andreas Segieth mit „28 Crew“-Mütze in Dresden am 13.2.2021; rechts das Logo der „28 Crew“ (Foto links: Presseservice Rathenow)

In Saaleck bei Bad Kösen war Segieth 2020 an einem internen Gedenken an die antisemitischen Mörder von Walther Rathenau beteiligt, das von den Thüringer B&H-Aktivisten der „28 Crew“ organisiert wurde. Daran nahmen u.a. Sebastian Dahl (ehemals Turonen, aus Pößneck), Ronny Linke und Robert Hoyer (Apolda) teil. Im Folgejahr führte Segieth mehr als ein Dutzend Neonazis von den Stützpunkten Burgenlandkreis und Magdeburg der NS-Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ auf die Burg Saaleck zum Gedenken an die Rathenau-Mörder am 17.07.2021. Der Ableger aus dem Burgenlandkreis hatte bereits im Herbst 2020 berichtet, dass in der Region eine Schulung stattgefunden hätte. Dazu wurde ein Foto aus einem blau beleuchteten Gewölbekeller veröffentlicht, der dem “Salzhofkeller” unter Segieths “Lokal 18” sehr ähnelte. Da zwei der ProtagonistInnen von „Der Dritte Weg“ im Burgenlandkreis, das Paar Claudia und Michael Döring aus Bad Kösen, zu Segieths politischem Umfeld gehören, liegt es nahe, dass er seinen Partykeller dem „Dritten Weg“ zur Verfügung stellte. Beide nahmen auch mit Segieth am Saaleck-Gedenken am 17.07.2021 teil.

Andreas Segieth (Mitte m. Glatze) beim Nazi-Gedenken auf Burg Saaleck am 17.07.2021; 5.v.l. Michael Döring vom III. Weg BLK (Foto: Rechercheportal Jena-SHK)

„Lokal 18“ – NDS zu Gast bei Kameraden

Als Frontal 21 Ende 2019 infolge des antisemitischen Terroranschlags von Halle auch in Naumburg recherchierte, wurde bereits die Ähnlichkeit der Optik vom „Lokal 18“ und dem Logo von „Combat 18“ festgestellt. Auf Anfrage anwortete Andreas Segieth einst, dass die Zahl eine persönliche Bedeutung hätte. Warum Segieth nicht offen zugab, dass es eine Referenz an seine politischen Netzwerke von B&H und „Combat 18“ ist und die 18 für die Buchstaben AH, also Adolf Hitler steht, ist angesichts seiner sonstigen Offenheit im NS-Aktivismus ungewöhnlich. Im Herbst 2020 und April 2021 gab es Sachbeschädigungen an seinem Lokal. Daraufhin lobte Segieth offen im Netz eine Belohnung von 50€ für Adressen von linken politischen Gegner*innen aus. Kurz darauf brannte dann das Auto eines linken Politikers in Naumburg.

Andreas Segieth erfragt offen persönliche Daten politischer Gegner*innen (Bild zuerst veröffentlicht von Twitter-Nutzer Dorian_Maxima)

Segieth vertritt auch seinen Rassismus völlig offen, wenn er auf der Seite seines Lokals im Shirt mit “F.D.G.K.” und Springerstiefeln posiert. Die Abkürzung steht für den Neonazi-Skinhead-Kultsong “Für Deutschland gegen Kanaken” von der Band „Alte Schule“. Seine Kumpanen auf dem Foto sind der rechte Tätowierer Christoph Oehler und der Neonazi und Unterstützer der „Hell’s Angels“, Steve Langheinrich.

Feiern im Lokal 18: (v.l.n.r.) Christoph Oehler, Andreas Segieth und Steve Langheinrich

Was den offenen Rassismus und das Propagieren des militanten Kampfes für ein weißes Deutschland angeht, stehen die NDS-Rapper Segieth in nichts nach. Anders als Segieth in der Entstehungszeit des NSU im Osten, wurden sie in den 2010er Jahren in Westdeutschland sozialisiert. Um Anschlussfähigkeit an moderne Jugendkulturen zu proben, setzen sie statt Springerstiefel und Skinhead-Kult auf HipHop-Beats und Instagram-taugliche Optik. Ob die Fusion dieser beiden Spektren gelingt, wird morgen Abend im Lokal 18 zu beobachten sein. Einlass ist ab 18 Uhr, Konzertbeginn um 20 Uhr.

Nachtrag (16.5.2022)

NDS haben das Konzert infolge dieser Veröffentlichung noch am 14.5.2022 per Telegram abgesagt. Sie könnten die Location nicht mehr benutzen. Ob das eine Absage durch den Betreiber Andreas Segieth oder die Entscheidung von NDS war, geht daraus nicht hervor. Vor dem Lokal 18 standen längere Zeit Streifenwagen. Wie Beobachter*innen berichteten,  verzogen sich die Rechten mit ca. 30 AnhängerInnen unter die Saalebrücke an der B180 zwischen Naumburg und Roßbach, wo sie bis in die Abendstunden verblieben. Die Polizei beobachtete die Szenerie dauerhaft. In einem zweiten Video vom selben Tag deuteten die NS-Rapper an, dass es eine spontan anberaumte Ersatzveranstaltung gegeben hätte, an der einige der TicketkäuferInnen teilgenommen hätten. Laut Kommentaren waren u.a. Kölner Rechte nach der Absage in Naumburg gestrandet. Ob es sich bei dem Ersatzevent um etwas anderes als den Abend unter der Brücke handelte, ist bislang unklar. NDS beabsichtigen laut eigener Aussage, das Konzert nach Möglichkeit zeitnah nachzuholen.