Jenaer Kontinuitäten und fehlende Konsequenzen aus dem NSU-Komplex (3): Von den Hatebrothers 88 zu Muddox Tattoo (Jena) und den Limited Booze Boys (Stadtroda)

(links) Mario Beythien (eingekreist) 1998 mit Madley-Betreiber Andreas Schultz (2.v.l.) und den Hatebrothers in Budapest; (rechts) Mario Beythien 2016 bei Muddox-Tattoo.

Wenige Meter vom Jenaer Uni-Campus entfernt liegt das Muddox-Tattoostudio im Durchgang zwischen Krautgasse und Bachstraße. Ein unverdächtiger Laden, möchte man meinen. Doch der Betreiber Mario Beythien ist nicht nur schon vor der Wende als Neonazi in Lobeda bekannt gewesen. Er zählte Ende der Neunziger auch zum Kern der “Hatebrothers 88 Kahla”, bei denen sich der NSU-Mordwaffenbeschaffer Andreas Schultz und weitere militante Skinheads versammelten. Die Gruppe war eng mit dem Blood&Honour-Netzwerk verbunden, das zur maßgeblichen Unterstützungsstruktur des NSU wurde. Beythien vertrieb selber Bekleidung unter der Marke Hatebrothers. Zeitgleich eröffnete er das Muddox-Tattoostudio in Jena-West, das später an den heutigen Standort am Campus umzog. Beythien trat noch 2009 die Rechte an der Marke Hatebrothers an den Jenaer Neonazi und Mafia-Akteur Jürgen Länger ab, der die NSU-Mordwaffe aus der Schweiz besorgt hatte. Und auch heute pflegt er noch Verbindungen zu alten Hatebrothers-Kameraden aus Stadtroda, die zur Bandbesetzung und dem Umfeld der Folkrockband Limited Booze Boys zählen.

Hatebrothers und die Beschaffer der NSU-Mordwaffe

Mario Beythien 1999 im Katalog seiner Kleidungsmarke “Hatebrothers”.

Mario Beythien stammt aus Jena-Lobeda und war dort schon um 1988/1989 als Neonazi-Skinhead bekannt. Zu jener Zeit trug er ein Hakenkreuz als Kettenanhänger. In den Neunziger Jahren zählte er zur subkulturell geprägten Jenaer Naziszene und eröffnete mit einem Kameraden zusammen eine Kneipe und ein Tattoostudio in der Talstraße in Jena-West. Nach Eröffnung des Naziladens Madley in der Innenstadt arbeitete Beythien mit den beiden Betreibern Frank Liebau und Andreas Schultz zusammen. Beythien zählte mit Schultz, der aus Trockenborn-Wolfersdorf im Saale-Holzland kam, zur Neonazi-Clique “Hatebrothers Kahla 88”, deren Anhänger vor allem in Stadtroda und Kahla ansässig waren. Zusammen mit Schultz, den Hatebrothers und Blood&Honour-AktivistInnen aus Ostthüringen fuhr Mario Beythien im Februar 1998 nach Budapest zu einem internationalen Naziaufmarsch mit anschließendem Rechtsrockkonzert. Beythiens Kamerad Andreas Schultz organisierte auf Ralf Wohllebens Anfrage hin später die Mordwaffe Ceska 83 für das NSU-Kerntrio. Während die beiden Madley-Betreiber 1999 in Jena-Ost einen zweiten Laden unter dem Namen Hatebrothers eröffneten, startete Mario Beythien eine gleichnamige Bekleidungsmarke. Der Laden und die Kleidungsmarke existierten nur vorübergehend. Zehn Jahre später fragte Jürgen Länger, der in die Beschaffung der NSU-Mordwaffe involviert war, Beythien, ob er die Marke Hatebrothers wieder aufleben lassen könne. Beythiens Verbindung zum Neonazi und Mafiosi Länger schien auch Ende der 2000er noch so gut, dass er ihm bereitwillig die Rechte abtrat.

Limited Booze Boys – die Hatebrothers-Band aus Stadtroda

Mirko Kopper (eingekreist) mit den Hatebrothers in Budapest 1998.

Im Bus nach Budapest 1998 saßen neben Mario Beythien und Andreas Schultz noch weitere Hatebrothers-Anhänger aus dem Saale-Holzland-Kreis. So hält Andreas Schultz auf dem Foto vom Naziaufmarsch die Fahne der Hatebrothers zusammen mit Mirko Kopper aus Tröbnitz. Kopper gründete ein Jahr später zusammen mit weiteren Stadtrodaern die Folkrock-Band Limited Booze Boys. Mitgründer war damals auch Henning Haydt, der 2012 im NSU-Prozess in München als Zeuge aussagen musste. Während Haydt sich wegen seiner von Antifaschist*innen öffentlich gemachten Verwicklungen in den NSU-Komplex aus der Band zurückzog, wurde Mirko Koppers Beteiligung verschwiegen.

Nachdem Haydt Personen aus Quirla, die gegen seine lautstarke Nazimusik aus dem Kassettenrekorder protestierten, verprügelt hatte, kam es bei ihm 1997 zu einer Hausdurchsuchung. Gefunden wurde eine mit Schrauben und Nägeln gefüllte Rohrbombe. Außerdem fand man eine Deutschlandkarte mit markierten KZ-Gedenkstätten, die als Anschlagsziele interpretiert wurden. Als dann 1997 die Kofferbombe (mit Hakenkreuzbemalung) auf dem Jenaer Theaterplatz abgestellt wurde, wurde außer gegen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe auch gegen Haydt ermittelt und er wurde kurzzeitig observiert. Wenige Monate später wurde in einem Wohnheim für portugiesische Arbeiter:innen in Stadtroda ein scharfer Sprengsatz im Heizungskeller gefunden. Beide Bombenfunde wurden nie aufgeklärt. Bei einer Observation im Rahmen der Fahndung nach dem abgetauchten NSU-Kerntrios beobachtete die Polizei zudem 1998 ein Treffen zwischen dem Madley-Betreiber Frank Liebau und Henning Haydt.

Antifaschist*innen veröffentlichten 2012 eine Recherche zu diesen Verwicklungen Haydts. 2015 legten Berliner Antifaschist*innen nach und zeigten auf, dass die gesamte Band Limited Booze Boys und ihre Crew Neonazikleidung und -tattoos tragen. Henning Haydt wurde von der Band zum Bauernopfer auserkoren, um sich keine Auftrittsmöglichkeiten in Mainstream-Locations zu verbauen. In einer Erklärung des Bandleaders Tom Kroneberger heißt es:

Henning Haydt hat sich schon mehrfach von diesem Fehltritt, entstanden durch falschen Umgang , distanziert. Er hatte niemals Kontakt zu Personen aus dem Umfeld der Jenaer Terrorzelle. Alle Angaben in dem Bericht darüber sind Mutmaßungen. Alle anderen Bandmitglieder, einschließlich meiner Person , sind in ihrem Leben noch nicht straffällig geworden und haben mit der rechten Szene nichts zu tun gehabt. (Fehler im Original)

Mirko Kopper, der 1998 mit dem Beschaffer der NSU-Mordwaffe, Andreas Schultz, das Hatebrothers-Banner in Budapest präsentierte, tourt bis heute mit den Limited Booze Boys durch Rockerclubs und Konzertsäle. In Jena durfte die Band 2012 im F-Haus auftreten. Dass die oben zitierte Erklärung der Band voller Lügen ist, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Interessanter ist jedoch, dass sich die Neonazi-Verwicklungen der Band bis in die Gegenwart ziehen.

Limited Booze Boys auf Tour 2012: (v.l.n.r.) Mirko Kopper, Tom Kroneberger, Henning Maydt, Maik Bügel. (Foto: Facebook)

Ein weiterer Budapest-Mitfahrer aus den Reihen der Stadtrodaer Hatebrothers 1998 war Maik Bügel. Bügel gehörte zur Skinheadszene Ostthüringens und pflegte enge Kontakte zu Blood&Honour Gera. Letztere sammelten nach dem Untertauchen des späteren NSU-Kerntrios bei Konzerten Spendengelder für die Untergetauchten. Bügel war auch beim Jubiläumstreffen von Blood&Honour Thüringen in Gera 2001 dabei, das aufgrund des im Vorjahr ergangenen Verbots nur inoffiziell und im engsten Kreise gefeiert werden konnte. Maik Bügel ist seit den Neunzigern bis heute in Stadtroda als fanatischer Neonazi und brutaler Schläger bekannt. Während er früher mit den Hatebrothers Übergriffe auf politische Gegner*innen sowie Unbeteiligte beging, ist er in der jüngeren Vergangenheit vor allem als aggressiver Kneipenbesucher bekannt. Bügel zählt jedoch nach wie vor zum engsten Umfeld der Limited Booze Boys. Er fuhr 2012 mit der Band ins Ausland (s. Bild) und trägt wie alle Bandmitglieder den Bandnamen in Frakturschrift auf den Bauch tätowiert. So verwundert es auch nicht, dass noch vor wenigen Jahren Maik Bügels Wohnanschrift identisch mit dem Impressum der Band in Stadtroda war: Beckerleede 25, 07646 Stadtroda.

Ronny Linke 2016 in Kutte der Limited Booze Boys. (Foto: Facebook)

Mit Ronny Linke aus Weimar zählt die Band noch einen Kader aus dem Umfeld des NSU zu ihren engen Begleitern. Linke war schon 1996 mit Beate Zschäpe und der Kameradschaft Jena bei der später zur traurigen Berühmtheit gelangten Kreuzverbrennung dabei. Wenig später stieß er zur neu gegründeten Thüringer Blood&Honour-Sektion hinzu. Nachdem Blood&Honour 2000 verboten wurde, führte Linke im Untergrund die mitteldeutsche Sektion weiter bis Mitte der 2000er. Linke baute Ende der 2000er Kontakte zum Umfeld der Hell’s Angels auf, blieb aber gleichzeitig bis heute Blood&Honour treu. 19 Jahre nach dem Verbot begleitete er 2019 die Rechtsrockband Sleipnir zu einem Auftritt in Italien, bei dem Linke in einem Shirt der deutschen Blood&Honour-Division auftrat.

Die Limited Booze Boys haben einige enge Unterstützer, die zusammen mit den Bandmitgliedern selbst in schwarzen Lederkutten der Band auftreten. Ronny Linke ist ein Weimarer Vertreter dieser rockerähnlichen Gruppe. Da die Band 2016 mit Linke am Strand für ein Foto posierte, kann davon ausgegangen werden, dass er weit mehr als ein unbekannter Fan ist. Darauf weisen auch weitere gemeinsame Urlaubsfahrten von Linke und Kroneberger hin.

Ronny Linke (1.v.l.), Mirko Kopper (2.v.l.) und Tom Kroneberger (1.v.r.) 2016 am Meer. (Foto: Facebook)

Auf die alten Zeiten

Die Limited Booze Boys 2018 zu Gast bei Muddox Tattoo in Jena. (Foto: Facebook)

Mario Beythien veröffentlichte 2018 auf der Facebook-Seite von Muddox-Tattoo ein Foto, das die Limited Booze Boys beim Pommes essen in seinem Studio in der Krautgasse zeigt. Beythien hatte auch Bandleader Tom Kroneberger unterstützt, als der sein Tattoostudio unter dem Bandnamen in Stadtroda eröffnete. 2018 waren es 20 Jahre, seitdem Beythien mit dem Bandgitarristen Mirko Kopper und den Hatebrothers in Budapest aufmarschierte. Die Verbindungen blieben all die Jahre stabil. Beythien gründete 1999 die Hatebrothers-Marke in Jena, während die Stadtrodaer die Limited Booze Boys starteten. Heute haben sie in Jena und Stadtroda eigene Tattoostudios und die Band hat einen mittleren Bekanntheitsgrad erreicht. Ihren eigenen Proberaum haben die Limited Booze Boys in Mörsdorf. Das Muddox-Tattoostudio von Beythien liegt direkt neben dem Uni-Campus in der Jenaer Innenstadt. Der Einzige, der aus diesem Kreise eine wirkliche Konsequenz erfahren hat, ist Henning Haydt, der seinen Kameraden zuliebe die Band verließ. Alle anderen können auch 23 Jahre nach ihrem Auftritt in Budapest und dem Untertauchen des NSU-Trios so weitermachen wie bisher. Mario Beythien erhielt vor sechs Wochen Gelegenheit, Stellung zu diesen Recherchen zu nehmen. Er ließ jedoch eine detaillierte Anfrage unbeantwortet. Ob in Mörsdorf, Stadtroda oder Jena – die alten Seilschaften der Hatebrothers 88 leben fort und es ist an einer kritischen Öffentlichkeit, Konsequenzen daraus zu ziehen.