Kameradschaft im Geiste: Walter Lübckes Mörder bei Höcke in Thüringen

Björn Höcke während einer Rede mit Stefan Ernst im Publikum

Björn Höcke und Stephan Ernst in Erfurt am 1. Mai 2017 (Foto: Imago Images, Bearbeitung: Rechercheportal Jena-SHK)

Als der hessische Neonazi Stephan Ernst am 1. Juni 2019 den CDU-Politiker Walter Lübcke erschoss, war die Thüringer AfD gerade im Wahlkampfmodus. Mit dem Rückenwind einer jahrelangen Eskalation rassistischer Proteste war das Hauptthema für Spitzenkandidat Höcke bereits gesetzt: Hass auf Geflüchtete und Muslim*innen. Analog zur Formierung der AfD als völkisches Sprachrohr der RassistInnen hatte auch Stephan Ernst wieder zu seiner Militanz von früher zurückgefunden. Seit 2016 pilgerte er Björn Höcke hinterher, bewaffnete sich und begann Schießtrainings. Nach mindestens drei Besuchen von Höcke-Auftritten in Eisenach und Erfurt war nach Ernsts Angaben für den Entschluss zum Mord an Walter Lübcke der Neonazi-Großaufmarsch am 1. September 2018 in Chemnitz ausschlaggebend. Angeführt wurde dieser als „Trauermarsch“ getarnte, demonstrative Schulterschluss von AfD, Pegida und militanten Neonazis von Björn Höcke. Angesichts weitreichender Zusammenarbeit mit Höckes AfD auf Kreis- und Landesebene und der Verharmlosungstaktik der Thüringer CDU-Spitze muss erneut an die blutigen Konsequenzen dieses rechten Aufschwungs erinnert werden: Björn Höcke und die AfD sind der parlamentarische Arm des rechten Terrors.

1. Mai 2017 Erfurt

Björn Höcke während einer Rede mit Stephan Ernst im Publikum

Björn Höcke und Stephan Ernst (rechter Bildrand oben m. Sonnenbrille) in Erfurt am 1. Mai 2017 (Foto: Imago Images)

Der Nordthüringer AfD-Bundestagskandidat Jürgen Pohl begann pünktlich zum Wahlkampf 2017 eine neue Kampagne: Er gründete eine blaue Scheingewerkschaft namens „ALARM – Alternativer Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland“. Pohl war damals wohlgemerkt selbständiger Rechtsanwalt, also Arbeitgeber. Entsprechend wurde ALARM auch nie eine Gewerkschaft, sondern mit „Sozial ohne rot zu werden“ nur eine vorübergehende PR-Aktion für soziale Medien und eine Handvoll Kundgebungen. Das Ziel war schlicht, unter neuen Vorzeichen Rassismus zu verbreiten und gegen die AfD-kritischen DGB-Gewerkschaften zu hetzen. Die Interessen von Arbeitnehmer*innen waren Pohl und Höcke gleichgültig. Konsequent war daher auch das Fronttransparent gewählt, das mit dem Konterfei Höckes für den „Heimatschutz“ warb, anstatt Gewerkschaftsthemen zu setzen.

Stefan Möller, Stephan Brandner, Andreas Kalbitz, Wiebke Muhsal, Birgit Bessin, Björn Höcke und Oliver Kirchner tragen ein schwarzes Transparent auf dem der Text steht: "'Heimat ist ein kostbares Gut, das geschützt werden muss.' Björn Höcke". Daneben ist ein Porträtfoto von Höcke abgebildet.

v. l. nach r.: Stefan Möller (ganz links vorne), Jörg Henke (zweite Reihe mit Brille), Stephan Brandner (Sonnbrille und rosa Hemd), Andreas Kalbitz (Glatze), Wiebke Muhsal (blonde Haare), Birgit Bessin (schwarze Haare), Björn Höcke und Oliver Kirchner (Glatze) am 1.5.2017 in Erfurt (Foto: Imago Images)

Das sprach zum 1. Mai in Erfurt das übliche Klientel rechter Wutbürger*innen an. Im Aufmarsch lief außerdem die Thüringer Landesgruppe der „Identitären Bewegung“ (IB Thüringen) mit. Diese bestand zu dem Zeitpunkt aus den Eisenachern Konrad Kohlhas und Alexander Vetter, dem Ronneburger JN-Kader Kevin Schulhauser, dem Neonazi Lars Seyfarth aus dem Kahlaer Umland und zwei Neonazis aus Jena und Dreitzsch (Saale-Orla-Kreis), Christian Heilmann und Martin Schieck. Letztere beide waren außerdem Mitglieder der Neonazi-Burschenschaft „Normannia zu Jena“, die aus dem Thüringer Heimatschutz heraus gegründet wurde. Auch Alexander Vetter trat nach dem Zerfall der IB Thüringen der Normannia bei. Unmittelbar neben dieser Gruppe fanden sich weitere Fans von Höckes konsequentem NS-Kurs ein, die extra aus dem Kasseler Umland angereist waren: Markus Hartmann und Stephan Ernst, letzterer zusammen mit seinem jugendlichen Sohn. Hartmann und Ernst waren zu jenem Zeitpunkt bereits mit Schießtrainings und dem Bemühen um eine legale Bewaffnung beschäftigt.

Links: Markus Hartmann (1.v.r.), Christian Heilmann (2.v.l.) und Konrad Kohlhas (braune Jacke) am 1. Mai 2017 in Erfurt; Rechts: Stephan Ernst (Sonnebrille) neben seinem Sohn und Markus Hartmann (Bilder: Facebook)

An jenem 1. Mai stand Stephan Ernst noch zufällig neben den Thüringer Aktivisten der Identitären, die genau wie er allesamt aus der klassischen Naziszene kamen. Der damals noch als Identitärer mitlaufende Martin Schieck begann wenig später als Fotograf und Filmer für Björn Höcke zu arbeiten. Ein halbes Jahr später, am 12.12., spendete Stephan Ernst der „Identitären Bewegung“ 100€. Am 29.3. 2018 spendete er dieselbe Summe erneut. Höcke enttäuschte die militanten Neonazis an diesem Tag nicht. Zur Eröffnung seiner Rede durften sie sich persönlich angesprochen fühlen:

„Ich weiß, dass heute Patrioten aus Hessen, aus Nordrhein-Westfalen da sind.“

In seiner weiteren Rede zeichnete Höcke ein deutlich antisemitisch konnotiertes Feindbild einer Weltverschwörung, die sich die Vernichtung Deutschlands zum Ziel gesetzt hätte:

„Beide, Schulz und Merkel, gehören zu einer transatlantischen, geschlossenen Politikelite, die unseren Rechtsstaat, unseren Sozialstaat und unsere nationale Identität auflösen will und die uns damit um unseren Gesellschaftsfrieden bringen wird. (…) Die Kartellparteien rütteln an den Grundfesten unseres Staates. (…) Ein deutscher Facharbeiter, der lebt die viel geschmähten preußischen Tugenden. (…) Danke, dass ihr unser Deutschland noch nicht aufgegeben habt. (…) Euch Arbeitern stehen die Vollstrecker der One-World-Ideologie gegenüber. (…) Hier wird das Wir dem Ich übergeordnet!“

Der Führer als Pappschild: Stephan Ernst (l.) neben Markus Hartmann (2.v.l.), Christian Heilmann (mittig in schwarz, halb verdeckt) seinem Sohn und Höckes heutigem Fotografen Martin Schieck (r.) am 1. Mai 2017 in Erfurt (Bild: Facebook)

28. Januar 2018 Erfurt

Björn Höcke am 28.1.2018 in Erfurt (Bild: Youtube)

Für den 28.1.2018 mobilisierte die AfD zur Kundgebung auf den Erfurter Domplatz. Das Motto: „Gegen massenhaften Clan-Nachzug, für ein sicheres und soziales Deutschland! Unseren Sozialstaat verteidigen!“ Spitzenredner Björn Höcke ging es in seiner Rede wie immer kaum um Soziales, als viel mehr um zugespitzte rassistische Hetze und Weltuntergangsmythen:

„Wir wollen eine Einwanderung von minus einer Million in den nächsten vier Jahren! (…) Und vor diesem Hintergrund hat Viktor Orban ganz richtig analyisert: Was wir hier gerade erleben, ist eine Völkerwanderung historischen Ausmaßes. Und wenn wir das so weitergehen lassen, werden zukünftige Völker durch unsere verwaisten und verödeten Schwimmhallen, durch unsere verwaisten und verödeten Parlamente, Museen und Konzertsäle und Schulen streifen, und sie werden sich fragen und darüber staunen, wie eine so geistreiche und so wohlhabende Gesellschaft sich einfach daraus hinwegfegen hat lassen. (…) Wir müssen Europa als Festung denken und zwar als belagerte Festung. Und ich bin bereit, das zu tun. (…) Das war ein Aufruf zum islamischen Geburtendschihad in Europa.“

Die Botschaft war klar: Schon lange vor der erfolgreichen Setzung des Begriffs „Remigration“ versprach Höcke die Deportation von einer Million Menschen. Diese Menschen erklärte er in alter Nazi-Manier zu einer existentiellen Bedrohung für das „deutsche Volk“ und markierte mit dem Verweis auf „Dschihad“ Muslim*innen als Hauptfeinde. Im Publikum stand auch an diesem Tag wieder das passende Publikum für diese Hetze: Thüringer Identitäre hielten ein Banner von „Ein Prozent“ und ein weiteres für den „Erhalt der Heimat“. Die bundesweit in NPD- und Reichsbürger-Netzwerken aktiven Shoa-Leugner Ralf Gabel aus Saalfeld-Kamsdorf, Christian Bärthel aus Ronneburg und Rolf Dietrich aus Braunsbedra sind angereist. Der Thügida-Mitorganisator Mike Schade war da und aus Weimar war der Neonazi-Schläger Thomas Holzinger auf dem Domplatz. Aus Eisenach waren Leon Ringl und Kevin Noeske vor Ort, die ein Jahr später die Terrorgruppe „Knockout 51“ gründen. Und mittendrin standen auch dieses Mal Stephan Ernst und Markus Hartmann.

Rot eingekreist: Markus Hartmann und Stephan Ernst auf dem Erfurter Domplatz am 28.1.2018 (Foto: Lionel C Bendtner)

1. Mai 2018 Eisenach

Björn Höcke und Stephan Ernst am 1.5.2018 in Eisenach (Fotos: Mark Mühlbach)

Als Höcke am 1. Mai erneut als vermeintlicher Arbeiter*innenfreund nach Eisenach kam, war seine große Blamage vor dem dortigen Opel-Werk erst eine Woche her. Am 25.4. war Höckes Auftritt als blau-brauner Trittbrettfahrer bei den protestierenden Opel-Beschäftigten in ikonischen Bildern gemündet, wie er von IG-Metaller*innen davongejagt wird. Die AfD-Kundgebung am 1. Mai 2018 in Eisenach sprach vorgeblich erneut Opel-Arbeiter*innen an. Von denen stand jedoch keine*r auf der Bühne. Stattdessen redete Björn Höcke, Arbeitgeber verschiedener AfD-MitarbeiterInnen. Nach ihm sprach Jürgen Pohl, der mittlerweile Bundestagsabgeordneter und mithin auch Arbeitgeber war. Den einzigen Arbeiter auf der Bühne, Horst Schmitt, musste die AfD aus einer ihrer Tarn-Betriebsratslisten vom Opelwerk in Rüsselsheim herbeischaffen. Entsprechend bediente Höcke in seiner Rede primär die üblichen Feindbilder der FaschistInnen, anstatt sich mit den Interessen von Arbeiter*innen zu beschäftigen:

„Die Altgewerkschaften, die alle mit den Altparteien in einem Boot sitzen (…) Ausländische Kinder, die auch noch im Ausland wohnen (…) unsere Sozialversichungssysteme werden geplündert (…) Diese Politik ist asozial uns Deutschen gegenüber (…) Die Altparteien träumen den Traum von der Abschaffung Deutschland, auch die mit ihnen verbündeten Altgewerkschaften.“

Von Höckes vollmundiger Ankündigung „Wir werden das Thema soziale Gerechtigkeit als AfD in Thüringen zur Chefsache erklären“ war schon sehr bald nichts mehr zu hören. Vielmehr vertritt die AfD seit jeher die mit Abstand gewerkschafts- und arbeiter*innenfeindlichsten Positionen innerhalb der Parteienlandschaft. Markus Hartmann und Stephan Ernst trafen sich 2015 am Arbeitsplatz bei Bahntechnik Hübner in Kassel wieder, wo Ernst als Leiharbeiter eingesetzt wurde. Auch danach arbeitete Ernst als Angestellter in Bereichen, in denen AfD-Vorstellungen nach die prekären Verhältnisse nur noch verschärft werden sollten. Entgegen ihrer eigenen offenkundigen Klasseninteressen als Arbeiter beklatschten die Neonazis Stephan Ernst und Markus Hartmann am 1. Mai 2018 in Eisenach erneut Björn Höcke.

Stephan Ernst (3.v.l)und Markus Hartmann (4.v.l)am 1.5.2018 auf der AfD-Kundgebung in Eisenach (Foto: Mark Mühlbach)

1. September 2018 Chemnitz

Siegfried Däbritz (2.v.r. mit Bart), Frank Haußner(3.v.r.), Björn Höcke, Jörg Urban (Brille), Andreas Kalbitz (Glatze) am 1.8.2018 in Chemnitz (Foto: Recherchenetzwerk Berlin)

Nachdem am Rande des Chemnitzer Stadtfests Ende August 2018 ein junger Mann mit deutschem Pass in einer Auseinandersetzung mit mehreren Männern ohne deutschen Pass mit einem Messer tödlich verletzt wurde, mobilisierte die Chemnitzer Neonazi-Hooligan-Szene am Folgetag zu einer Demo durch die Stadt. Diese wurde durch pogromartige Angriffe auf rassifizierte Menschen und Sprechchöre wie „Wir sind die Fans – Adolf Hitler Hooligans“ geprägt. Zum 1. September riefen dann weite Teile der AfD gemeinsam mit Pegida und der Chemnitzer Neonazi-Wahlliste „Pro Chemnitz“ zu einem vorgeblichen „Trauermarsch“ auf. Zu diesem erschienen Tausende Rechte, darunter Hunderte militante Neonazis, die sich auf Angriffe auf Polizei und Gegendemonstrierende vorbereitet hatten. Der Demozug wurde von Björn Höcke und weiteren AfD-FunktionärInnen angeführt. Repräsentativ für das Hemd und Scheitel tragende Bindeglied zwischen militanter und parlamentarischer Rechter lief auch der Schnellrodaer Netzwerker Götz Kubitschek mit seiner Familie in Chemnitz mit.

Götz und Wieland Kubitschek (2.v.r.) in Chemnitz am 1.9.2018 (Foto: Exif Recherche)

Die Köpfe der ostdeutschen AfD-Landesverbände trugen große Porträtbilder von Todesopfern von Gewaltverbrechen, für die angeblich Täter*innen ohne deutschen Pass verantwortlich wären. Angehörige der dort Abgebildeten zeigten sich später schwer getroffen von dieser faschistischen Instrumentalisierung, der seitens der AfD keinerlei Kontaktaufnahme oder Einholung von Einverständnissen vorausgingen. In der Menge befand sich auch eine Abordnung der AfD aus Kassel und Umland, mit der Stephan Ernst und Markus Hartmann angereist waren.

Stephan Ernst und Markus Hartmann (oben mittig) in Chemnitz am 1.9.2018; oben 1.v.l. Franz Dusatko (Junge Alternative Brandenburg) (Foto: Paul Hanewacker)

Nach Auflösung der rechten Versammlung machten Neonazis an verschiedenen Orten Jagd auf Gegendemonstrierende und rassifizierte Menschen, wobei es zu schweren Verletzungen kam. In den Folgetagen wurden Imbisse von Menschen mit Einwanderungsgeschichte demoliert und ein jüdisches Restaurant mit Steinen angegriffen, wobei auch der Betreiber selber mit Steinen beworfen wurde. Es gründete sich außerdem die Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“, die innerhalb weniger Wochen vom Straßenkrawall zum Plan bewaffneter Anschläge voranschritt.

Höckes Speerspitzen in Chemnitz am 1.9.2018; 1.v.r. der verhinderte Rechtsterrorist Andreas Groh („Weiße Wölfe Terrorcrew“) aus Franken (Bild: ARD)

Björn Höcke dankte am Folgetag der brutalen Hetzjagden explizit „allen Landsleuten“, die sich beteiligt hatten. In bestem Wissen um die Tatsache, dass in Chemnitz zu diesem Zeitpunkt seit Tagen eine Art Selbstjustiz in Form von pogromartigen Hetzjagden und Übergriffen auf rassifizierte Menschen, deren Läden und auf Antifaschist*innnen vollzogen wurde, bekräftigte Höcke die militante Naziszene.

Björn Höckes Lobeslied auf die Neonazi-Ausschreitungen in Chemnitz vom 1.9.2018 (Quelle: Facebook)

Eine Woche nach dem Aufmarsch in Chemnitz schrieb Stephan Ernst in einem Youtube-Kommentar: „Entweder diese Regierung dankt in kürze ab oder es wird Tote geben…“ (Fehler im Original). Im späteren Prozess sagte Ernst mehrfach aus, dass er den Entschluss zum Mord an Walter Lübcke nach Chemnitz getroffen habe.

Naziaufmarsch Dresden: Ernst, Höcke Kubitschek

Stephan Ernst und Markus Hartmann beteiligten sich wiederholt am jährlichen Naziaufmarsch in Dresden, zu dem im Februar immer wieder Hunderte bis Tausende Neonazis nach Dresden kommen. 2009 lief Markus Hartmann hinter dem Banner des „Freien Widerstand Kassel“ zu dessen Anführer er sich zeitweise erklärte. Stephan Ernst lief etwas dahinter und versuchte, sein Gesicht vor Kameras zu verbergen.

Stephan Ernst (1.v.r.) im Naziaufmarsch in Dresden am 14.2.2009 (Foto: Infothek Dessau)

Auch im Folgejahr 2010 waren beide laut Informationen von Polizei und Verfassungsschutz an dem Großaufmarsch beteiligt. Als dieser vor dem Bahnhof Dresden-Neustadt aufgrund massiver antifaschistischer Blockaden und Gegenaktionen lange Zeit nicht loslaufen durfte, fingen TV-Kameras eine grölenden Faschisten ein, der erst später Bekanntheit erlangen sollte: Björn Höcke. Höcke versuchte diese Episode später als Irrweg herunterzuspielen, was in offensichtlichem Widerspruch zu seinen heutigen Netzwerken und seinem Geschichtsrevisionismus steht, der auch heute nicht von jenem der neonazistischen Dresden-OrganisatorInnen vom 13.2.2010 zu unterscheiden ist.

markiert: Björn Höcke im Naziaufmarsch in Dresden am 13.2.2010

Auch Höckes ideologischer Sparringpartner, der Kleinverleger und neofaschistische Netzwerker Götz Kubitschek lief im Aufmarsch der militanten Naziszene in jenem Jahr mit. Kubitschek bekannte sich in klassischer Manier der bedingungslosen Rückendeckung für Höcke offen zu seiner Teilnahme, nachdem die Filmaufnahmen von Höcke veröffentlicht wurden.

Götz Kubitschek im Naziaufmarsch in Dresden am 13.2.2010

Somit kam im Februar 2010 schon früh zusammen, was erst später zu konkreten Verbindungen wurde: Stephan Ernst, Björn Höcke und Götz Kubitschek. Sie alle vereinte damals wie heute ein neofaschistisches Geschichts- und Weltbild, demzufolge das nationalsozialistische Deutsche Reich ein Opfer alliierter Weltmächte war. Die Gegenstrategie gegen diese vermeintlich bis heute andauernde Besatzung und Fremdbestimmung ist eine Einheit rechter Parteien mit militanten Straßenbewegungen. Stephan Ernst, der schon früh für rassistische Mordanschläge im Gefängnis saß, fühlte sich ab 2015 zu Recht von Höckes Reden angesprochen. Kubitschek propagierte derweil diese Strategie im „Flügel“ der AfD und vernetzte diesen mit außerparlamentarischen faschistischen Bewegungen. Stephan Ernst überwies 2016-2017 mehrfach Geld an Kubitscheks Antaios-Verlag. Das Dogma von Höcke und Kubitschek blieb konstant: „Wir distanzieren uns von niemanden.“ So steht der 1.9.2018 in Chemnitz, an dem neben Ernst und Höcke auch Götz Kubitschek teilnahm, als symbolhafte Momentaufnahme acht Jahre nach dem gemeinsamen Naziaufmarsch in Dresden; eine Momentaufnahme in der fortschreitenden Entwicklung, die rechte Netzwerke, die AfD und rechter Terror seitdem vor allem in Ostdeutschland genommen haben. Stephan Ernst übernahm mit seinem Mord an Walter Lübcke, der von der gesamten Rechten zum Feind erklärt worden war, seinen Part im von Höcke und Kubitschek propagierten Kampf gegen den Untergang.

Von Sarrazin bis Höcke – Wer von Untergang schwadroniert, befeuert rechten Terror

Nun sollten wir der restlichen Parteienlandschaft nicht den Gefallen tun, sie von der Kritik an rassistischer Hetze auszunehmen. Die Pogrome von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und anderswo basierten auf einem gesamtgesellschaftlich mitgetragenen Rassismus. SPD und CDU entschieden sich Ende 1992 dafür, die von der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ beklatschten massenhaften Mordanschläge auf Geflüchtete und ehemalige DDR-Vertragsarbeiter*innen zu adeln, indem das Grundrecht auf Asyl abgeschafft wurde. Es war diese Erfahrung einer politischen Belohnung für rassistische Gewalt, welche die Grundlage für die später als „Baseballschlägerjahre“ betitelte Eskalation rechter Gewalt bildete und maßgeblich zur Entstehung des „Thüringer Heimatschutz“ und des NSU beitrug.

Wir haben auch nicht vergessen, dass es mit Thilo Sarrazin ein Sozialdemokrat vollbrachte, in den 2010er Jahren im bürgerlichen Spektrum biologistisch-rassistische Thesen zu setzen, die einen Diskursraum eröffneten, den erst später Pegida und AfD als politische Bewegungen besetzen sollten. Sarrazins verschwörungsideologisch anmutendes Gerede von einer „Abschaffung Deutschlands“ war nicht anderes als die Rede vom „Volkstod“, die erst von Neonazi-Kameradschaften propagiert und dann von Höcke & Co übernommen wurde. Wer mit der Diskursmacht eines ehemaligen Berliner Finanzsenators und SPD-Politikers Muslim*innen biologistisch abwertet und zum Todfeind eines „deutschen Volkes“ erklärt, der ermutigt rechte TerroristInnen und MörderInnen zu neuen Taten.

Mit einem Blick auf den aktuellen Landtagswahlkampf in Thüringen müssen wir resümieren: Geflüchtete und rassifizierte Menschen werden erneut zum Hauptobjekt der Wahlpropaganda gemacht. CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt aus dem Saale-Holzland-Kreis hat den Überbietungswettkampf in rassistischer Schikane gegen Geflüchtete zum Hauptgegenstand seiner Abgrenzung von der AfD gemacht. „Wir sind die besseren Rassisten – die AfD redet nur“ wäre ein ehrlicherer Wahlslogan für Voigts Mantra, CDU-Landräte würden erfolgreicher Geflüchtete schikanieren und abschieben als der Sonneberger AfD-Landrat Robert Sesselmann. In einer MDR-Debatte wurde dieses Thema von der Moderation zum zentralen Einstieg gesetzt. Auch der noch-Ministerpräsident Bodo Ramelow (DIE LINKE) war sich nicht zu schade, über einen einzelnen Menschen aus Apolda zu lamentieren, den man trotz wiederholter Straftaten aufgrund rechtlicher Hürden noch nicht hätte abschieben können („Der müsste längst im Flieger sitzen“).

Natürlich gibt es qualitative Unterschiede zwischen der AfD und den restlichen Parteien, die nicht verwischt werden sollten. Immerhin war Birgit Malsack-Winkemann, die sich persönlich einem Putschisten-Netzwerk mit Mordplänen anschloss, AfD-Bundestagsabgeordnete. Der Onlineversand der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) bietet Bücher von Dominique Venner zum Verkauf an, der einer der zentralen Vordenker einer zu Militanz und Umsturz entschlossenen Strategie der Neuen Rechten ist. Die AfD und insbesondere ihre Jugendorganisation JA arbeitet flächendeckend mit der Identitären Bewegung zusammen, die nicht nur der Lübcke-Mörder mit einer Geldspende zu seiner ideologischen Vertretung erklärte, sondern auch der neonazistische Massenmörder von Christchurch.

Angesichts der ideologischen Überschneidungen, der Eintracht in der Hetze gegen Geflüchtete und der vielfältigen personellen Verbindungen etwa zwischen der CDU und diesen Netzwerken, wie sie nicht zuletzt beim Treffen in Potsdam zu Tage traten, bleibt zu resümieren: Die AfD und speziell Björn Höcke sind Stichwortgeber, Gallionsfiguren und Wegbereiter rechten Terrors und bilden auch personell teilweise dasselbe Milieu mit bewaffneten Gruppen. Die CDU ist jedoch relativ gleichgültig gegenüber der Tatsache, dass die rechte Hetze, die sie selber befeuert, mit Walter Lübcke bereits einen CDU-Politiker das Leben gekostet hat.