Das braune Haus von Uhlstädt: Normannia-Nazis übernehmen Gasthof „Zum Goldenen Roß“

Foto des Gasthaus "Goldenes Roß" in Uhlstädt. Es ist ein größeres gelbes Haus mit Terrase und Parkplatz an einer Straße zu sehen.

Der neueste Stützpunkt der alten Garde Jenaer Neonazis: Das „Goldene Roß“ in Uhlstädt

Längere Zeit war es auffällig ruhig um die Kahlaer Neonazis aus der Burg 19. Sowohl die dort ansässige Burschenschaft „Normannia zu Jena“ als auch deren kurzzeitiges Querfrontprojekt „Aufbruch und Erneuerung“ waren nach politischen Misserfolgen und antifaschistischen Recherchen kaum noch zu sehen. Doch die betreffenden Nazis, die sich überwiegend seit den Zeiten des „Thüringer Heimatschutz“ Ende der 1990er kennen, haben ohne Aufsehen ihr neuestes Projekt in trockene Tücher gebracht: Sie übernahmen Ende 2020 die Pension im Gasthof „Zum Goldenen Roß“ in Uhlstädt-Kirchhasel. Formell geführt wird der Veranstaltungsraum mit den dazugehörigen sechs Gästezimmern von Nico Schneider, den wir an anderer Stelle als „politischen Ziehsohn“ von NSU-Helfer Ralf Wohlleben bezeichnet hatten. Ein Blick in Firmengründungen im Zusammenhang mit dem Betrieb des Gasthofes offenbart, dass auch Ralph Oertel und Rick Wedow, beide jahrzehntelange Wegbegleiter Ralf Wohllebens und Gründungsmitglieder der „Normannia“, an dem Uhlstädter Projekt beteiligt sind. Der Gasthof wird somit den weit verzweigten Neonazi-Netzwerken sowohl Raum für Veranstaltungen bieten, als auch Gelder in deren Kassen spülen.

Braunes Haus Jena – Burg 19 Kahla – Goldenes Roß Uhlstädt

Bild der "Burg 19" in Kahla. Zu sehen ist ein größeres Eckhaus mit kaputter Fasade.

Die Burg 19 in Kahla (Bild: ZDF)

Im Impressum des „Goldenen Roß“ steht aktuell der Kahlaer Neonazi Nico Schneider. Schneider ist keineswegs gelernter Gastronom. Der 37-Jährige absolvierte eine Ausbildung beim Eigenbetrieb ASI der Jenaer Stadtwerke, wo er bis 2018 als Ausbildungsleiter arbeitete. Danach war er als freiberuflicher IT-Dienstleister tätig. Schneider wohnt in Geunitz bei Kahla, wo er im Vorstand des Kindergarten-Fördervereins Zwergenfreunde e.V. sitzt. Sein Einstieg in den Betrieb des Uhlstädter Gasthofes ist daher kaum mit gastronomischer Geschicklichkeit zu erklären. Vielmehr ist das der nunmehr dritte Versuch des langjährigen Neonazis, eine Neonazi-Immobilie mit aufzubauen. Schneiders Politisierung fand in den 2000er Jahren im Jenaer „Braunen Haus“ in Alt-Lobeda statt. Hier organisierte sich Schneider mit dem „Nationalen Widerstand Jena“, der später als „Freies Netz (FN) Jena“ auftrat, und in der NPD. Bei all diesen Aktivitäten wurde Schneider vom NSU-Helfer Ralf Wohlleben angeleitet.

Foto einer Veranstaltung auf dem Ralf Wohlleben, Frank Schwerdt, Nico Schneider und Patrick Wieschke hinter einem Bauzaun zu sehen sind.

Nico Schneider ( 2.v.r.) auf dem „Rock für Deutschland“ am 18.7.2008 in Gera neben NSU-Helfer Ralf Wohlleben (1.v.l.), Frank Schwerdt und Patrick Wieschke (1.v.r.) (Foto: Antifa Recherche Gera)

Gleichzeitig wurde Schneider Mitglied in der Burschenschaft „Normannia“, die sich aus ehemaligen Mitgliedern des „Thüringer Heimatschutz“ rekrutiert hatte und folgerichtig offiziell in der Neonazi-Immobilie ansässig war. Nach der baurechtlichen Schließung des „Braunen Hauses“ erwarb der Jenaer Neonazi und „Normannia“-Burschenschafter Rick Wedow die Burg 19 in Kahla zusammen mit einem ehemaligen Jenaer Kameraden der Truppe, Martin Schild aus der Region Heilbronn. Schild lebte um die Jahrtausendwende in Jena, war in der „Normannia“ aktiv und zählte zum Umfeld der „Kameradschaft Jena“. Als die Kameradschaft am 14.7.2001 einen antisemitischen Aufmarsch „Pro Palästina“ in Jena organisierte, marschierte auch Schild mit und war in Gesprächen mit André Kapke zu sehen, der wenige Jahre zuvor noch erfolgreich dem NSU-Kerntrio auf dem Weg in den Untergrund geholfen hatte.

Zusammenstellung von zwei Fotos des Aufmarschs am 14.7.2001. Auf dem linken Bild ist Martin Schild mit zwei anderen Teilnehmern im Gespräch zu sehen. Auf dem rechten Bild sieht man ihn während des Aufmarschs im Gespräch mit André Kapke.

Links: Martin Schild im Aufmarsch der Kameradschaft Jena am 14.7.2001 und (rechtes Bild) im Gespräch mit NSU-Helfer André Kapke (Foto: Jenaer Antifaschist*innen)

Mit dem Kauf der Burg 19 in der Kleinstadt Kahla im Jahr 2011 verbanden die Neonazis auch die Hoffnung, abseits Jenaer antifaschistischer und bürgerlicher Widerstände politisch Raum zu ergreifen. Dieser konnte jedoch keinesfalls realisiert werden. Vielmehr war in der Öffentlichkeit schnell bekannt, um wen es sich bei den neuen Bewohnern des Eckhauses in der Altstadt handelte. Bald folgten Hausdurchsuchungen wegen illegalen Waffenbesitzes. Über die Jahre war die Burg 19 in erster Linie privater Treffpunkt Kahlaer Neonazis und gelegentlich Veranstaltungsraum für Vorträge, in denen die NS-Zeit und die Kriegsverbrecher von Wehrmacht und Waffen-SS verherrlicht wurden. In der jüngeren Vergangenheit gab es wenig öffentliche Aktivitäten rund um die Burg 19. Ein erneutes Schlaglicht auf die alten Netzwerke und die Bedeutung der „Normannia“-Neonazis für das NSU-Umfeld warf jedoch der Abend des 3.3.2023, als die Polizei ein Solidaritätskonzert für Ralf Wohlleben in Kahla verhinderte. Die 29 angereisten Neonazis, die bis aus Gotha kamen, wurden auf dem Marktplatz kontrolliert und mit Platzverweisen weggeschickt, was auf keinen anderen Veranstaltungsort als die 50m entfernt gelegene Burg 19 schließen ließ.

links: Screenshot einer Telegram-Veranstaltungeinladung unter dem Titel "Solidarität mit Ralf!" und der Ankündigung eines "Soliabend mit musikalischer Begleitung, Versteigerung und geselliges Beisammen sein". Freitag 3 März ab 19 Uhr Kahla. Hinweis, dass die Einladung nicht in "öffentlich zugänglichen Medien" geteilt werden solle. Rechts: Bild eines Polizeieinsatzes auf dem Kahlaer Markt

Ankündigung des Solidaritätskonzerts am 3.3.2023 und Foto vom Polizeieinsatz auf dem Kahlaer Markt (Bilder: Twitter Katharina König-Preuss)

Traditionsgasthof „Zum Goldenen Roß“

Die frühere Betreiberin Gudrun L. hatte 1986 in der damaligen DDR-Konsum-Gaststätte angefangen, bevor sie 1991 selbst zur Gastwirtin wurde. Sie betrieb den Gasthof bis 2020, als sie aus Altersgründen entschloss, ihn abzugeben. Sie verkaufte laut einer Facebook-Ankündigung das gesamte Gebäude im November 2020, betrieb aber Restaurant und Terrasse weiter. Immobilienanzeigen von 2018 zufolge stand das 1905 erbaute Gebäude mit seinen 250m² Wohnfläche, 320m² Gewerbefläche und 770m² Grundstück für 110.000€ zum Verkauf. Der Gasthof ist unmittelbar an der Bundesstraße 88 zwischen Jena und Saalfeld gelegen und gleichzeitig auch ein beliebter Stopp für Fahrradreisende auf dem Saale-Radweg.

Firmengründungen von Leisea GmbH und Selaga GmbH verschleierten Übernahme durch alte Nazistrukturen

Zusammenstellung von Portraitaufnahmen von Nico Schneider, Ralph Oertel, Rick Wedow und Martin Schild

Die vier Neonazis hinter der Übernahme des „Goldenen Roß“ (v.l.n.r.): Nico Schneider, Ralph Oertel, Rick Wedow und Martin Schild

Eine Firma, die am 13.9.2021 ins Jenaer Handelsregister eingetragen wurde, weist darauf hin, dass die Übernahme des „Goldenen Roß“ eine Fortsetzung dieser Raumergreifung durch alte Jenaer Nazi-Netzwerke ist: Die Leisea GmbH wurde von der Jenaerin Ramona Wagner und besagtem Martin Schild aus Karlsdorf-Neuthard in Baden-Württemberg gegründet, der bereits mit Rick Wedow die Burg 19 in Kahla gekauft hatte. Als Firmensitz wurde die Jenaer Adresse von Wagner in der Schlippenstraße in Jena-Ost angegeben. Beide zeichneten je eine Hälfte des notwendigen Stammkapitals von 25.000€. Geschäftszweck war der „Erwerb, Vermietung und Betrieb von Ferienimmobilien und Freizeitanlagen sowie Gastronomie“. Beide sind in der Öffentlichkeit in Ostthüringen nicht bzw. kaum als rechte AktivistInnen bekannt. Im Dezember 2021 fand eine zweite Firmengründung in Jena statt: Die altbekannten Neonazi- und Burschenschaftsaktivisten Rick Wedow, Ralph Oertel und Nico Schneider gründeten mit Stammkapitalanteilen von je 33,3% die Selaga GmbH, die wiederum dem „Betrieb von Gaststätten, Ausrichtung von Veranstaltungen, Catering, Beherbergungsbetrieb und Einzelhandel“ dienen soll. Firmensitz war die Jenaer Anschrift von Rick Wedow in der Unterdorfstraße. Ebenso wurde in der Satzung festgehalten, dass die Firma die Vertretung anderer Gesellschaften und Firmen übernehmen können soll. Ende September 2022 traten dann Martin Schild und Ramona Wagner mit Eintragung ins Handelsregister jeweils so viel Stammkapital an Rick Wedow, Nico Schneider und Ralph Oertel ab, dass alle fünf Personen mit 5000€ (20%) Gesellschafter der Leisea GmbH wurden. Erst im Dezember 2022 wurde dann der Sitz der Leisea GmbH auf die Jenaische Str. 78 in Uhlstädt-Kirchhasel umgeändert – der Adresse des „Goldenen Roß“. Die genauen Gründe für dieses Vorgehen bleiben ohne Einsicht in die Kaufverträge und Informationen, die der Voreigentümerin zum Zeitpunkt der Unterzeichnung vorlagen, unklar. Es ist jedoch offensichtlich, dass Ramona Wagner nicht die Betreiberin des Gasthofes geworden ist und Martin Schild aus Baden-Württemberg dafür ohnehin ausscheidet. Allem Anschein nach waren die beiden bloß Strohfrau und -mann für die Nazis aus Jena und Kahla, die inzwischen sowohl auf rechtlicher als auch auf praktischer Ebene den Betrieb der Gasträume übernommen haben.

Abgeblasenes Neonazi-Treffen im Mai 2021

Bereits im März 2021 hatte die sich damals noch im Aufbau befindliche Gruppe „Aufbruch und Erneuerung“ für ein Kennenlerntreffen mit Interessierten in Uhlstädt versammelt. Als die Gruppe für den 8. Mai 2021 erneut dorthin einlud, gab es am Vortag eine Veröffentlichung auf dieser Plattform, in der die Hauptaktivisten der Gruppe benannt wurden, zu denen auch Ralph Oertel und Rick Wedow zählten. Außerdem wurde der Veranstaltungsort in Uhlstädt benannt: „Zum Goldenen Roß“. Die Gruppe verkündete daraufhin, dass die Räumlichkeiten „gekündigt“ worden wären und versuchte, das Treffen ins sächsische Crimmitschau zu verlegen.

Screenshot einer Telegram Nachricht des Kanals "Aufbruch & Erneuerung" vom 7. Mai 2021:"Wichtige Mitteilung: Aufgrund des politischen Gegendrucks wurden uns für morgen die Räumlichkeiten gekündigt. Wir werden die Veranstaltung an einem anderen Ort, im Großraum Sachsen druchführen. Die Interessenten werden bis morgen Mittag per Mail kurzfristig darüber informiert. Wir hoffe trotz der Entfernung auf eine rege Teilnahme! Es besteht noch die Möglichkeit sich für die Veranstaltung anzumelden. Einfach eine Mail an: [...]"

Telegram-Nachricht der Kahlaer Neonazis über abgesagtes Treffen in Uhlstädt am 8.5.2021

Mit dem heutigen Wissen stellt sich die Situation anders dar: Die Übernahme des Gasthofes durch die Nazis war bereits seit Ende 2020 beschlossen. Alle formellen Schritte scheinen jedoch noch nicht getan worden zu sein. Erst viereinhalb Monate später erfolgte die Gründung der Leisea GmbH, sieben Monate später die Selaga GmbH. Daher ist weniger von der vorgegebenen „Kündigung“ der Räume auszugehen, als eher davon, dass die Nazis ihre noch nicht besiegelte Übernahme des Gasthofes nicht durch ungewollte Öffentlichkeit gefährden wollten.

Uhlstädt: Neuer Brückenkopf alter Strukturen aus dem „Thüringer Heimatschutz“

In Uhlstädt ist somit eine rechte Raumergreifung vollzogen worden. Nachfrage nach eigenen Räumen gibt es in der rechten Szene zur Genüge. Und wie die „Normannia“ bereits in Kahla bewies, weiß sie selber aus ihren Netzwerken in Deutschland und Österreich auch regelmäßig namhafte Neofaschisten als Referenten einzuladen. Damit kehren Neonazis, die bereits Ende der 1990er mit dem „Thüringer Heimatschutz“ im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt aktiv waren, dorthin zurück. In Jena konnten sie sich aufgrund zu starker antifaschistischer Gegenwehr nicht etablieren. In den Landkreis Saalfeld-Rudolstadt sind inzwischen viele der früheren Wegbegleiter von Ralf Wohlleben und dem restlichen NSU-Netzwerk zurückgekehrt: NSU-Helfer André Kapke wohnt seit Jahren bei Uhlstädt. Bis 2019 musste er für die Veranstaltungen seiner Kameraden noch nach Kahla fahren, inzwischen sind selbige Kameraden in Uhlstädt angekommen. Rick Wedow und Ralph Oertel waren schon zu Zeiten des Untertauchens von Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt Mitglieder der Jenaer Kameradschaft, die von Kapke angeführt wurde. Kapke ist auch überregional noch in den alten Netzwerken des Thüringer Heimatschutz aktiv, wie seine Besuche 2022 und 2023 bei Veranstaltungen von Patrick Wieschke im „Flieder Volkshaus“ in Eisenach zeigten.

Foto von André Kapke mit schwarzem Kapuzenpullover wie er auf zwei uniformierte Polizisten zuläuft.

André Kapke bei einer JN-Veranstaltung in Eisenach am 15.4.2023 (Foto: Recherche Nord)

Der Mitorganisator dieser Veranstaltungen, Patrick Wieschke, war zusammen mit Kapke zu NSU-Zeiten im THS aktiv. Neben Kapke ist der frühere Jenaer Rechtsrocker Mirko „Barny“ Fritze (geb. Szydlowski) nach Neidenberga an den Hohenwarte-Stausee gezogen, der Liedermacher Tobias „Bienenmann“ Winter von Kahla nach Saalfeld. Und andere alte Heimatschutz-Kader wie Veit Kelterborn (Rosenthal), Christoph Nicolaus (Schmiedebach) und Christian Dietzel (Kamsdorf) sind nie dort weggegangen und heute noch aktiv. Eine Reunion zu Ralf Wohllebens Ehren, wie sie im März 2023 in Kahla gescheitert ist, dürfte zukünftig in Uhlstädt stattfinden.