„Freie Initiative Schleusingen“: Wenn das rechte Bürgertum rebelliert und der mitmischende Kader vom III. Weg keinen Unterschied macht

Marcel Funke (III. Weg) bereitet am 26.4. die Abschlusskundgebung vor der leerstehenden Klinik in Schleusingen vor; Co-Organisatorin Katja Kühne ist 2.v.r. (Bild: Youtube)

Die südthüringische Kleinstadt Schleusingen im Landkreis Hildburghausen hat in den vergangenen Wochen Schlagzeilen mit rassistischem Protest gegen Geflüchtete gemacht. Hintergrund sind die Pläne des Landratsamtes, 80 bis 100 Geflüchtete in einem ehemaligen Krankenhaus unterzubringen. Die erste Demo dagegen fand am 12.4.2023 statt – organisiert vom Neonazi-Funktionär Tommy Frenck aus Kloster Veßra zusammen mit dem Neonazi-Liedermacher Axel Schlimper. Infolge von Presseberichten, die ihre Kritik vor allem auf die Person Tommy Frencks beschränkten, gründete sich die „Freie Initiative Schleusingen“. Diese wollte den Beweis erbringen, dass es vermeintlich nicht-rechte Schleusinger Bürger*innen wären, die ihren „Sorgen“ Ausdruck verleihen wollten. Beim zweiten Aufmarsch am 26.4. zeigte sich eine dreiköpfige Organisationsgruppe. Zu dieser zählte auch Marcel Funke, der Antifaschist*innen seit Langem als führender Neonazi im Raum Saalfeld bekannt ist. Seit spätestens 2015 ist Funke Kader der NS-Splitterpartei „Der Dritte Weg“ (III. Weg). In Schleusingen gab Funke den einfachen Bürger und ließ seine Parteiuniform zuhause. Inhaltlich machte seine Einbindung ohnehin keinen Unterschied: Die Proteste wären ohne Funke ebenso völkisch, rassistisch und strukturell antisemitisch. Am morgigen Mittwoch, 10.5., wird zum nächsten Aufmarsch mobilisiert.

Das Problem heißt nicht Tommy Frenck

Fehlinformation des Thüringer Verfassungsschutz vom 9.5.2023 (Ostthüringer Zeitung)

Im Nachgang des zweiten rassistischen Aufmarschs in Schleusingen am 26.4.2023 erschien sogar ein Bericht auf tagesschau.de. Hier wird unter Berufung auf „Sicherheitskreise“ herausgestellt, dass der Neonazi-Unternehmer Tommy Frenck erneut an der Demo teilgenommen hätte. Diese „Sicherheitskreise“ scheinen wie immer besonders dürftig informiert zu sein oder informieren zu wollen. Diesen Eindruck bestätigt der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer in einer weiteren DPA-Meldung: Die Hunderten rassistischen ProtestiererInnen wären nicht rechts, sondern hätten bloß „Emotionen“. Diese würden hinterhältig von Neonazis „genutzt“. Wenn es um die Rolle bekannter Neonazikader in Schleusingen geht, wären allerdings am 26.4. andere Personen viel relevanter gewesen als Frenck: Marcel Funke vom III. Weg brachte die Lautsprecher und Mikrofone mit, moderierte die Redebeiträge als Teil des Organisationsteams und kümmerte sich um Technik und RednerInnenpult. Als letzter Redner schwadronierte außerdem der Reichsbürger und antisemitische Verschwörungsideologe Frank Haußner aus Zeulenroda von vermeintlichen Plänen „dunkler Eliten“, das deutsche Volk ausrotten zu wollen. Der Applaus der SchleusingerInnen war ihm sicher. Tommy Frenck war an diesem Tag einfacher Mitläufer. Dass Presse und Behörden ihm unnötig viel Aufmerksamkeit widmen, dürfte seine Geschäfte als Neonazi-Versandhändler noch ankurbeln. Es gab noch viele weitere RednerInnen aus bürgerlichen Milieus, die ohne bekannte Einbindung in rechte Strukturen genau die rassistische und völkische Ideologie von sich gaben, die von rechten Parteien bis Kameradschaften seit Jahrzehnten verbreitet wird. Dass jemand wie Marcel Funke nun Teil der vermeintlich bürgerlichen „Freien Initiative Schleusingen“ ist, macht dabei inhaltlich keinen Unterschied. Funkes Mitorganisatorinnen waren am 26.4. die Masseurin Anke Waitz und die Friseurin Katja Kühne. Beide sind bisher nicht als rechte Aktivistinnen bekannt, wobei Waitz zum Umfeld der Montagsdemos zu zählen ist. Die Dimension dieses Schulterschlusses und Normalisierung von militanten Neonazistrukturen durch ein radikalisiertes Thüringer BürgerInnentum sei im Folgenden nochmal anhand von Marcel Funkes politischer Biographie verdeutlicht.

Nazi-Skinheads aus Quittelsdorf

Im Proberaum von „Nordfeuer“ aus Quittelsdorf 2007: Links Sänger Stefan Hercher und rechts Zuhörer Marcel Funke (Bilder: Youtube)

Marcel Funke stammt aus Quittelsdorf bei Bad Blankenburg, wo er spätestens seit 2007 als Teil einer rechten Skinhead-Clique auffiel. Damals gründete sich um den Quittelsdorfer Stefan Hercher die Rechtsrockband „Nordfeuer“. Die Band hatte ein Porträt von Rudolf Hess im Proberaum hängen, sang vom „HK“, also Hakenkreuz, und um alle Zweifel auszuräumen, zeigte Sänger Stefan Hercher während der Bandproben den Hitlergruß. Die Aufnahmen sind nach wie vor auf Youtube zu finden. Während dieser Proben war auch Marcel Funke anwesend. Zu Dorffesten treffen sich diese Neonazis bis heute regelmäßig in Quittelsdorf. Stefan Hercher, der einen verbotenen SS-Totenkopf auf die Brust tätowiert trägt, ist inzwischen Tätowierer bei „Premium Colours“ in Erfurt. Marcel Funke schlug schon früh einen strammeren Weg in Neonazistrukturen ein: Um 2009 engagierte sich die Naziszene in Saalfeld-Rudolstadt noch stark für die Wahlkämpfe der NPD. Hinzu kamen Rechtsrockkonzerte in Saalfelder Vororten oder Aufmärsche in „ihren“ Vierteln wie Gorndorf. Marcel Funke beteiligte sich noch im März 2014 am Europakongress der NPD-Jugendorganisation JN in Kirchheim.

Marcel Funke auf dem Weg zum JN-Kongress in Kirchheim am 22.3.2014 (Foto: Linksunten Indymedia)

„Freies Netz Saalfeld“

FN Saalfeld beim Wohlleben-Solidaritätsfestival in Kahla am 15.6.2013 (v.l.n.r.): Steffen Richter, Rick Lüftner, Marcel Funke

In Vernetzung mit den Jenaer Neonazis um Ralf Wohlleben gründeten sich in mehreren Ostthüringer Städten in den späten 2000er Jahren Gruppen des „Freien Netzes“ (FN). Diese erfüllten die Funktion von parteiungebundenen Neonazikameradschaften, wenngleich eine strukturelle Nähe und Personenüberschneidungen zur NPD bestanden. In Saalfeld war es das „FN Saalfeld“, zu dem u.a. Marcel Funke und seine Schwester Susann gehörten, aber auch der heute als Turonen-Mafioso inhaftierte Steffen Richter. Während das FN regelmäßig an überregionalen Naziaufmärschen und Rechtsrockkonzerten teilnahm, war es vor allem Marcel Funke, der sich um „Bürgernähe“ der Neonazis bemühte. So sammelten die Neonazis Müll im Schwarzatal und stellten Mülleimer mit Plaketten des FN Saalfeld auf. Zum Streit innerhalb der örtlichen Szene kam es, als der NSU-Helfer und Verfassungsschutz-Spitzel Tino Brandt 2013 seinen Geburtstag zusammen mit einem weiteren Neonazi in einer Rudolstädter Gaststätte feierte: Viele Neonazis aus der Generation des „Thüringer Heimatschutzes“ erschienen trotz des lange bekannten Verrats durch Tino Brandt und trotz der Strafverfahren wegen des Missbrauchs Minderjähriger. Alte Verbundenheit stand für sie über jeglichem politischen Ideal. Das FN Saalfeld veröffentlichte einen kritischen Bericht zu diesem Abend, woraufhin sich ein Riss durch die Szene im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt zog.

Unterstützung für NSU-Helfer Ralf Wohlleben

Wohlleben-Solidaritätsfestival am 15.6.2013 in Kahla (v.l.n.r.): Danny Ludwig, Heidi Zölßmann, Marcel Funke, Mario Hillert, unbekannt, Markus Hartmann, Mario Gehlert, unbekannt

Nachdem Ralf Wohlleben infolge der NSU-Selbstenttarnung im November 2011 in Untersuchungshaft kam, waren es in erster Linie die FN-Gruppen, die eine Solidaritätskampagne innerhalb der Naziszene organisierten. An vorderster Front von „Freiheit für Wolle“ standen Neonazis vom „FN Kahla“ und „FN Saalfeld“. Diese organisierten auf dem Rechtsrockfestival „Rock für Deutschland“ in Gera im Sommer 2012 und 2013 einen Bratwurststand, um Spenden für Wohlleben zu sammeln. 2012 beteiligte sich daran auch Marcel Funke in einem Shirt „Freiheit für Wolle“. 2013 richteten dieselben Strukturen außerdem in Kahla das von Wohlleben gegründete Rechtsrockfestival „Thüringentag der nationalen Jugend“ aus, das in erster Linie zur Spendensammlung für Wohlleben bestimmt war. Auch hier war Marcel Funke Teil der Organisationsgruppe.

Vom FN zum III. Weg

Einstand beim III. Weg am 1. Mai 2015 in Saalfeld: Matthias Brandt (l.) und Marcel Funke (Foto: Recherche Nord)

Nachdem diese FN-Strukturen gegen Ende 2013 zum Erliegen kamen, organisierten mehrere ihrer Kader einen Übergang zur relativ neuen Splitterpartei „Der Dritte Weg“ (III. Weg). Die Partei bemühte sich von Beginn an um einen offen nationalsozialistischen Kurs, wozu eine Aufmarschkultur in Uniform, Reih und Glied gehört. Vor einer Gründung des sogenannten „Stützpunkt Thüringer Wald / Ost“ organisierten Nico Metze (ehemals FN Kahla) und Marcel Funke (ehemals FN Saalfeld) Ende 2014 Informationsveranstaltungen in Kahla und im Raum Bad Blankenburg. Die im Sommer 2015 erfolgte Gründung der Ostthüringer Parteigliederung erfolgte unter Vermittlung von Ringo Köhler (ehemals FN Saalfeld) in Form eines Zeltlagers auf dem Sportplatz des SV 1865 Piesau. Seitdem ist auch Marcel Funke als Kader der Kleinstpartei aktiv und nahm in Parteiuniform an allen ihren Aufmärschen zwischen Franken und Berlin teil. Im Raum Bad Blankenburg führte Funke unter der Flagge des III. Weg das fort, was er früher für das FN Saalfeld betrieb: Vermeintlich bürgernahe Aktionen für die Umwelt, für Naherholungsgebiete und natürlich gegen Geflüchtete und Zuwanderung im Allgemeinen. Wie erfolglos die Organisierung der Gruppe verlief, zeigte sich im Wahlkampf 2019, als Funke mit bloß einer Handvoll junger Mitstreiter in Ost- und Südthüringer Dörfern und Kleinstädten Plakate aufhing und Flyer verteilte. Bei einer Kundgebung in Meiningen hatte sich Funke für seine Rede als „Stützpunktleiter“ extra ein Rednerpult aufgestellt – die Leere des Platzes und des Infostandes machte diese Inszenierung noch gähnender.

Marcel Funke im Aufmarsch des III. Weg in Plauen am 2.10.2022 (Foto: Recherche Nord)

Umzug nach Breitenbach bei Schleusingen – die Volksgemeinschaft steht bereit

Das Organisationsteam der „Freien Initiative Schleusingen am 26.4.: Am Mikro Anke Waitz, 2.v.r. Katja Kühne und 1.v.r. Marcel Funke (Bild: Youtube)

Im Jahr 2019 zog Marcel Funke ins Vessertal (Nr. 32) nach Breitenbach, also in einen Vorort der Kleinstadt Schleusingen. Hier ist er als selbständiger Steinmetz tätig. Seit einem guten Jahrzehnt tritt Funke vorwiegend in Zimmermannskluft auf. Seit drei bis vier Jahren kommt noch ein Filzhut hinzu, meist mit angesteckter Feder. Dieses völkische Auftreten dürfte in der südthüringischen Dorfgemeinschaft gut ankommen. Jedenfalls scheint Funke in Schleusingen gut integriert zu sein. Seine MitstreiterInnen rund um die „Freie Initiative“ geben sich zudem alle Mühe, in bester völkischer Manier ihre „Volksgemeinschaft“ gegen äußere Einflüsse, die stets als „schädlich“ identifiziert werden, zu verteidigen. Der überzeugte Nationalsozialist Marcel Funke ist daher kein brauner Maulwurf unter Bürgerlichen. Vielmehr bildet sich hier eine Allianz aus GesinnungsfreundInnen. Darüber kann auch die Presse nicht hinwegtäuschen, deren Kritik nicht die Schleusinger UnternehmerInnen und Bürgerlichen in den Mittelpunkt rückt, die unverhohlener Gewalt gegen den Einzug von Geflüchteten ins ehemalige Krankenhaus ankündigen, als es sich Tommy Frenck oder Marcel Funke je trauen würden. Mit der vorangegangen Übersicht von Marcel Funkes politischer Biographie und seinen weitreichenden militanten Netzwerken sollte an dieser Stelle klar sein: Wenn es gegen Geflüchtete geht, schließen sich selbsternannte „Friedensfreundinnen“, vorgeblich liberale Unternehmer und vermeintliche „Bürgerrechtlerinnen“ bereitwillig mit Neonazis wie Funke zusammen, die sich vor 2011 mit den Mordhelfern des NSU organisiert haben und nach 2011 für selbige Solidaritätskampagnen organisierten. Wenn dann noch der Verfassungsschutz hierbei zur Seite springt, weiß man, wie wenig sich in Thüringen seit der NSU-Selbstenttarnung verändert hat.

Bei alldem sollte auch nicht in Vergessenheit geraten, worum es in Schleusingen eigentlich gehen sollte: Das Gesundheitssystem ist kapitalistischen Zwängen unterworfen und schließt deswegen nach Profitlogik dringend benötigte Kliniken wie jene in Schleusingen. Kommunale wie private Arbeitgeber*innen brennen Personal mit unmenschlicher Schichtarbeit und schlechten Löhnen aus und beklagen danach Fachkräftemangel. Wenn die Menschen vor Ort etwas für ihre Lebensqualität tun und etwas Selbstachtung beweisen wollten, hätten sie sich gegen die Schließung der Klinik engagiert und würden Pflegepersonal in ihren Kämpfen um bessere Löhne unterstützen. Stattdessen akzeptieren sie die Schließung ohne großen Protest, lassen das Klinikpersonal in Hildburghausen bei seinen jüngsten Streiks ohne jegliche Unterstützung und hetzen gegen Geflüchtete. Das ist gut für diejenigen, die ihre Profite an der Ware Gesundheit sichern wollen und schlecht für alle anderen Menschen im Landkreis. Selbst ohne solche auf der Hand liegenden sachlichen Gründe wäre die rechte Mobilisierung selbstredend zu verurteilen und zu bekämpfen. Wer auch immer solche antirassistischen und antifaschistischen Kämpfe in Südthüringen weiterhin führt, sollte alle zur Verfügung stehende Unterstützung erfahren.