
Rechts zu sein ist in der Thüringer Jugend Trend. Ihr Aktivismus beginnt bei rechter Selbstinszenierung und rechtem Hass auf Social Media, Raumnahmeversuchen durch Sticker-Aktionen und mündet nicht selten in physischer Gewalt gegen Personen, die nicht in ihr rechtsextremes Weltbild passen. Mal sind sie Teil diffuser rechter Cliquenstrukturen, mal in organisierteren (aber dennoch häufig stark fluktuierenden) Gruppen und Netzwerken aktiv – oder auch an klassische extrem rechte Parteistrukturen angebunden.
In diesem Artikel möchten wir einen Überblick über die verschiedenen Aktions- und Organisationsformen geben und über die Gefahren informieren, die von rechten Jugendlichen in Thüringen ausgehen. Wir werden dafür auf einige Thüringer Beispiele eingehen, aber bei weitem nicht alle Jungnazi-Strukturen in Thüringen abbilden können.
Social Media Aktivismus mit Hitlergrüßen
Social Media stellt einen wichtigen Ort der Politisierung und extrem rechten Selbstinszenierung für Jugendliche dar. Es finden sich insofern zahlreiche (Thüringer) Kinder und Jugendliche, die (extrem) rechte Inhalte in Storys, Videos und Posts teilen. Sie drücken so ihre Zugehörigkeit zu einer rechten Jugendkultur aus, aber sind nur zu einem kleinen Teil auch in rechten Strukturen organisiert. Die rechte Ideologie wird dabei gerne mit dem rassistischen „White Power“-Handzeichen und mit der Reichsflagge zur Schau gestellt. Nicht selten wird offen vor einer schwarzen Sonne posiert, ein Selfie mit „Hitlergruß“ gepostet oder Adolf Hitler zum Geburtstag gratuliert. Ein lokales Beispiel dafür ist Justin Döring aus Camburg, der über das „djv“ im Instagram-Namen deutlich macht, dass er sich als Teil des neonazistischen Netzwerks „Deutsche Jugend Voran“ betrachtet.

Neonazistische Jugendliche wie Justin Döring tauchen zudem gerne bei AfD-Infoständen auf und teilen dies dann auf Instagram.

Wobei die AfDlerInnen zumeist kein Problem damit haben, sich mit diesen ablichten zu lassen, wie beispielsweise die Bilder von Erik in Erfurt zeigen:

Vakuum nach der JA-Auflösung
Anfang des Jahres wurde die Auflösung der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative (JA)“ mit dem Ziel beschlossen, eine neue Jugendorganisation zu gründen, die stärker in die AfD Parteistrukturen eingebunden ist. Diese ließe sich so leichter kontrollieren und wäre besser vor Verbotsverfahren geschützt. Die Auflösung der JA Thüringen erfolgte am 29.03.2025. Bis zur Gründung einer neuen Jugendorganisation, die voraussichtlich im Herbst erfolgen soll, ist ein Vakuum für rechte Jugendliche entstanden, die zuvor Teil der JA waren. Der Umgang mit diesem Vakuum gestaltet sich unterschiedlich. Junge AfD-Kader wie Carolin Lichtenheld organisieren Jugendabende innerhalb der AfD-Parteistrukturen, in Gotha und Erfurt werden kleine Übergangsgruppen mit eigenen Social Media Profilen gegründet, während andere ehemalige JA-AktivistInnen in Richtung „Heimat“ (ehemals NPD) und „Junge Nationalisten“ (JN) schielen.
Eine Hinwendung zur „Heimat“ und JN zeigte sich am 1. Mai bei der Saalfelder JA-Aktivistin Caroline Hein. Diese nahm in einem „Division Thüringen“-T-Shirt an dem Aufmarsch teil und lief hinter einem Neonazi mit Hakenkreuz-T-Shirt mit dem Text „Sommer Sonne Hakenkreuz Sieg fucking Heil“. Bereits zuvor war Hein mit der Teilnahme an Neonaziveranstaltungen aufgefallen. So wollte sie am 17.08.2024 an einem Aufmarsch gegen den Leipziger CSD teilnehmen, der in einem Polizei-Kessel im Hauptbahnhof endete. Außerdem nahm sie am 21.12.2024 an einem von Neonazi Alexander Deptolla angemeldeten und von „Heimat“ und JN organisierten Aufmarsch in Magdeburg teil, der den Anschlag auf den dortigen Weihnachtsmarkt für extrem rechte Forderungen instrumentalisierte. Hein zog den Naziaufmarsch an jenem Tag einer Aktion der JA am Ort des Anschlags vor. Abseits davon teilt Hein zahlreiche gemeinsame Fotos mit dem Vorsitzenden der AfD-Delegation im Europaparlament René Aust.




Auch Jason Schröder, der sich in den JA-Strukturen in Gotha bewegte und dieses Frühjahr an verschiedenen Aktionen von JA und AfD im Landkreis Gotha teilnahm, rief zur Teilnahme am 1. Mai in Gera auf, indem er eine Instagram Story eines Mitglieds der Neonazigruppe „Gersche Jugend“ teilte.


Fluktuierende Jugendgruppen am Beispiel „Gersche Jugend“
Bei der „Gerschen Jugend“ (GJ) aus Gera handelt es sich um ein regionales Beispiel für die im letzten Sommer an vielen Orten der Bundesrepublik entstandenen extrem rechten Jugendgruppen. Die GJ ist geprägt durch einzelne, wechselnde Führungspersonen und ein stark fluktuierendes, cliquenartiges Umfeld.
Die Gruppe entstand im Sommer 2024 im Umfeld der Montagsaufmärsche um Christian Klar. Regelmäßig führte die GJ Klars Demos mit Transparenten und Megafon an. Neben der Verbindung zu Klar baute sie auch Kontakte zur AfD auf. So veröffentliche Anthony Scholz im August 2024 ein Foto, auf dem der Geraer AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner mit Mitgliedern der „Gerschen Jugend“ posierte:

Am 08.11.2024 lud die JA Thüringen zu einem Vortrags- und Bowlingabend nach Weida ein. Diesem Aufruf folgten elf Mitglieder der „Gerschen Jugend“ und die JA veröffentlichte im Anschluss ein gemeinsames Gruppenbild:

Nur wenige innerhalb der GJ hatten bereits zuvor extrem rechte Organisierungserfahrung. Dazu zählen Etienne Klupp und Pascal Chmielewski, die beide Mitglied bei der „Neuen Stärke Partei“ waren. Klupp tauchte als Jugendlicher bereits 2018 bei einer NPD-Kundgebung in Gera auf. 2020 trat er bei einem Neonazi-Trauermarsch am 15.02.2020 in Dresden in Erscheinung, bei dem er neben der Geraer Neonazi-Aktivistin Beatrice Fischer lief. Zwei Jahre später trug er in Dresden das Banner der „Neuen Stärke“.


Mittlerweile kann Klupp als politischer Ziehsohn von Christian Klar betrachtet werden, der ihn zu allen Veranstaltungen mitbringt. In den letzten Monaten folgte er Klar mit einem Eintritt in „Die Heimat“. Innerhalb kürzester Zeit stieg er zum Verantwortlichen für den Strukturaufbau der JN in Ostthüringen auf – was nicht gerade für die Stärke der Thüringer JN spricht. Bei der „Gerschen Jugend“, für die Klupp vergangenen Herbst noch an einem rechten Podium in Gera teilnahm, tritt er seit seinem Eintritt in „Die Heimat“ kaum noch in Erscheinung.

Pascal Chmielewski war ebenfalls Teil der „Neuen Stärke“, bevor er zur „Gerschen Jugend“ kam. Mittlerweile ist Chmielewski nicht mehr Teil der GJ. Anfang 2025 versuchte er unter dem Label „Nationale Sozialisten Gera“ ein eigenes Projekt zu gründen, von dem außer ein paar Social Media Posts mit einstelligen Like-Zahlen keinerlei wahrnehmbare Aktivitäten ausgingen.


Aktuell sind Anthony Scholz und Justin Elbel Wortführer der „Gerschen Jugend“. Am 03.06.2024 trat Anthony Scholz erstmals bei einem Montagsaufmarsch in Gera als Redner in Erscheinung und rief zur Wahl der AfD auf. Eine frühere extrem rechte Organisierung Scholz‘ ist nicht bekannt.

In den kommenden Monaten wurde Scholz im Stile eines Capos aus der Fußballszene zum Vorsänger der „Gerschen Jugend“. Mit dem Megafon stimmte er rassistische Parolen an, die von den anderen Jugendlichen wiederholt wurden. Die GJ bekam außerdem auf der Bühne der Geraer Montagsdemo ein eigenes, kommerziell hergestelltes Banner von Christian Klar überreicht. Laut Klar wurde das Banner von dem Geraer Unternehmer und Anhänger der „WerteUnion“ Peter Schmidt finanziert, dessen Firma „Jenatec“ in Jena-Lobeda ihren Sitz hat.
Nach kurzen Mobilisierungserfolgen wie z.B. beim Neonaziaufmarsch am 03.10.2024 in Gera, zu dem die GJ eine größere Zahl Jugendlicher mobilisieren konnte, verzeichnet sie spätestens seit Anfang des Jahres einen starken Rückgang in den Teilnehmendenzahlen. Nur noch selten schaffen sie es, einen eigenen kleinen Block auf den Montagsdemos zu stellen. Dem wollte die GJ mit einer “[g]roße[n] rückhol Aktion„ (sic!) im Februar 2025 entgegenwirken und ruft seitdem wöchentlich in Chatgruppen mit mäßigem Erfolg zur Teilnahme an den Montagsdemos auf. Selbst am 1. Mai 2025, zu dem bundesweit nach Gera mobilisiert wurde und bei dem sich auch Teile der „Gerschen Jugend“ an der Organisation beteiligten, schaffte es die GJ nicht einmal mit einem eigenen Banner präsent zu sein. Justin Elbel hatte zuvor verkündet, dass am 1. Mai „Erscheinungspflicht“ hersche und alle, die nicht kommen, aus der Gruppe geworfen würden. Wenn Elbel sich an seine eigenen Vorgaben hält, bestünde die GJ nun nur noch aus einer einstelligen Zahl von Personen.


Justin Elbel und Anthony Scholz wenden sich seit Anfang des Jahres verstärkt Netzwerken und Gruppen wie „Deutsche Jugend Voran (DJV)“ und „Chemnitz Revolte“ zu, nehmen an Neonaziaufmärschen in Berlin teil und beteiligen sich an deren Organisation. Diese Netzwerke mobilisierten sie am 1. Mai auch nach Gera. Unter den Mobilisierten war auch der Berliner DJV-Anführer Julian Milz. Milz wurde im März wegen mehreren Überfällen und Bedrohungen zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Im April wurde er bis zum Antritt seiner Strafhaft aus der Untersuchungshaft entlassen und ist seitdem innerhalb seiner extrem rechten Netzwerke wieder aktiv und schafft damit Bedrohungsräume in Berlin Hellersdorf. Mit ihm und Stella Schmidt von „Chemnitz Revolte“ waren Anthony Scholz und Justin Elbel am 1. Mai unterwegs und führten den DJV-Block mit Megafonen an.

Die „Gersche Jugend“ steht exemplarisch für eine im letzten Jahr entstandene, schnelllebige Jungnazigruppe. Viele der Gründungsmitglieder scheinen mittlerweile wieder das Interesse verloren zu haben oder haben sich anderen Strukturen zugewendet. Auf der Straße hat die Gruppe seit Anfang des Jahres ihren Zenit überschritten und kann nur noch wenige Geraer Jugendliche mobilisieren. Dennoch stellt die Gruppe und ihr Umfeld für Menschen, die von Neonazis als Feinde markiert werden, eine Gefahr dar. Die GJ ist an Netzwerke und Gruppen wie „Deutsche Jugend Voran“ und „Chemnitz Revolte“ angebunden, die für zahlreiche Übergriffe bekannt sind und nimmt sich an diesen ein Vorbild. Sie wirkt politisierend und radikalisierend für rechtsoffene Jugendliche in Gera und Umgebung, auch wenn sie diese in den meisten Fällen nicht langfristig organisieren kann. Vor Übergriffen macht die Gruppe dabei nicht Halt. So griff ein Mitglied am 05.07.2024 ein schwules Paar an. Andere fielen durch offene Morddrohungen gegen Linke auf.
Vom Netz auf die Straße: Kampfsport, Übergriffe, Brandanschläge
Die auffallende Zunahme an rechten Online-Netzwerken für junge Menschen und deren erfolgreiche Mobilisierungen zu Aufmärschen gegen CSDs in Ostdeutschland gingen erwartungsmäß mit einer Zunahme an rechter Gewalt einher. Teilweise machen Neonazi-Jugendgruppen Straßenmilitanz zum identitären Hauptmerkmal, wie etwa Knockout 51 aus Eisenach oder die „Nationalrevolutionäre Jugend“ (NRJ) aus Erfurt. Die Thüringer Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt ezra schlug bei Veröffentlichung ihrer Jahresstatistik für 2024 Alarm: Es gab im Schnitt in Thüringen vier rechte Gewalttaten pro Woche und das Niveau rechter Gewalt gleicht jenem aus Zeiten des „Thüringer Heimatschutz“ in den 1990er Jahren.

Am bekanntesten ist hier sicherlich die militante Eisenacher Naziszene, deren Protagonisten inzwischen in einem zweiten Prozess am Oberlandesgericht Jena wegen Rechtsterrorismus angeklagt sind. Was bei der Aufmerksamkeit für die Eisenacher Führungskader kaum Erwähnung findet: Einen Großteil der Gewalttaten verübten diese gemeinsam mit 18- bis 20-Jährigen aus ihrer Nachwuchsgruppe. Dieselben Jungnazis wurden in Kampfsport trainiert und sind nach wie vor auf den Straßen Eisenachs präsent. Im letzten Jahr traten die jungen militanten Eisenacher Neonazis auch mehrfach gemeinsam mit einer Erfurter Gruppe aus dem Nachwuchs der militanten Scheinpartei „Der Dritte Weg“ (III. Weg) auf. So veröffentlichten sie am 31.8.2024, dem Tag der AfD-Abschlusskundgebung einen Tag vor der Landtagswahl, ein Gruppenfoto mit dem auf einem Banner festgehaltenem Aufruf „Kommunisten behindert schlagen“.

Die Erfurter NRJ-Anhänger („Nationalrevultionäre Jugend“, Jugendverband des „III. Wegs“), die fast alle zum rechten Teil der Erfurter Fußballszene rund um den „Jungsturm KEF“ gehören, trainieren überwiegend Kampfsport. Entsprechend fielen im vergangenen Jahr auch jüngere Täter mit brutalen rechten Übergriffen in der Erfurter Innenstadt auf, die in Einzelfällen sogar gefilmt und in der Folge propagandistisch im Netz genutzt wurden. Auch minderjährige NRJ-Anhänger aus Apolda und dem Weimarer Land fielen letztes Jahr mit Angriffen auf Antifaschist*innen auf.

In Gößnitz (Altenburger Land) zeigten sich jugendliche Neonazis ähnlich selbstbewusst, als sie Ende November 2024 auf dem Weihnachtsmarkt Naziparolen grölten und bei ihrer darauffolgenden Gewahrsamnahme u.a. ein Springmesser gefunden wurde.
Im nahegelegenen Schmölln griffen junge Neonazis am 05.01.2025 eine Geflüchtetenunterkunft an. Zunächst sprühten sie Hakenkreuze, SS-Symbole und Naziparolen an die Fassade, warfen Fenster ein und schossen danach entzündliche Pyrotechnik in das Gebäude. Am 21.02.2025 wurden ein 18-Jähriger und ein 20-Jähriger verhaftet. Der 18-Jährige war Teil der Online-Vernetzung „Letzte Verteidigungswelle“ (LVW).

Luca Kinsky von der „Gerschen Jugend“ stand im Kontakt zu einem jungen Neonazi aus dem Altenburger Land, der dieser Vernetzung zuzuordnen ist. Von diesem teilte er eine Instagram-Story mit dem Zusatz „müssen uns mal wieder treffen bruder“.

In Altenburg gab es bereits am 01.08.2024 einen Brandanschlag auf Häuser, die überwiegend von Migrant*innen bewohnt werden. Täter wurden bisher keine bekannt. Erst im April 2025 machten junge Neonazis aus Ilmenau Schlagzeilen, als sie über einen Zeitraum von zwei Stunden den Universitätscampus mit Autos umfuhren und dabei mit einer Paintballwaffe auf rassifizierte Menschen schossen. Im Nachgang wurde u.a. ein 21-jähriger Tatverdächtiger ermittelt.
Fazit
Anhand dieser beispielhaften Auswahl soll untermalt werden: Der Aufstieg der AfD und der Rassismus quer durch die gesamte Gesellschaft zeigen ihre Wirkung und führen unmittelbar zu verschiedensten Formen von Gewalt, die häufig, aber nicht nur, von jungen Menschen ausgeübt wird. Dieselben Neonazis, die Menschen angreifen, mit Mord bedrohen und Mordanschläge begehen, jubelten in den Wahlkämpfen 2024-2025 Björn Höcke von den Plätzen Thüringer Provinzstädte zu.
Als antifaschistische Recherche haben wir eine unmissverständliche Haltung dazu: Auch Jungnazis werden sich keinem Schutz durch Anonymität sicher sein können. Unsere Antwort auf die kontinuierliche Eskalation und Bedrohung unserer Leben sowie der Leben all jener von Rassismus, Antisemitismus, Ableismus, Homo-, Queer- oder Transfeindlichkeit Betroffenen wird sein, Schutz durch die Veröffentlichung von Namen, Gesichtern und Strukturen zu gewährleisten.
Anmerkung: Da in diesem Artikel teilweise sehr junge Personen erwähnt werden, möchten wir transparent machen, dass wir diese Tatsache in unsere Überlegungen zu Veröffentlichungen mit einbeziehen. Grundsätzlich halten wir die Erwähnung junger Menschen für notwendig, weil ein großer Teil rechter Gewalt von jungen Menschen ausgeht. Ob und was wir zu den jeweiligen Personen veröffentlichen, hängt aber immer davon ab, wie wir den Organisierungsgrad und die Gefährlichkeit der jeweiligen Personen einschätzen.