Lars Kühne ist Doktor-Ingenieur am Jenaer Institut für Datenwissenschaften. Im Juli 2020 durfte er dem Thüringer Wirtschaftsminister einen neuen Hochleistungsrechner vorstellen. Sechs Wochen später marschierte Kühne beim zweiten Querdenken-Großaufmarsch mit Tausenden Feind*innen der Wissenschaft und Hunderten Mitgliedern der bundesdeutschen Naziszene durch Berlin. Der Aufmarsch lockte vor allem damit, dass in rechten Netzwerken massiv zum Sturz der Regierung mobilisiert wurde. In Jena hielt sich Kühne länger bedeckt, tauchte inzwischen jedoch auch bei den rechten Montagsspaziergängen auf. Bei einem rechten Großaufmarsch in Leipzig war Kühne grölend in der ersten Reihe zu sehen und brachte damit unmissverständlich seine Sympathien für die Ziele der extremen Rechten öffentlich zum Ausdruck.
Schachspieler und Klimaforscher
Lars Kühne lebt mit seiner Familie in Jena-Ost und fällt erst seit Beginn der Corona-Pandemie als rechter Aktivist auf. In seinem Schachverein „King’s Club 98“ posiert Kühne bei Vereinstreffen im Shirt der Identitären Bewegung, das ausschließlich bei Veranstaltungen der neofaschistischen Identitären oder in deren Internet-Versandhandel zu erwerben ist.
Kühne ist Datenwissenschaftler in einem Institut, das zum Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) gehört. Als solcher arbeitet er mit einem Hochleistungsrechner im Rechenzentrum der Uni Jena, der 2020 mit Landesgeldern als Pionierprojekt in Thüringen eingeweiht wurde. Kühnes Institut arbeitet dabei mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Bauhaus-Uni Weimar und der Technischen Universität Ilmenau zusammen. Zur Einweihung des neuen Hochleistungsrechners durfte Lars Kühne Presse und Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) durchs Rechenzentrum führen und die Forschung am neuen Rechner erläutern. Die Hochleistungen des Rechners sollen insbesondere zur Auswertung verschiedenster Klimadaten dienen und dabei helfen, Facetten des Klimawandels besser beobachten zu können. Dabei wird der menschengemachte Klimawandel von der extremen Rechten weitestgehend geleugnet. Es darf durchaus angenommen werden, dass Lars Kühne diese persönliche Auffassung in seine Arbeit als Ingenieur einfließen lässt und wissenschaftlicher Empirie skeptisch gegenübersteht.
Teilnahme an Querdenken-Großaufmarsch
Als am 29.08.2020 die bundesweite Querdenker*innen- und Naziszene zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen nach Berlin mobilisierte, wurden wiederholt auch Umsturzideen propagiert. Einhellig träumten die teils sehr unterschiedlichen Spektren von einem erfolgreichen Sturm auf den Bundestag und einer Absetzung der in ihren Augen illegitimen Regierung – illegitim aufgrund ihrer Infektionsschutzmaßnahmen. Mitten drin lief Lars Kühne mit einem Schild „gegen die ‚neue Normalität‘“. Nach der ersten Großdemo am 01.08.2020 war völlig klar, dass diese Aufmärsche Hunderte ReichsbürgerInnen und Neonazis anziehen und tolerieren. So fuhren unabhängig von Lars Kühne am 29.08.2020 alleine aus Thüringen der Rechtsrock-Organisator Tommy Frenck mitsamt Anhang, eine Gruppe der NS-Splitterpartei „Der Dritte Weg“ („Stützpunkt Thüringer Wald/Ost“) und die inzwischen wegen Bildung einer kriminellen und teils wegen einer terroristischen Vereinigung verfolgten Eisenacher Neonazis von „Knockout 51“ nach Berlin. Aus Ostthüringen kam ein ganzer Reisebus der ReichsbürgerInnen und Shoa-LeugnerInnen von den „Patrioten Ostthüringen“. Lars Kühnes Begleiter trug an jenem Tag ein Schild gegen „den Putsch des Merkel-Regimes“.
Besuch von rechtsextremem Vernetzungstreffen
Dass Kühnes Auftritt in Berlin kein Ausdruck einer kurzfristigen, durch Lockdowns und Pandemie verursachten Verunsicherung war, beweist nicht nur sein T-Shirt der „Identitären Bewegung“. Kühne tauchte im Sommer 2022 auf zwei weiteren extrem rechten Veranstaltungen auf. Am 27.08.2022 feierte die rechte Szene im Drei-Länder-Eck Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt auf dem Hof des früheren AfD-Politikers André Poggenburg in Stößen (Sachsen-Anhalt) ein Vereinigungs-Fest. Hier versammelten sich AfD-AnhängerInnen, der Chefredakteur der neofaschistischen Zeitschrift „Compact“, Jürgen Elsässer, die von früheren Kadern der Neonaziparteien NPD und Die Rechte angeführte Kleinstpartei „Freie Sachsen“ und die „Patrioten Ostthüringen“, die inzwischen als Bündnis „Freies Thüringen“ auftreten. Zu Letzteren gehört auch der Geraer Neonazi Christian Klar, der Ende der 1990er noch zum Umfeld des „Thüringer Heimatschutz“ zählte und im Telefonbuch des NSU-Helfers Marcel Degner auftauchte. Klar ist heute der Organisator der wöchentlichen rechten Aufmärsche in Gera und ein zentraler Netzwerker zwischen Neonazispektrum und AfD Thüringen. Außerdem ließ sich auf dem Fest in Stößen auch der frühere Kopf von „Thügida / Wir lieben Sachsen“, Alexander Kurth, blicken. Kurth war längere Zeit auch Landesvorsitzender der Neonazi-Partei „Die Rechte“. Als das Fest zu Ende ging, lief der Jenaer Lars Kühne in einem Shirt des „Compact“-Magazins über den Parkplatz. Augenscheinlich hatte er sich nicht nur ein Shirt gekauft, sondern auch mit weiterem Propagandamaterial versorgt.
In der ersten Reihe auf rechter Leipziger Montagsdemo
Eine Woche später mobilisierten dieselben Netzwerke für den ersten Montag im September zu einer Kundgebung auf dem Leipziger Augustusplatz. In bestem Wissen um die öffentlichen Reaktionen bewarben die Neonazis der „Freien Sachsen“ die dort stattfindende Kundgebung der Linkspartei gegen gestiegene Energiekosten und hohe Profite für Unternehmen. Auf der letztlich deutlich von den Linken abgetrennten Kundgebung der extremen Rechten redeten nacheinander Kader von „Compact“, „Freie Sachsen“ und „Freies Thüringen“. Als Jürgen Elsässer von „Compact“ die Menge zu Sprechchören anheizte, schrie Lars Kühne in seinem „Patriot“-Shirt in der ersten Reihe mit. Für „Freies Thüringen“ trat der Antisemit und Reichsbürger Frank Haußner ans Mikrofon. In der zweiten Reihe lauschte Lars Kühne.
Später am Abend zogen die Rechten über den Stadtring. Hier war streckenweise wegen antifaschistischer Blockaden kein Durchkommen und die Rechten wurden von der Polizei aufgehalten. Erneut war Lars Kühne in der ersten Reihe im lautstarken Streit mit Polizist*innen und beim Skandieren rechter Sprechchöre zu sehen.
Inzwischen geht Lars Kühne auch in Jena auf die Straße. Am 24.10.2022 marschierte er bei der rechten Jenaer Montagsdemo mit, die von mehreren „Compact“-Gastautoren mitorganisiert und von verschiedensten Rechten von AfD bis Neonaziszene besucht wird.
Aus Worten werden Taten
Mit seinem T-Shirt-Kauf bei den Identitären unterstützt Kühne eine marginale, aber teils sehr laute neurechte Bewegung finanziell, deren zentrale politische Forderung die „Remigration“ ist – die gewaltsame Abschiebung aller Menschen aus Deutschland, die keinen neofaschistischen Ideen deutscher Abstammung entsprechen. Nicht umsonst spendete auch der spätere neonazistische Massenmörder von Christchurch (Neuseeland) Gelder an die österreichischen Identitären. Kühnes Beteiligung an den verschiedenen rechten Großdemos ist deshalb problematisch, weil er sich zwischen unzähligen Reichsflaggen tummelte und eine Menschenmasse unterstützte, die offen einen Sturm des Bundestages propagierte. Dabei wurden mit Plakaten, Parolen und Internethetze einzelne Politiker*innen und Wissenschaftler*innen zum Feind erklärt. Im Kontext dieser Bewegungen gab es einen Brandanschlag auf das Robert-Koch-Institut, den Mord an einem Tankstellen-Mitarbeiter in Idar-Oberstein und rechtsterroristische Gruppen, die die Entführung oder Ermordung des sächsischen Ministerpräsident Michael Kretschmer oder Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach beabsichtigten. Wer bei diesen Bewegungen mitläuft und -grölt, schafft genau jenen Resonanzraum, von dem sich Rechtsterrorist*innen legitimiert sehen, zur Tat zu schreiten.
Davon abgesehen ist auch seine Rolle als Wissenschaftler mit Teilhabe an der Forschung zum Klimawandel zu problematisieren: Lars Kühne demonstriert feiertags mit Leuten und Gruppen, die Wissenschaft per se verunglimpfen, sowohl die Corona-Pandemie als auch den vom Menschen verursachten Klimawandel leugnen und Forscher*innen den Knast oder Schlimmeres wünschen. Wie Kühne werktags zuverlässiger und kollegialer Forscher in Sachen Klimawandel sein soll, erscheint dabei mehr als fraglich.
Es ist verständlich, dass Menschen von der Pandemie verunsichert sind oder bestimmte Maßnahmen zum Infektionsschutz für zu weitreichend erachten. Pauschale Versammlungsverbote etwa wurden nicht zufällig von Beginn an von Links kritisiert und teils auch offen gebrochen. Genauso gibt es unzählige gute Gründe, um in Zeiten von Preissteigerungen im Kontext des Ukrainekriegs auf die Straße zu gehen. All das kann und sollte offen in persönlichen oder beruflichen Kontexten angesprochen und diskutiert oder in Form von Demonstrationen thematisiert werden. Den Unterschied zwischen einer Peace- und einer Reichsflagge zu erkennen, ist dabei jedoch den allermeisten Menschen zuzutrauen. Lars Kühne hingegen hat sich entschieden, in Form von Geldspenden, Demoteilnahme und Tragen neofaschistischer Symboliken Bewegungen zu unterstützen, die das Gegenteil von kontroversen Diskussionen, Wissenschafts- und Demonstrationsfreiheit anstreben. Damit sollte er in aller Deutlichkeit konfrontiert und ihm der Raum genommen werden, unter dem Vorwand einer „kritischen“ Haltung seine rechte Ideologie zu verbreiten.
Siehe auch Teil 1 zu Rechten Netzwerkern an der Uni Jena: Der reaktionäre Korporierte Stefan Gerber im Universitätsarchiv