
Die Neonazi-Hooligans vom „Jungsturm“ Erfurt gaben sich trotz der Verurteilung von vier ihrer Führungskader wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung größte Mühe, als weiterhin aktiv aufzufallen: Der Erfurter Ultraszene erklärten sie immer wieder offen den Konflikt und fielen mit gezielten Provokationen oder Machtdemonstrationen auf. Aus der Heimkurve verbannt, suchten die Neonazis sich Auswärtsspiele, um in Gruppenstärke aufzutreten. Speziell zu Derbys in Jena oder im Heimstadion brachten sie sich dafür auch Verstärkung ihrer Kameraden von den „Animals“ Sofia mit. Der Jungsturm reiste genauso zu Lokalderbys nach Sofia und durfe dort in vorderster Reihe stehen. Nach langer Ignoranz des FC Rot Weiß Erfurt haben einige Jungsturm-Neonazis mit einer Aktion Anfang März jedoch den Bogen überspannt: Bei der 35-Jahr-Feier der Sofioter Fankurve traten die Neonazis wie eine offzielle Delegation aus Erfurt auf und nutzten die feierliche Übergabe einer Freundschaftsplakette für kollektive Hitlergrüße. Die organisierte Fanszene von ZSKA Sofia besteht aus Neonazis und Neonazi-Kampfsportlern, die teilweise auch bestens in rechtsterroristischen Netzwerken wie Combat 18 vernetzt sind. Es scheint, als ob einige Beteiligte nun Hausverbote im Erfurter Steigerwaldstadion bekommen hätten. Eine Personalie ist dabei interessant: Der frühere Jenaer Nachwuchsbasketballer Johann Walter hat seine Profikarriere gegen Hooligan-Tourismus getauscht.
Kategorie EF statt Karriere
Seit 2023 tauchte mit der Kerngruppe der Erfurter Hooligans „Jungsturm KEF“ ein überdurchschnittliche großer Typ auf: der aus der Stadt des Erzfeindes Jena stammende angehende Basketballprofi Johann Walter. Walter spielte bei Science City Jena, bis er 2022 ins baden-württembergische Ehingen ausgeliehen wurde. Dort verlaufen sich im Mai 2023 die Spuren seiner sportlichen Karriere.

Seitdem stand er mit alten und jungen Neonazi-Hooligans im Erfurter Steigerwaldstadion und trainierte mit selbigen Kampfsport. Federführend beim Kampfsporttraining des Jungsturms sind aktuell der Gothaer Neonazi Thomas Hartrodt und der aus dem benachbarten Friedrichsroda stammende Robin Brand, der bereits für seine Führungsrolle beim als kriminelle Vereinigung verfolgten Jungsturm verurteilt wurde. Schon im April 2024 beteiligte sich Walter an einem Besuch einiger Jungsturm-Kader um Robin Brand und Thomas Hartrodt bei den befreundeten Neonazi-Hooligans in Sofia und posierte auf einem Foto im Innenraum des Stadions. Mit dabei war außerdem der aus Saalfeld nach Halle verzogene Neonazi Felix Reck, der für seine brutalen Übergriffe auf politische Gegner*innen und auf Fans des FC Carl Zeiss Jena eine Zeit lang in Haft saß.

Bei seiner Berufungsverhandlung am Landgericht Gera Ende 2020 machte Reck noch geltend, „politisch verblendet“ gewesen zu sein, aus seinem „Fehlverhalten Lehren gezogen“ zu haben und „neu anfangen“ zu wollen. Für Reck hieß das: Er zog mit der Hilfe des Jungsturm-Anführers Theo Weiland nach Halle und begann dort, beim rechtsoffenen Gym „La Familia Halle“ Kickboxen zu trainieren. Reck trainiert dort u.a. mit Dominic Exel, einem langjährigen Neonazi-Aktivisten und Unterstützer des Neonazi-Kampfsportnetzwerks „Kampf der Nibelungen“. Außerdem arbeitet Reck als Ordner bei Fußballspielen, u.a. beim Halleschen FC, wo teilweise beim selben Spiel der halbe Jungsturm Erfurt zum Einsatz kommt. Reck pflegt zudem auch eigene Kontakte zu den Neonazi-Hooligans aus Sofia, wie ein Besuch Ende April 2023 bewies: Am Vortag des Heimspiels von ZSKA Sofia gegen Ludogorest trainierten Reck und ein weiterer Erfurter mit dem Animals-Anführer und Capo der ZSKA-Kurve, Ivan Velchev, sowie dem Kickboxtrainer und Animals-Hooligan Deyan Topalski Kampfsport. Am Folgetag standen die Erfurter dann in der ZSKA-Kurve.

Felix Reck war auch ein Jahr später bei Hooligan-Krawallen in Jena beteiligt, als sich beim Lokalderby am 16.3.2024 Jungsturm Erfurt und Animals Sofia im Gästeblock nach vorne drängten und während des Spiels mit Pyrotechnik die Jenaer Fans angriffen. Die Erfurter Neonazis hatten die Auswärtsfahrt genutzt, um sich gegen den Willen der organisierten Erfurter Fanszene mit ihrem Banner „Kategorie EF“ und der Zaunfahne „Erfurt Sofia“ vorne am Zaun zu platzieren. Von dort aus versuchten sie das Netz zwischen Gäste- und Heimblock anzubrennen, feuerten Leuchtraketen in die Jenaer Tribünen und suchten den Konflikt mit Jenaer Ordner*innen und Heimfans im Innenraum. Felix Reck saß dabei zeitweise auf dem Zaun und war danach neben dem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung veruteilten aktuellen Anführer des Jungsturms, Marco Klingner, im Stadioninnenraum zu sehen.

Die Verbindung zum Rechtsterror: Animals Sofia und Combat 18

Neben den Erfurter und Sofioter Neonazis war beim Gruppenfoto im Innenraum im April 2024 in Sofia noch ein weiteres bekanntes Gesicht aus Deutschland zu sehen: Michael Hein aus Frankfurt an der Oder. Hein ist auf die eine oder andere Art seit ca. 20-25 Jahren in den Netzwerken von Blood&Honour (B&H) / Combat 18 (C18) aktiv, wobei sich C18 als bewaffneter Arm und auf terroristische Anschläge abzielende Zellenstruktur von B&H begreift. Es gab in der Vergangenheit verschiedene Anschläge, darunter Mordanschläge, deren Täter sich auf C18 beriefen. Auch Morddrohungen gegen deutsche Journalist*innen wurden von C18 verschickt. In den vergangenen zehn Jahren fiel der Brandenburger Michael Hein regelmäßig als Kontaktperson für Vertreter von C18 aus Polen, Ungarn, Italien, Serbien oder Bulgarien auf. In Sofia verbindet ihn vor allem eine Freundschaft mit dem Animals-Neonazihooligan Orlin Pavlov.

Michael Hein und Orlin Pavlov reisen nicht nur gemeinsam zu Rechtsrockfestivals europaweit, sondern treffen mal im öffentlichen, mal im privaten Rahmen einzelne Vertreter anderer Divisionen von B&H/C18. Sie tragen außerdem bei verschiedenen Anlässen Shirts und Pullover von C18, was in der Regel eher nur autorisierten Personen vorbehalten bleiben soll. Hein und Pavlov trafen sich auch beim von der norditalienischen B&H-Division „Veneto Fronte Skinheads“ organisierten Rechtsrockfestival zu Hitlers Geburtstag 2019 bei Verona.

Orlin Pavlov verbindet gleichzeitig eine Freundschaft mit Philipp Mittelstedt von den Erfurter Jungsturm-Hooligans. Diesen besuchte er bereits mehrmals in Erfurt, was auch als Freundschaftsbesuch zwischen den Animals und Jungsturm gerahmt wurde. Pavlov besuchte bei diesen Anlässen RWE-Heimspiele mit dem Jungsturm. Außerdem nutzte er seine Reisen für hämische Fotos in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald.

Derby Sofia 2025

Schon im Vorfeld des Lokalderbys zwischen ZSKA und Levski Sofia am 2.3.2025 sammelte der Jungsturm 600€ für die anstehende 35-Jahr-Feier der ZSKA-Kurve am selben Tag. Zum Derby am 2.3.2025 reiste erneut eine Jungsturm-Delegation nach Sofia. Beim Fanmarsch zum Stadion liefen die Erfurter in der zweiten Reihe des Blocks vom „Sektor G“, wo unmittelbar neben ihnen zeitweise eine Hakenkreuzfahne gehalten wurde.

Der „Jungsturm“ pflegt seit Jahren eine enge Verbindung zu den Neonazi-Hooligans „Animals“ von ZSKA Sofia. Man besucht sich gegenseitig zu Lokalderbys und lässt dabei jeweils die Gäste an Hooligan-typischen Aktionen in Kurve und Stadioninnenraum teilhaben. Ursprünglich ging diese Verbindung auf Kontakte von Philipp Pritzschke aus Erfurt zurück, der seinerseits als Autoritätsperson der alten Erfurter Hooligans „Kategorie EF“ den Aufbau des Jungsturms mitsamt der Kontakte nach Sofia begleitete. Wenngleich Pritzschke sich in Erfurt teilweise als DJ in kulturell sehr liberalen Locations versucht, zeigte er bei der Hooligan-Feier in Sofia den Hitlergruß:

Unmittelbar zuvor hatten bereits Robin Brand und Paul Voß parallel mit deutlichen Hitlergrüßen auf Rufe und Hitlergrüße aus dem Publikum reagiert. In der ZSKA-Fankurve gehören solche offenen NS-Bekenntnisse ebenso zur Gewohnheit wie bei privaten Feiern der Animals Sofia, die auch am Restauranttisch kollektiv den rechten Arm zum Gruß heben. Entsprechend normal scheint dies für die Erfurter Neonazis bei ihren Besuchen in Sofia zu sein. Verwundern dürfte das nicht, da auch Ackerkämpfe des Jungsturm teilweise mit Hitlergrüßen von Philipp Mittelstedt eröffnet wurden.

Dass auch Paul Voß als bislang öffentlich unbekannter Neonazi-Hooligan in Sofia in Erscheinung trat, vermochte rückblickend kaum zu überraschen. So tauchte Voß bereits am 7.11.2020 an der Seite des Eisenacher Neonazikaders Kevin Noeske von „Knockout 51“ bei einem Querdenken-Großaufmarsch auf.

Die Jubliäumsfeier des Sektor G ging mit einem Konzert zu Ende, das sich wie ein klassisches Rechtsrockkonzert darstellte: Skinheads mit Neonazitattoos sprangen durch den Raum und salutierten reihenweise mit Hitlergrüßen vor der Bühne. Bei alledem erklärte der Sektor G auch kürzlich erneut, „absolut unpolitisch“ zu sein, Für diesen „unpolitischen“ Tag unter „Fußballfreunden“ hatte der rechte Teil der Erfurter Fanszene Geld gesammelt und der Jungsturm unter Verwendung des RWE-Vereinslogos Glückwünsche aus Deutschland übermittelt. Mit seinem eigenen Hitlergruß und den restlichen Geschehnissen aus Sofia vom MDR konfrontiert, schwurbelte Robin Brand von „falschen Verdächtigungen“ und „Fehlinformationen“.
Jungsturm, Knockout 51 und Kontrakultur Erfurt
Seit Jahren bestehen Verbindungen des Jungsturm zu anderen militanten Strukturen wie der Eisenacher Gruppe „Knockout51“ und der Erfurter Gruppe „Kontrakultur Erfurt“, die zu den Netzwerken der „Identitären Bewegung“ zählt. Dies bestätigte sich im ersten Prozess gegen vier Mitglieder von Knockout51 aus Eisenach vor dem Oberlandesgericht Jena: Laut Anklageschrift haben bereits 2019 Mitglieder von Knockout51 an sogenannten „Ackerkämpfen“ des Jungsturm teilgenommen. Nachdem es 2020 zu Inhaftierungen der Jungsturm-Mitglieder Marco Klingner, Theo Weiland, Steve Weinhold und Robin Brand kam, sollen sich die beiden Führungskader von Knockout51, Leon Ringl und Kevin Noeske, über ein Solidaritätsgraffiti für die Inhaftierten ausgetauscht haben, welches an einer legalen Wand von Noeske auch umgesetzt worden ist. Noeske war selbst immer wieder Teil von Trainingseinheiten der Gruppe, sowohl überregional mit Hooligans von Lokomotive Leipzig und Vertretern des Jungsturm, als auch bei internen Trainings der Gruppe in Kirchheim sowie internen Feiern der Gruppe. Der enge Kontakt zwischen Jungsturm und Knockout51 zeigte sich besonders deutlich, als mehrere Mitglieder, darunter Leon Ringl und Kevin Noeske, 2020 zum Prozess des Neonazi und Jungsturm-Mitglied Felix Reck nach Rudolstadt fuhren. Kevin Noeske agiert dabei als Bindeglied mit seiner Zugehörigkeit zum Jungsturm sowie zu Knockout51. Und als vier Führungskader von Knockout51 in Untersuchungshaft kamen, zeigte sich wiederum Robin Brand vom Jungsturm demonstrativ mit einem Shirt der Gruppe im Netz.
Doch auch zur Gruppe Kontrakultur Erfurt, die vor allem mit social-Media-tauglichen rassistischen Propagandaaktionen auffällt, ist Kevin Noeske die entscheidende Verbindung. Eric Krempler, ebenfalls Führungsmitglied von Knockout51 aus Eisenach, erklärte in Chats, dass die Gruppe mit Kontrakultur Erfurt zusammenarbeite. Dies liege an einem „ehemaligen Kamerad[en] aus Eisenach, der nach Erfurt gezogen“ sei. Gemeint ist Kevin Noeske, der bis zu einer Inhaftierung im Dezember 2023 in der Talstraße 14 in Erfurt mit seiner Freundin Annica Bienert lebte. Bereits 2021 organisierte Noeske eine Graffiti-Aktion in Erfurt, wofür Leon Ringl Videoaufnahmen anfertigte. Die Aktion wurde später über die Social-Media-Kanäle von Kontrakultur Erfurt veröffentlicht. In abgehörten Gesprächen zwischen Leon Ringl und Noeske zeigte sich vor allem die Strategie der Neonazis im Übergang zu Strukturen der „Identitären Bewegung“. Doch die engen Überschneidungen zwischen den drei Gruppierungen zeigen sich auch im Stadion. Beim Derby am 1.10.2023 traten die Erfurter Hooligans in einem eigenen Block auf. Kevin Noeske brachte dabei das Banner „SOFIA ERFURT“ an, während sich Robert Brandt ebenfalls in der Gruppe aufhielt. Brandt ist seit vielen Jahren in der Erfurter Neonaziszene aktiv und gehört mit Kevin Noeske zur Erfurter Sektion von Kontrakultur Erfurt.

Wenns ums Image geht: Hausverbot im Steigerwaldstadion
Nachdem die Erfurter Ultras die Neonazihooligans bereits seit Längerem nicht mehr in der Heimkurve des Steigerwaldstadions dulden, hat die Vereinsführung anscheinend nach dem unverblümten Auftritt in Sofia Hausverbote gegen einige oder alle der sechs Erfurter verhängt. So ließen sich jedenfalls deren Verlautbarungen im Internet lesen. Obwohl vier Führungskader des Jungsturms seit Jahren rechtskräftig für die Bildung einer kriminellen Vereinigung und einzelne brutale Übergriffe verurteilt wurden, hat der Verein bisher keine Konsequenzen gegen sie gezogen. Als die Neonazis sich am 1.10.2023 noch mit ihren Kameraden aus Leipzig und Sofia auf der Tribüne versammelten, konnte wie immer das Banner der Kategorie EF entrollt werden. Theo Weiland saß als namhaftester der vier bereits verurteilten Anführer des Jungsturm an jenem Tag in der VIP-Lounge des RWE. Erst als die Jungsturm-Nazis nun auf der Bühne in Sofia vor dem Vereinslogo den Hitlergruß zeigten, scheint ein Problem erkannt worden zu sein. Maßnahmen wurden jedoch dem Anschein nach nur gegen die sechs dort Beteiligten ergriffen.
Es ist eine ähnliche Dynamik wie bei Städten und Gemeinden, die erst dann ein Problem mit militanten rechten Strukturen sehen wollen, wenn ihre eigenen Repräsentant*innen angegriffen werden oder wenn der gute Ruf leidet. Auf den RWE übertragen liegt letzterer Fall vor. Standort- und Imagepolitik ist in den seltensten Fällen Antifaschismus und Hausverbote gegen eine Handvoll Jungsturm-Neonazis sind kein Konzept gegen Neonazis im Erfurter Stadion. Dass die Neonazis vom Jungsturm bzw. deren Vorgängerstruktur Kategorie EF überhaupt Raum im eigenen Stadion eingebüßt haben und auf die Sitzplätze der Tribüne verdrängt wurden, ist einzig der organisierten Erfurter Ultraszene zu verdanken. Wenngleich diese sich bei verschiedenen Gelegenheiten leider immer wieder auf den Konsens, vermeintlich „unpolitisch“ zu sein beruft, ist damit ein erster sehr wichtiger Schritt gemacht. Denn nicht nur verlieren die Neonazis dadurch eine Plattform für rechte Banner, Gesänge, Solidarisierung mit rechten Schlägern wie Felix Reck oder mit ihren Sofioter Kameraden. Sie werden vor allem auch unattraktiver für junge (cis-männliche) Ultras, die auf der Suche nach einer möglichst furchteinflößenden und radikalen Identität innerhalb der eigenen Kurve keine Neonazis mehr zu Vorbildern haben. In einem nächsten Schritt könnten sowohl Ultras als auch Verein noch mehr tun: Der Verein könnte sich deutlich gegen Nazis und andere autoritäre Rechte bekennen, und die Ultras könnten sich anstelle eines Konsens „keine Politik“ einen antifaschistischen Konsens geben.
Danke an die Kolleg*innen vom Rechercheportal Erfurt für die Mitarbeit!